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Aus: land & wirtschaft, Beilage der jW vom 01.08.2007

Alles Bio – oder was?

Die boomende Erzeugung von Kraftstoffen aus Roggen, Mais Co scheint die Krise der Landwirtschaft zu beenden. Doch die globalen Folgen sind in jeder Hinsicht verheerend
Von Wolfgang Pomrehn
Tiere der Rasse Avileña, Spanien
Tiere der Rasse Avileña, Spanien

Die Bilder dieser Beilage stammen von der Fotografin Ursula Böhmer, Jahrgang 1965. Sie arbeitet seit mehreren Jahren an einer »systematischen Aufzeichnung europäischer Rinderrassen«. Auslöser für diese selbstauferlegte Aufgabe sei einerseits ein »Bewußtsein für die spezielle kulturgeschichtliche Beziehung der Kühe zum Menschen, zum anderen aber auch die persönliche Faszination von der Ausstrahlung der Tiere«, sagt sie.

Weitere Bilder unter www.ursulaboehmer.de

Die Landwirtschaft kann aufatmen – zumindest, sofern sie im großen Stil und für den Weltmarkt ackert. Wachsende Nachfrage läßt die Preise in beachtliche, zum Teil bisher unerreichte Höhen klettern. Die Krise der Landwirtschaft, der Verfall der landwirtschaftlichen Einkommen und der Niedergang der kleineren Betriebe, scheint fürs erste aufgehalten.

Angetrieben wird die Preisentwicklung durch zweierlei: Zum einen sind in den letzten Jahren in den Schwellenländern einige hundert Millionen Menschen zu bescheidenem Wohlstand gekommen. Die können nun mehr Geld für Nahrungsmittel ausgeben, insbesondere für Fleisch. Chinas Hühner konkurrieren mit den Bäckern in aller Welt um das Getreide. Durch die starke Integration der internationalen Märkte – etwa zwölf Prozent der diesjährigen Getrei­deernte landen nach Schätzungen der UN-Ernährungs- und Agrarorganisation FAO auf dem Weltmarkt – macht sich diese Nachfrage rund um den Globus preistreibend bemerkbar.

Etikettenschwindel

Zum anderen hat in vielen Ländern ein regelrechter Run auf sogenannte Biokraftstoffe eingesetzt. Mais, Raps, Soja, Zuckerrüben, Weizen, Palmöl und Zuckerrohr werden zu Kraftstoffen verarbeitet, mit denen der automobilisierte Wahnsinn der modernen Industriegesellschaft über die kommende Ölkrise gerettet werden soll. Entweder werden Zucker und Stärke zu Ethanol vergoren, oder aus Ölpflanzen wird eine Art Diesel gewonnen. Die Vorsilbe »Bio«, mit der Umweltfreundlichkeit und Naturnähe assoziiert wird, ist im Fall von Energie und Kraftstoff aus nachwachsenden Rohstoffen eher irreführend. Denn die Folgen ihres Anbaus für Umwelt und Sozialstrukturen auf dem Land werden verheerende Ausmaße annehmen, wenn alle Pläne zur Ausdehnung des Einsatzes von Biodiesel und -sprit tatsächlich zur Ausführung kommen.

Auch der Nutzen der Biokraftstoffe für das Klima ist mitunter fraglich: Für Aussaat, Ernte, Transport und Verarbeitung müssen große Mengen Energie aufgewendet werden, die meist aus fossilen Quellen stammt, also mit der Emission von Treibhausgasen verbunden ist. Außerdem wird bei der Düngung auf den Feldern Stickstoffdioxid freigesetzt, das ebenfalls ein höchst wirksames Treibhausgas ist. Andreas Ostermeier vom Umweltbundesamt schätzte im Gespräch mit jW, daß der Einsatz von Rapsöl als Biodiesel, der hierzulande einen Boom erlebt, die Produktion von Treibhausgasen nur um rund 50 Prozent mindert. Allerdings, so Ostermeier, mangle es an verläßlichen Daten. Viel hänge von Intensität und Zeitpunkt der Düngung, der Bodenbeschaffenheit und der Verfügbarkeit von Wasser für die Rapspflanzen ab. Der Minderungseffekt könne also auch 80 Prozent oder aber nur 20 Prozent betragen.

Enormer Flächenverbrauch

Von Ethanol aus Zuckerrohr ist hingegen bekannt, daß es tatsächlich 80 Prozent weniger Treibhausgase freisetzt als herkömmliches Benzin. Ein anderes Problem bleibt allerdings selbst beim Zuckerrohr, das die ergiebigste aller Biosprit-Pflanzen ist: Der enorme Flächenverbrauch. Nach den Statistiken der Internationalen Energieagentur werden weltweit derzeit jährlich 893 Millionen Tonnen Benzin verbraucht. Wollte man diese Menge durch Ethanol ersetzen, müßten rund 354 Millionen Hektar Zuckerrohr angebaut werden. Das sind 3,54 Millionen Quadratkilometer oder eine Fläche, die annähernd zehnmal so groß wie Deutschland ist. Brasilien, derzeit Weltmarktführer in der Ethanolherstellung, ist ein großes Land, aber soviel Platz gibt es dort nicht einmal, wenn man den ganzen Amazonaswald abholzen würde. Doch die globale Autoflotte wächst unaufhaltsam weiter.

Obwohl wir erst am Anfang des Biokraftstoffbooms stehen, lassen die Nahrungsmittelpreise auf dem Weltmarkt bereits erahnen, wohin die Entwicklung führen wird. Die Entwicklungsländer, heißt es bei der FAO, müssen 2007 gegenüber dem Vorjahr neun Prozent mehr für ihre Nahrungsmittelimporte ausgeben. Am schlimmsten würden die ärmsten Länder betroffen, deren Ausgaben sogar um zehn Prozent steigen. Von 2000 bis 2007 haben sich ihre Rechnungen für Nahrungsmittel sogar um 90 Prozent erhöht. »Das steht im krassen Gegensatz zu den lediglich 22 Prozent, um die sich im gleichen Zeitraum die Importe der Industriestaaten verteuerten«, meint der FAO-Ökonom Adam Prakash.

Mägen kontra Motoren

Das Gros des Kostenanstiegs geht auf Getreide und Speiseöl zurück, heißt es bei der FAO, also eben jene Produktgruppen, die am meisten vom Biokraftstoffboom betroffen sind. Die Organisation rechnet damit, daß die Weltmarktpreise für diese Güter in diesem Jahr um 13 Prozent über denen des Vorjahres liegen werden. Abdolreza Abbassian, ein anderer FAO-Experte, dazu: »Die Aussicht für eine kraftvolle Erholung der Weltgetreideproduktion ist zwar sehr erfreulich. Dennoch wird die Ernte kaum ausreichen, um die wachsende Nachfrage zu decken, weder aus dem traditionellen Nahrungs- und Futtermittelsektor, noch von der schnell wachsenden Biokraftstoffindustrie. Daher werden die Preise auch im nächsten Jahr hoch bleiben.«

Während diese wachsende Konkurrenz zwischen Mägen und PKW-Motoren in den letzten Monaten des öfteren den Weg in die Schlagzeilen und damit ins öffentliche Bewußtsein fand, wird ein anderer negativer Aspekt der sogenannten Biokraftstoffe bisher kaum beachtet: Der Ausstoß von Treibhausgasen ist nur eines von mehreren Problemen, die mit Verbrennungsmotoren verbunden sind. Selbst, wenn das Kohlendioxid, das bei der Verbrennung von Ethanol und Biodiesel entsteht, von den Pflanzen wieder gebunden wird, so bleiben all die anderen Umweltbelastungen bestehen. Zum Beispiel der Lärm, der von den Motoren auf unseren Straßen ausgeht, oder die Gesundheitsprobleme, die Rußpartikel und Stickoxid-Emissionen verursachen. »Tag für Tag sterben allein in Deutschland 50 Menschen an Dieselruß«, sagt Greenpeace-Verkehrsexperte Stefan Krug, und das wird sich auch durch Biodiesel nicht ändern.

Stickoxid ist im Zusammenhang mit starker Sonneneinstrahlung eine der Voraussetzungen für die Entstehung bodennahen Ozons, jenes aggressiven dreiatomigen Sauerstoffmoleküls, das in der oberen Atmosphäre zwar sehr nütz­liche Dienste leistet, am Boden aber die Bronchien der Menschen und viele Pflanzen schädigt, nicht zuletzt auch Nutzpflanzen. Gelegentlich wird es auch Sommersmog genannt, denn es sind vor allem die heißen Monate mit windarmen Schönwetterlagen, in denen dieses Abfallprodukt des Straßenverkehrs zum Problem wird.

Klimakiller Biosprit

Und auch hieran werden die nachwachsenden Kraftstoffe nichts ändern: Beim gegenwärtigen Stand der Technik kann der Stickoxidausstoß von Biodiesel je nach Motor, Fahrweise und anderen Faktoren ein bis 15 Prozent höher sein, als wenn herkömmlicher Diesel verwendet wird, schrieb der US-Wissenschaftler Ron Kotrba im Juni 2005 in der Fachzeitschrift Biodiesel Magazine. Mit anderen Worten: Auch Biodiesel wird uns weiter Sommersmog bescheren und eventuell sogar mehr, als es herkömmlicher Kraftstoff täte.

Pikant dabei ist, daß das Ozon nicht nur sehr gesundheitsschädlich, sondern auch ein wichtiges Treibhausgas ist. Obwohl die hohen Konzentrationen des bodennahen Ozons meist nur lokal beschränkt sind und nur wenige Stunden anhalten, trägt es rund elf Prozent zum durch menschliche Aktivitäten verursachten Treibhauseffekt bei. Dieser Anteil könnte sogar noch höher sein, wie eine Ende Juli in der britischen Fachzeitschrift ­Nature veröffentlichte Studie zeigt. Bisher nehmen Vegetation und Boden etwa ein Viertel der Kohlendioxidemissionen auf, die aus Auto-, Kraftwerks- und Industrieabgasen stammen. Geraten die Pflanzen aber unter Streß – zum Beispiel durch Ozon –, dann vermindert sich ihre Aufnahmefähigkeit. Nun haben britische Atmosphärenforscher berechnet, daß sich auf diesem indirekten Wege der Treibhauseffekt des Ozons verdoppeln könnte, wenn die Ozon-Schädigung an Pflanzen weiter im Tempo der letzten Jahrzehnte zunimmt.

Unterm Strich ist also der Nutzen der sogenannten Biokraftstoffe für Umwelt und Menschen überaus fraglich, und die meisten Umweltorganisationen haben längst begonnen, sich von dieser zweifelhaften Biowelle zu distanzieren.
Ende August erscheint im PapyRossa Verlag Wolfgang Pomrehns Buch »Heiße Zeiten – Wie der Klimawandel gestoppt werden kann« (etwa 250 Seiten, ca. 16,90 Euro)

Hereford-Bulle, Großbritannien
Hereford-Bulle, Großbritannien

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