Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: kinder, Beilage der jW vom 28.05.2008

In der Rushhour des Lebens

Alle reden von der Familie, nur: Immer weniger können sie sich leisten
Von Robert Best
Max, 7 Jahre alt
Max, 7 Jahre alt

In Zeiten, wo der Familie Skepsis und Beschwörungsrituale gleichermaßen zuteil werden, sieht sich das Bundesfamilienministerium zu kategorischen Imperativen veranlaßt: »Mehr Familie wagen!« heißt es im letzten Familienbericht. Daß die Geburtenraten zurückgehen und die Deutschen aussterben würden, malt man ja eh seit Jahr und Tag als Schreckgespenst an jede Wand. Auch zwei Jahre nach Eva Herman und Frank Schirrmacher werden Autoren nicht müde, Bücher zu schreiben, die vor allem den Zweck verfolgen, das bürgerliche Familienmodell als einzig gültige Lebensform menschlicher Kollektive zu verkaufen. (Und das Proletariat von der Revolution abzuhalten natürlich.)
Fest sitzt sie vor allem auf der Brust der Jugendlichen, die Familienpistole. »Die Familie muß gestärkt werden«, sagt die Kanzlerin. Spätestens seit der »Unterschichtendebatte« und mehreren Kindstötungsskandalen scheint die Zeit reif für warnende Worte, auch aus dem Mund von CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla: Die Ursache von sozialer Abkopplung sei nicht primär »materielle Armut«, sondern mangelnde Erziehungsfähigkeit der Eltern.

So viel Idealismus muß man sich leisten können. Noch kann man: Arbeitslose unter 26 werden per ALG-II-Kürzung wieder ins Elternhaus abgeschoben. Eine eigene Wohnung? Unbezahlbar. Ein paar Zahlen: Laut der letzten Shell-Jugendstudie meinen 72 Prozent der Jugendlichen im Alter von 18 bis 21 Jahren, daß ein glückliches Leben ohne Familie nicht möglich sei. Wieder 73 Prozent der Jugendlichen wohnen bei ihren Eltern, nur knapp die Hälfte zieht in den nächsten vier Jahren aus. 43 Prozent der Männer und 23 Prozent der Frauen von 18 bis 39 sagen, »persönliche Freizeitinteressen (Sport, Hobbies, Reisen...)« seien ihnen wichtiger als »zu heiraten und eine Familie zu gründen«.

Zum glücklichen Leben, das nur mit Familie möglich sei, will das nicht recht passen. Vermehrung verliert gegen Freizeit. Traute Heime werden nicht mehr selbst aufgebaut, sondern bei Mama und Papa gesucht. Das Aufbruchspathos, das sich Wirtschaftswunderknaben, 68er und New-Economy-Yuppies noch irgendwie teilten, hat in den Zukunftsplänen heutiger Jugendlicher keinen Platz mehr.

Die traditionell von der bürgerlichen Familie verkörperten Werte reichen nicht mehr hin, um selbst eine zu gründen. Außerdem sind Bindungen und Kinder nicht nur in der Freizeit belastend, sondern auch beruflich riskant. Paradoxerweise sind es gerade die spärlich gesäten Erleichterungen für berufstätige Eltern, die zum Karriere-Bumerang werden können. Bekanntlich traut sich kaum ein Vater, die volle Elternzeit in Anspruch zu nehmen, weil er glaubt, damit seine Position im Job zu verspielen. Ganz zu schweigen von der Mutter, die mangels Krippenplatz fürs Baby auch ihre Halbtagsstelle aufgeben muß. In den alten Bundesländern gibt es etwa neunmal soviele Kinder bis drei Jahre wie Krippenplätze.

Ein Kind bedeutet dann eine Zäsur, die den Verlust der Stellung, karrieredien­licher Beziehungen oder des Arbeitsplatzes nach sich zieht. Bei jungen Frauen sind laut Shell-Studie »Ausbildung, berufliche Integration und Partnerschaft mit Familiengründung in einem sehr kurzen Zeitfenster komprimiert«, sie nennen es die »Rushhour des Lebens«.

Drastischer schildert der Betreuer einer Bremer Jugendwohngruppe, Frank Nachtigal, die Situation der unteren Klassen: Die Arbeitslosigkeit schaffe immer mehr perspektivlose Menschen, unter ihnen auch viele Jugendliche. Manche erblicken in einem Kind eine Gelegenheit, an Geld zu kommen, genauer: an Kindergeld. Gleichwohl, so Nachtigal, sei unter seinen Jugendlichen die Sehnsucht nach einer liebevollen Beziehung, die sie selten jemals erfahren haben, so ausgeprägt wie nirgends sonst. Am Ende fehlt es oft an Zielen und Konzepten fürs eigene Leben und dadurch auch für das des Kindes. Die typischen Akademikerängste aber vor Ausgrenzung oder Wohlstandsverlust entfallen als Argumente gegen den Nachwuchs.

Klassenübergreifend werden hier vor allem die Klassiker Krieg, Umweltzerstörung und Überbevölkerung genannt. Wenn wir die Erde nur von unseren Kindern geliehen haben, wie das alte Sprichwort sagt, ist es vielleicht besser, die Eigentümer des desolaten Planeten gar nicht erst zur Welt zu bringen oder aber gerade deshalb.


Für die Illustrationen dieser Beilage danken wir den Schülerinnen und Schülern der Klasse 2c der Berliner »Sonnenblumen-Grundschule«.

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