So und nicht anders
Von Alexander ReichSämtliche Abbildungen dieser Beilage sind dem hier besprochenen Band entnommen und erscheinen mit freundlicher Genehmigung des Verlags.
Camilo Cienfuegos liest die Revolución, 26. Juli 1959«. So steht es in einem neuen Bildband unter diesem Foto von Roberto Salas (der seine Kodak-Packung auf dem Tisch ganz vorn sicherlich nicht übersehen hat). Es sind bei weitem nicht alle 200 Bilder und 70 Revolutionsplakate beschriftet, das Register hält Pointen bereit, vermerkt zur unscharfen Doppelseite 140/141: die von Fidel Castro in Brand geschossene Hudson, Schweinebucht '61.
Cienfuegos ist im hinteren Teil der Parteizeitung angekommen, die er tatsächlich liest. Sein Zeigefinger steckt zwischen zwei Seiten, auf die er zurückkommen will. Es sieht nicht unbedingt danach aus, aber er sollte in Feiertagslaune sein.
26. Juli 1953 – 160 Männer um Fidel Castro scheitern beim Sturm auf die Militärfestung von Santiago de Cuba, 61 werden totgefoltert, Castro kommt in Haft, gründet nach der Freilassung den Movimiento 26 de Julio, kurz M-26-7, Farben: schwarz-rot.
Anfang 1957 – ein gutes Dutzend Guerilleros (darunter Castro, Ché und Cienfuegos) zieht in der tiefsten Provinz immer mehr urwüchsige Typen auf seine Seite. Landarbeiter mit klaren Vorstellungen davon, wie es in der Welt gerecht zugehen müßte. Der M-26-7 lebt ihnen in den Gebirgswäldern der Sierra Maestra vor, was zu machen ist. Wenn ein Guerillero mal fünf Packungen Zigaretten geschickt bekommt, legt er keine für sich beiseite. Und wirklich alle bleiben unter widrigsten Bedingungen entschlossen.
Mitte 1958 – Castro ernennt Ché und Cienfuegos zu den ersten Comandantes. Cienfuegos befehligt die Kolonne Nr. 2 »Antonio Maceo« (ein Held aus dem Bürgerkrieg gegen die spanischen Kolonialherren, Mulatte). Erst wird das zweitgrößte Gebirge Kubas befreit, dann Provinz um Provinz, wobei es oft auf die Vereinigung zersplitterter Widerstandsgruppen ankommt. Als fünftletzte Stadt fällt Yaguajay, weil Cienfuegos die Zuckerarbeiter rumkriegt, nicht zuletzt mit Humor. Er ist so witzig wie ausgekocht. Einen wie Cienfuegos nennt der Volksmund Jodedor.
Das Bild, das ihn bei der Zeitungslektüre zeigt, ist nur eins von sogar über 200 aus dem Bildband »Kuba. Bilder einer Revolution«. Die meisten zeigen Revolutionsführer. Man nimmt auf diesen Fotos erst Ausdrücke in Gesichtzügen wahr oder Gesten, dann lange Haare und schließlich Uniformen, die den Eindruck eher abrunden, vollenden. So sehen Freiheitskämpfer aus. So und nicht anders. Zum Sterben schön, noch für die vielen Mädchen in der Welt von morgen, die den Ché in ihren Zimmern hängen haben werden. Merke: Je weiter weg von den Universitäten, desto schöner macht Revolution. Und wer sich in der Provinz bewährt hat, hebt nicht ab, wenn der bewaffnete Kampf mal (bis auf weiteres) im Triumphzug endet.
2. Januar 1959 – Castro zieht in Santiago ein, Cienfuegos setzt bei Havanna letzte Generäle gefangen; Sieg auf der ganzen Linie. Castro zieht auf Umwegen in die Hauptstadt. Ein Moment seiner Ankunft am Malecón von Havanna ist im Bildband auf Seite 120/121 festgehalten. Castro ist unter Hunderten von Menschen – darunter wenig Weiße und Frauen – kaum auszumachen. Einige wenige schwenken Hüte oder die neuen Fähnchen des Landes. Manche sehen erschöpft aus. Die meisten wissen nicht recht, in was sie da hineingeraten sind, wirken weder begeistert noch sonst irgendwas. Viel zähes Material, dessen Umformung über den Erfolg der Revolution entscheiden wird.
Auf dem Land gibt es zu dieser Zeit die ersten Enteignungen, die mit dem Agrargesetz im Februar legalisiert werden. Das obere Drittel des Bildes von Castros Ankunft in Havanna ist voller Leuchtreklamen: Firestone, Coca Cola, Delta Air Lines – wird alles bald abmontiert. Ganz oben über der Szenerie thront ein Reiterdenkmal von Antonio Maceo. Es ist nicht zuletzt dessen Kampf für nationale Selbstbestimmung, den Castro weiterführt, nachdem die Insel von einer spanischen zu einer US-amerikanischen Kolonie geworden, also vom Regen in die Traufe gekommen war. Vor allem dabei kann er auf den gesunden Anarchismus seiner Landsleute zählen.
Der Herausgeber des rezensierten Bandes, Harald Falckenberg, nimmt für sich in Anspruch, »eine umfassende Werkschau kubanischer Revolutionsfotografie« vorgelegt zu haben. Das ist zu hoch gegriffen. Die Fotos sind älter als 40 Jahre. Und weil die Revolution trotz erheblicher Rückschläge weitergeht, kann Falckenberg nicht »umfassend« mit einer »Retrospektive« auf sie zurückblicken. Auch aus der Zeit des Umsturzes sind nicht alle berühmten Fotos enthalten. Als Beispiel mag das vom Einzug Cienfuegos' in Havanna herhalten (in einem Band aus dem Kunstmann-Verlag 2003 oder dem Deutschen Militärverlag 1963 zu finden). Gemacht hat es Alberto Korda, gelernter Modefotograf. Von ihm stammt auch das allergeläufigste Ché-Bild. Falckenberg weist in seiner Einleitung darauf hin, daß es 1960 nicht wie geplant in der Revolución erschien, sondern Giangiacomo Feltrinelli sieben Jahre später seine massenhafte Verbreitung in Gang setzte.
Im Band gibt es hübsche Korda-Bilder von Castro und Ché als Amateuren des Golfsports. Und eine Aufnahme des Comandante en jefe mit Chruschtschow im Moskauer Winter. Es gibt zwei Sorten von Äußerungen zu Kuba. Solche, die berücksichtigen, daß Castro im April 1961 den »marxistisch-leninistischen Charakter« der kubanischen Revolution deklarierte. Und solche, die sein Verhältnis zur Sowjetunion kleinreden.
Wie Falckenberg das hält, ist aus seiner Biographie erklärbar: 1979 wurde er Geschäftsführer einer GmbH seines Schwagers, die Zapfpistolen für Tankstellen herstellt, was bis heute sehr profitabel ist. 1994 begann er mit dem Sammeln von Kunst, vor allem »Kunst der Postmoderne«, wie er sagt. Seine Sammlung ist in den ehemaligen Fabrikhallen der Phoenix-Werke in Hamburg-Harburg untergebracht. Wenn so einer diesen Bildband rausbringt, muß er darin behaupten: »Zum orthodoxen Kommunismus Moskaus hat Castro nie ein näheres Verhältnis gefunden«.
Noch weiter geht in dieser Richtung der Karlsruher Kunstprofessor Boris Groys, der im Band über das Castro-Chruschtschow-Bild spekuliert: »Fidel sieht komplett deplaziert, desorientiert und verblüfft aus – nicht zuletzt vom russischen Schnee. Wenn es ein Bild gibt, das die Unvereinbarkeit der russischen und der kubanischen Revolution zeigt, dann dieses. Die kubanische Revolution manifestiert sich auf allen anderen Bildern [des Bandes] nämlich als Karneval, für dessen Gelingen man Wärme und gut gebaute menschliche Körper braucht.«
Nun ist Groys (gebürtiger Ostberliner, der 1981 rübermachte, nachdem er in Leningrad Philosophie und Mathematik studiert hatte) beileibe nicht ohne Verdienste. In seinem Hanser-Bändchen »Gesamtkunstwerk Stalin« (1988) z.B. belegt er mit geeigneten Zitaten von Tretjakow, Schdanow und Stalin Unsägliches: »Die Stalinzeit erfüllte die Hauptforderung der Avantgarde, die Kunst solle von der Darstellung des Lebens zu seiner Umgestaltung im Rahmen eines totalen ästhetisch-politischen Plans übergehen; damit wurde die Stalinsche Poetik (...) unmittelbare Erbin des künstlerischen Konstruktivismus.«
Was Groys mit seiner »Bildbeschreibung« falsch verdeutlicht, bleibt abgeschwächt trotzdem richtig. Der Unterschied zwischen den Kader-Bürokraten der UdSSr und den kubanischen Revolutionsführern ist frappierend, gerade von der Optik her. Die Kommunisten aus der Karibik erscheinen mit ihrem anarchistischen Charisma als freiere Menschen, weil sie – mit Groys – »keineswegs in plakativ erstarrten konventionell revolutionären Posen gezeigt werden. Ganz im Gegenteil: Ihre Figuren und Gesichter sind beweglich, von der Stimmung des Augenblicks abhängig. Und sehr oft sie die Bilder, die Fidel und Che darstellen, von humorvoller, wenn nicht ironischer Grundstimmung geprägt.«
Mit der Ironie ist es dann allerdings wieder so eine Sache. Sie ist genauso mit Vorsicht zu genießen wie Groys' Eindruck, daß »auf fast allen Fotos (...) Fidel oder Ché« zu sehen seien. Groys weiß möglicherweise nicht sehr genau, wie Fidel Castro aussieht. »Durchaus ironisch ist auch das Foto, das Fidel im Schlaf unter einem kitschigen Bild zeigt, das eine halbnackte Dame darstellt«, schreibt der Professor. Daß es sich bei dem Schlafenden auf dem gemeinten Bild um einen unbekannten Soldaten handelt, nicht um Castro, ist äußerst augenfällig. Eine blöde Verwechslung? Vielleicht nicht. Vielleicht hat Groys in Leningrad verinnerlicht, daß die Revolution gelingt, indem der Revolutionsführer sich in jedem einzelnen materialisiert (von wegen »zähes Material«), daß deshalb für Kuba gilt: Elf Millionen Fidels sollt ihr sein!
Im heutigen Kuba ist es mit diesem Pathos nicht mehr ganz so weit her. Zumindest die Jugend in den Städten ist zum großen Teil gebannt von den Verheißungen des Westens, den vielen Möglichkeiten, die nicht jeder nutzen kann. Aber fast weltweit wird die Gleichheit abgeschafft, so what? Man kann dieser Jugend das So-Denken kaum verdenken, zumal ja inzwischen selbst die Gusanos (Würmer) der ersten Auswanderungswellen gern mal wieder vorbeischauen auf der Insel. Man muß sich das vorstellen wie eine DDR voller Westtouristen und Intershop-Warenhäuser, in der schwer kapierbar ist, was man fürs Mittun drangeben müßte.
Flake, Keyboarder von Rammstein (einer Band, die aus dem besteht, was von der DDR-Punkband Feeling B verkäuflich war: das schlechteste), hat es gegenüber Spiegel online kürzlich so formuliert: »Jetzt passiert durch den Kapitalismus so viel Dreck hier um mich herum. Weil so viele Menschen irgendwelchen Mist machen, nur um Geld zu verdienen. Das nervt mich. Bis heute fehlt mir die DDR sehr.« Ein untergegangener Staat, der es bei aller Niedrigkeit als seine Aufgabe begriff, den Bürgern Freiräume freizuräumen, in denen sie ohne ökonomische Zwänge in den Tag hinein leben konnten. Es gibt so eine sozialistische Gelassenheit heute vielleicht nur noch in Kuba, wo auch deshalb die schönsten Menschen der Welt leben.
Harald Falckenberg (Hg.): Kuba. Bilder einer Revolution. Philo Fine Arts/EVA, Hamburg 2008, 286 Seiten, 64 Euro
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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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