Aus: literatur, Beilage der jW vom 13.02.2008
Im Literaturschlamm
Von Arnold Schölzel* Arno Schmidt: Briefwechsel mit Kollegen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007, 468 Seiten, 44,80 Euro
Auf das Frontispiz des Bandes »Briefwechsel mit Kollegen« ist ein Foto gedruckt – fast die einzige Illustration des Buches. Das Bild wurde am 14. Januar 1951 aufgenommen, als Arno Schmidt (1914-1979) zusammen mit einer Kollegin und drei Kollegen den Großen Akademiepreis für Literatur der Mainzer Akademie erhielt. Schmidt sitzt mit einem Gesichtsausdruck, der hohe Konzentration und Pein zugleich ausdrückt, in der Reihe der Preisträger, vor sich auf den Boden starrend, als nähme er das Geschehen nicht wahr.
Alfred Döblin hielt die Laudatio, Schmidt brachte am Abend 2000 DM mit nach Hause. Eine ungeheure Summe für ihn und seine Frau, scheinbar ein Durchbruch, tatsächlich nur ein kleiner Lichtblick. Die finanzielle Notlage der Schmidts ist daher auch wiederkehrendes Thema in den hier abgedruckten Briefen, die zum überwiegenden Teil aus den 50er Jahren stammen. Es gebe öfter »Daumen aufs Brot«, er müsse sich als Übersetzer mit »unterstem Literaturschlamm« befassen, um sich Freiraum für eigene Produktionen zu verschaffen, heißt es da.
Das finanzielle Elend war Teil der allgemeinen Misere, aus der dieser Band berichtet. Durch die vorbildliche, umfassende Kommentierung des Herausgebers Gregor Strick und die beigefügten Dokumente ragt dieser fünfte Band der Briefedition Schmidts aus vergleichbaren Publikationen heraus. Politische und persönliche Welt, Literarisches und Geschäftliches fügen sich zu einem Bild, das manches Geschichtsbuch ersetzen kann.
Das beginnt mit der Mentalität der Menschen jener Region, in die das »Flüchtlings«ehepaar Schmidt eingewiesen worden war und wo es bis 1955 lebte: Das Dorf Kastel in der Nähe des rheinland-pfälzischen Saarburg, das »400 Einwohner hat (und das noch stockkatholische, die nur am Himmel oder dem Heiligen Ungenähten Rock zu Triere Interesse haben, aber nicht an Wasserspülung!).« Das Zitat ist aus dem einzigen Einladungsbrief (an Ernst Kreuder gerichtet) unter den 354 des Bandes, der reichlich Absagen enthält: Gestört werden wollte Schmidt nicht.
Als nach dem Erscheinen seines Buches »Seelandschaft mit Pocahontas« eine Boykottkampagne begann und die Staatsanwaltschaft wegen »Schmutz und Schund« ermittelte, drohte vollständiger Ruin. Die Schmidts zogen nach Darmstadt, wo es gelang, das Verfahren niederzuschlagen, handelten sich dafür aber ein Ende der selbstgewählten Isolation ein, das sie Ende 1958 zum endgültigen Umzug nach Bargfeld bei Celle veranlaßte – in jene Gegend, in der die großen Erzählungen des Autors aus den Zeiten nach einem Atomkrieg in Europa spielen.
Dieser zentrale Punkt seines Werkes – die nicht nur mögliche, sondern nach seiner Meinung wahrscheinliche Selbstvernichtung der Menschheit und das Zutun der bundesdeutschen Politik auf dem Weg dahin – bestimmt auch die Briefe. Die Bonner Politik zeugte bereits damals von einer Kontinuität gesellschaftlicher Aggressionsbereitschaft, die für Schmidt unerträglich war. In den Briefen kommt es zu ganz praktischen Schlußfolgerungen: Der Autor erwägt immer wieder auszuwandern – z. B. in die DDR. Er korrespondiert mit Heinrich Böll, um von ihm Ratschläge für eine Auswanderung ins »atomsichere« Irland zu erhalten. Einladungen zu Treffen mit SPD-Spitzenleuten nach Bonn sagt er Ende 1957 ab mit Sätzen wie: »zu begrüßen wäre es, wenn die Herren von der SPD anstatt zur Wiederaufrüstung einmal den wenigen guten linken Leuten ja sagten.«
Schmidt trat weder dem PEN noch der Gruppe 47 bei (»Ich eigne mich nicht als Mannequin.«), hielt aber – vermittelt durch Peter Rühmkorf – Kontakt zu Antiwiederbewaffnungspublikationen wie konkret und dessen Vorläufern. Er schützte Arbeitsüberlastung vor, um Besucher abzuwimmeln, ließ seine Frau »schwer erkranken«, wenn er ein zugesagtes Treffen vermeiden wollte, antwortete auf Briefe erst gar nicht etc. Das Buch enthält in der Summe jedoch – wie Schmidts Werk – vor allem eine Absage an die Bundesrepublik und ihren Literaturbetrieb. Kultur und Politik dieses Landes waren ihm eine Zumutung – eine Angelegenheit, die er nicht eifernd bekämpft.
Diese Position ist es, neben seiner Beherrschung des »vollständigen Deutsch« (Peter Hacks), die ihn denen überlegen macht, mit denen er Briefe wechselt. Sie alle standen der Bundesrepublik mehr oder weniger distanziert gegenüber, in der Schärfe der Analyse, des Urteils und der aufklärerischen Treffsicherheit übertraf Schmidt sie aber: Böll, Karlheinz Deschner, Alfred Döblin, Kasimir Edschmid, Hermann Hesse, Hans Henny Jahnn, Ernst Kreuder, Peter Rühmkorf, Max Stefl oder Martin Walser. Möglich, daß es zwei Ausnahmen gab. Dem Band ist zu entnehmen: Werner Steinberg unterrichtete 1956 Schmidt davon, daß er in die DDR ziehen werde. Schmidt antwortete, »die Himmelsrichtung« leuchte ihm ein, seine »Sympathien für eben dieselbe« seien »bedeutend stärker als die für die entgegengesetzte Richtung«. Für sich als »Formalisten« sehe er dort aber »keinerlei Möglichkeit«. Er hatte recht: Die erste ostdeutsche Schmidt-Edition erschien 1982.
Die andere Ausnahme war vermutlich Peter Hacks, der vor Steinberg in die DDR gegangen war und Schmidt einmal als »an Bargfeld gefesselten Prometheus« bezeichnete. Von ihm ist ein Brief an Schmidt aus dem Jahr 1960 abgedruckt, der offenbar nicht beantwortet wurde: »Sie haben einige bleibende Mittel erfunden, um Unwesentliches literarisch zu formulieren. Diese Vorzüge sichern Ihnen meine Hochachtung. Ich wünschte natürlich, Sie würden sich mit gleichem Eifer und Erfolg um die wichtigen Gegenstände dieser Welt bemühen. Aber vermutlich haben Sie keine Lust dazu…« Schmidt hatte sie in der Bundesrepublik der 50er verloren.
* Sämtliche Illustrationen in der Printausgabe dieser Beilage sind dem im folgenen rezensierten Band »Rudolf Stumberger: Klassen-Bilder. Sozialdokumentarische Fotografie 1900–1945«, UVK, Konstanz 2007, entnommen und erscheinen mit freundlicher Genehmigung des Verlags.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!