Ein lautes, nölendes Geräusch
Von Benedikt BlosKindheit ist so etwas Ähnliches wie Masern oder Röteln: Jeder hatte sie schon mal, alle mußten da schon durch. Zufälligerweise fallen diese Krankheiten ungefähr ins selbe Lebensalter wie das Kindsein, deshalb heißen sie auch Kinderkrankheiten. Oder die Kindheit bekam deshalb ihren Namen, das ist nicht ganz klar. Bei manchen Menschen fällt durch besondere Umstände beides aus, die Krankheiten und die Kindheit, und wenn sie sich dann später anstecken, kann es lebensgefährlich werden: Nichts ist schlimmer als 40jährige Kinder mit genügend Geld. Die können sich dann nämlich all die tollen Spielzeuge kaufen, die so im Schaufenster stehen.
Kinder hat dagegen kaum noch jemand. Sie scheinen aus der Mode zu kommen. Das liegt am schlechten Image: zu teuer, zu anstrengend, zu unpraktisch. Kinder werden heutzutage immer pflegeintensiver, sie bekommen immer mehr Krankheiten, ADHS zum Beispiel, das Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom. Wissenschaftlich ist noch nicht ganz geklärt, ob es das überhaupt gibt. Früher nannte man solche Kinder «Zappelphilipp» und ließ sie einfach ein paarmal um den Spielplatz laufen.
Kinder haben zu Unrecht so einen schlechten Ruf, sie sind im Gegenteil sogar äußerst gesund. Wer Kinder hat, steht früher auf, braucht weniger Schlaf und wird schneller erwachsen. Sie schützen die Erwachsenen sozusagen vor später Kindheit, denn das ganze Geld geht für Spielsachen drauf, also Spielsachen für Kinder.
Ich selbst hatte auch schon einmal Kindheit. Ziemlich lange sogar, ungefähr 15 Jahre. Ein genaues Ende gab es nicht, meine Kindheit franste mehr so aus, bis ich irgendwann feststellte, daß ich erwachsen war. Manchmal habe ich aber noch Rückfälle. Vor kurzem habe ich mir zum Beispiel ein ferngesteuertes Auto gekauft. Das war während meiner Kindheit immer mein Traum gewesen, und als es bei Penny den benzinbetriebenen »Maxiracer C5« gab, konnte ich nicht widerstehen. Wie alle spät erfüllten Träume war es sehr enttäuschend. Das Auto hatte eine rotzgrüne Lackierung mit Flammen an der Seite und man mußte ganz viele Teile zusammenbauen. Ich habe nicht einmal ein richtiges Auto und war deswegen ziemlich überfordert. Zum Glück habe ich Freunde, die früher cool waren und als Kinder schon so ein Spielzeug besaßen. Bei einem sogenannten Männerabend mit viel Bier wurde der «Maxiracer» dann aufgebaut.
Ich habe das Auto einmal benutzt, auf einer Sandfläche im Park. Der Motor machte ein lautes, nölendes Geräusch, und all die jungen, attraktiven Mütter auf dem Spielplatz gegenüber sahen voller Verachtung zu. Ihre Blicke sagten: »Im schlimmsten Fall ist dieser Typ ein Kinderschänder, im harmlosesten ein Weichei. Auf jeden Fall ist er eine totale Nervensäge.« Seitdem weiß ich, daß Autos mit Flammen auf der Seite unsexy machen. Außerdem habe ich damit wohl einem Haufen Kinder die letzte Chance verbaut, selbst ein ferngesteuertes Auto zu bekommen. Weil ihre Eltern sich vor so einem Spielzeug ekeln, werden vermutlich viele von ihnen später ähnliche Erfahrungen wie ich machen müssen. Ich habe den «Maxiracer» dann über Ebay verkauft, unter falschem Namen.
Erwachsene sehnen sich komischerweise oft danach, wieder ein Kind zu sein. Ich bin dagegen – trotz «Maxiracer» – überzeugter Erwachsener. Schon als Kind wollte ich so schnell wie möglich erwachsen werden. Der größte Vorteil des Erwachsenseins gegenüber der Kindheit ist der Sex. Geschlechtsverkehr ist die einzige Situation, in der sich Erwachsene wie Kinder aufführen können, ohne peinlich zu wirken; außerdem ist Sex gesund und macht fit. Der ideale Ersatz für Kinder also. Dooferweise kommt man durch Sex oft zu Kindern, was wiederum zu weniger Sex führt.
Auch wenn sich viele Erwachsene dagegen wehren, ist die Kindheit irgendwann zu Ende. Glücklicherweise kommt dann auch schon bald das Alter und dann darf man sich wieder wie ein Kind benehmen – nicht nur am internationalen Kindertag
Viele Kinder haben keine Kindheit. Nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation müssen weltweit 250 Millionen Kinder zwischen fünf und 14 Jahren arbeiten. Darauf zu verzichten, können sie sich nicht leisten, weil ihre Eltern so arm sind. Die meisten arbeiten in der Landwirtschaft, in Fabriken, als Straßenverkäufer und Dienstmädchen.
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