Politische Justiz mal fünf
Von Harald NeuberDas Urteil erregte die Gemüter und das weit über die USA hinaus. Die Hinrichtung der beiden US-Italiener Sacco und Vanzetti war der erste Fall politischer Justiz, dem internationale Proteste folgten. In den USA selbst, in Europa, Japan, selbst in Südamerika, China und in anderen Teilen der Welt war schon der Prozeß von Streiks und Demonstrationen begleitet worden. Doch Richter Webster Thayer blieb stur. Im August 1927 ließ er die beiden Anarchisten auf den elektrischen Stuhl ermorden. Zwei Jahre später zog der deutsche Schriftsteller Erich Mühsam die Lehre aus ihrem Tod: »Trittst du für das Recht der Proletarier ein; so wirst du ein Räuber und Mörder sein«, schrieb er 1929 in seinem »Requiem an Sacco & Vanzetti«. Denn: »An Mordtaten im Land fehlt es nicht; daß du sie begangen hast, beweist dir jedes Gericht.«
Das gilt bis heute. Ferdinando Sacco, Bartolomeo Vanzetti, Ethel und Julius Rosenberg, Silvia Baraldini, Marilyn Buck, Leonard Peletier oder Mumia Abu-Jamal – die Liste der politischen Mord- und Repressionsfälle in den USA ließe sich fortführen. Aber es gibt auch Erfolge. Die Bürgerrechtsaktivistin Angela Davis wurde im Juni 1972 nach 22 Monaten Haft entlassen. Der Fall Nr. 52613 jenes Jahres in Kalifornien endete mit Freispruch. Eine internationale Solidaritätskampagne hatte Erfolg.
Politische Justiz, das schrieb der US-deutsche Staats- und Verfassungsrechtler Otto Kirchheimer, sei Rechtsprechung, die Gerichte für politische Zwecke in Anspruch nehme, »so daß das Feld des politischen Handelns ausgeweitet und abgesichert werden kann«. Ziel sei es, das politische Handeln des Gegners einer gerichtlichen Prüfung zu unterwerfen, seine eigene Position so zu festigen und die seiner Gegner zu schwächen, so Kirchheimer 1961. Dies geschehe, indem das Handeln einzelner Angehöriger der Opposition unter abstakte juristische Tatbestände subsumiert werde. Die politische Auseinandersetzung bleibt so aus, die Abschreckung wirkt dennoch.
All das trifft auf den Fall der »Cuban Five« zu. Der politische Konflikt um Terrorismus und Gegenaufklärung wurde nach der Festnahme der fünf Kubaner durch die US-Bundespolizei FBI 1998 in den Gerichtssaal verlegt. Auf den folgenden Seiten schildert Joaquín Méndez, der Anwalt von Fernando González, wie die Staatsanwaltschaft dort wenig diskret versuchte, das Thema totzuschweigen. Anders als in der Vergangenheit konnten die Ankläger dabei zunächst mit der Komplizenschaft der Medien rechnen. Erst als Solidaritätsgruppen in aller Welt über die »Cuban Five« berichteten, griffen auch die großen US-Redaktionen den Fall auf.
Über diesen Erfolg spricht Kubas Parlamentspräsident Ricardo Alarcón im Interview. Unser Autor Ingo Niebel stellt Antonio Guerrero, Fernando González, Gerardo Hernández, Ramón Labañino und René González ebenso vor, wie die wichtigsten Internetseiten über ihren Fall. Der Rechtsanwalt Eberhard Schultz berichtet über die letzte Anhörung für ein Berufungsverfahren im August in Atlanta und sein kubanischer Kollege Roberto González Sehwerert über die politischen Implikationen des Falls. Der Chefredakteur der jungen Welt, Arnold Schölzel, rezensiert das bislang einzige Buch in deutscher Sprache über die »Cuban Five«.
Diese Beilage ist für uns ein Novum: Sie erscheint in Kooperation mit unserer kubanischen Schwesterzeitung Juventud Rebelde – mit der uns weit mehr verbindet, als der achtseitige Umfang. Beide Publikationen nehmen sich, wie der französische Linksgaullist Louis Terrenoire es einmal formulierte, »die Freiheit, alles zu sagen, damit anderen die Freiheit genommen wird, alles zu tun.«
kuba erscheint als Beilage der Tageszeitung junge Welt in Kooperation mit der kubanischen Tageszeitung »Juventud Rebelde« im Verlag 8. Mai GmbH, Torstraße 6, 10119 Berlin. Redaktion: Harald Neuber (V. i. S. d. P.); Anzeigen: Silke Schubert; Gestaltung: Arian Wendel. Übersetzungen: Ingo Niebel (S.2/3), Klaus E. Lehmann (S.5.).
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!