Im Dialog mit Kuba
Von Harald NeuberEs ist nun knapp zwei Jahre her, daß Fidel Castro aus den Regierungsgeschäften ausschied. Seitdem hat sich in Kuba viel verändert. Neue Sozialprogramme wurden aufgelegt, Wirtschaftsabkommen wurden geschlossen. Im vergangenen Sommer initiierte die Regierung in Havanna – damals noch unter dem Interimspräsidenten Raúl Castro – eine Volksbefragung zu den bestehenden Problemen des Landes. In Betriebsgruppen und Nachbarschaftskomitees nahmen Hunderttausende an der Aussprache teil. Von Stagnation und Frustration, die Kuba im Ausland gerne unterstellt werden, keine Spur. Ähnliches ist in der Außenpolitik zu beobachten. Das sozialistische Kuba baut nicht nur seine Wirtschaftskontakte zu Asien und Afrika aus, Havanna gehört sogar zu den Gründungsmitgliedern des Wirtschaftsbündnisses Bolivarische Alternative für Amerika (ALBA). Vor dem 50. Jahrestag der Revolution zeigt sich die Inselrepublik als integraler Bestandteil der lateinamerikanischen Gemeinschaft.
In Europa wird all das kaum wahrgenommen. Die Mehrheit der hiesigen Medien arbeitet sich noch immer an Fidel Castro ab, als hätte es einen Wechsel nie gegeben. Ihr politischer Tunnelblick ist verständlich: Die kubanische Realität im Jahr 2008 anzuerkennen hieße, die eigenen Fehleinschätzungen einzugestehen. Nach Fidel Castros Rückzug aus der aktiven Politik ist nichts von dem eingetreten, was westliche Medien und Politologen für die »Post-Castro-Ära« prognostiziert haben. Trotzdem ist die kubanische Gesellschaft im Umbruch. 17 Jahre nach dem Beginn der »Spezialperiode in Zeiten des Friedens«, wie die kubanische Krise nach dem Zusammenbruch des europäischen Sozialismus genannt wurde, hat sich die Wirtschaft so weit erholt, daß Reformen in Angriff genommen werden können. Mit dieser Situation befaßt sich die diesjährige Kuba-Beilage der Tageszeitung junge Welt.
Dabei kommen auch kubanische Stimmen zu Wort. Der Schriftsteller und Essayist René Vázquez Díaz schreibt nicht nur über die Veränderungen auf der Insel, sondern auch über die Irrtümer zu Kuba in Europa. Von seiner Wahlheimat Schweden aus setzt sich Vázquez Díaz mit den westlichen Verleumdungen Kubas auseinander. Kuba in Zeiten von CIA-Folterflügen und NATO-Kriegen von der europäischen Warte aus als Diktatur zu bezeichnen, sei »absurd«, urteilt er in dem Plädoyer für die Souveränität seines Heimatlandes. Trotzdem endet sein Text mit einem Zweifel: Werden die jungen Generationen den bisherigen Konsens weiterhin mittragen?
Auf die Debatte über einen Sozialismus des 21. Jahrhunderts gehen Jorge Luis Santana Pérez und Concepción Nieves Ayús ein. Die beiden Mitarbeiter des Philosophischen Instituts der Universität Havanna sehen die Diskussion über ein neues Sozialismus-Modell in Lateinamerika als große Chance. Die Lehre aus Kubas Entwicklung sei es, sich bei diesen Diskussionen nicht nur an Theorien, sondern an der Lebensrealität der Menschen zu orientieren. In Kuba sei der Sozialismus »nicht eine beliebige Option unter vielen. Er ist eine Notwendigkeit, die das Überleben, die gesellschaftliche Entwicklung, die Verteidigung und Festigung der Identität gewährleistet«, schreiben Santana Pérez und Nieves Ayús. Gerade deswegen werden auch die Fehler thematisiert. Die deutsche Lateinamerikanistin Ute Evers faßt in diesem Zusammenhang die Diskussion kubanischer Intellektueller über die »grauen fünf Jahre« zusammen – eine Zeit repressiver Kulturpolitik in den 1970ern. Daß dieser Meinungsaustausch heute von der Regierung forciert wird, zeigt die Qualität des politischen Umgangs in Kuba.
Mehrere deutsche Autoren schreiben hier über Kuba. Unter ihnen der ehemalige DDR-Ministerpräsident Hans Modrow, der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Gehrcke und der Sozialwissenschaftler Edgar Göll. Die Kuba-Beilage der Tageszeitung junge Welt liefert auch in diesem Jahr ein breites Spektrum an Beiträgen für die Diskussion. Nicht über, sondern mit Kuba.
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