Kampfansagen
Von Arnold Schölzel»Es gibt in Wahrheit und in Wirklichkeit kein anderes
System«, so der Spiegel. Karl Marx fand, diese
Betrachtungsweise ähnele derjenigen von Naturphilosophen,
»die das Fieber als den wahren Grund aller Krankheiten
ansahen«.
Das Motto »Wir zahlen nicht für eure Krise«
scheint an Popularität zu gewinnen. Ob sich daraus Widerstand
entwickelt, ist eine offene Frage. Der Klassenkampf von oben findet
derzeit unverhüllter als gewöhnlich statt: Wer 100
Milliarden Euro Bankvermögen im Casinokapitalismus verzockt,
darf mit einigen Millionen Euro Abfindung rechnen. Wer beschuldigt
wird, 1,30 Euro im Supermarkt beiseite geschafft zu haben, wird
ohne Beweis entlassen und klagt vergeblich. Das deutsche
Arbeitsrecht ist sorgfältiger als anderswo gestrickt. Den
Bundesinnenminister treibt in der gegenwärtigen Krise die
Sorge um, wie man »die Akzeptanz der Leute« behalten
kann, wie verhindert wird, daß »der Faden
abreißt«, daß die Leute das Gefühl haben,
sie zahlen »für die ›happy few‹ (die
wenigen Glücklichen)«, und deshalb sei diese
Gesellschaft von Grund auf ungerecht. Das ist die wichtigste Frage
für die da oben, ansonsten gilt: Weitermachen wie
bisher.
Zwar reichte die Empörung bislang in einigen Ländern
für einen Regierungswechsel. An der Abwälzung der
Krisenlasten auf die Lohnabhängigen hat sich aber weder in
Island noch in Lettland etwas geändert, im Gegenteil. In der
Bundesrepublik äußert sich der Unmut, indem die
Mitverantwortlichen für das Desaster, die Spitzen von SPD und
Grünen, zusammen mit der DGB-Führung Protestkundgebungen
bestreiten. Die Umverteilung von unten nach oben war die einzige
sozialpolitische Maxime, die seit dem Ende der 70er Jahre, erst
recht nach der Auflösung der DDR galt. Der entscheidende
Durchsetzungsschub kam von der Koalition aus SPD und Grünen
unter Gerhard Schröder.
Es ist konsequent, daß Sozialdemokraten derzeit an der Spitze
derer stehen, die »raffgierige Manager« und das
»Rattenrennen um Rendite« für das Desaster
verantwortlich machen. Für die Konsumenten höherwertiger
Ideologieprodukte titelte der Spiegel: »Das Prinzip Gier.
Warum der Kapitalismus nicht aus seinen Fehlern lernen kann.«
Die Antwort lautet völlig überraschend: »Es gibt in
Wahrheit und in Wirklichkeit kein anderes System.« Karl Marx
fand, diese Betrachtungsweise ähnele derjenigen von
Naturphilosophen, »die das Fieber als den wahren Grund aller
Krankheiten ansahen«. Über Esoterik solcher Art sind die
meisten bürgerlichen Ökonomen seither nicht
hinausgekommen. Das Kapitalinteresse an Gesellschaftswissenschaft
beschränkt sich auf die Tarnungsmöglichkeiten. Es gilt
aber ungeteilt dem, was der Spiegel als Resultat der Krise so
formuliert: »Nackt steht die Marktwirtschaft da, ein kaltes
Gerüst, dem Gespött ausgeliefert (…) Der
unverhüllte Kapitalismus ist allerdings ein Risiko für
den Zusammenhalt der Gesellschaft (...)« So hören sich
Kampfansagen an.
Über die Konsequenzen, die die Herrschenden aus der Krise
ziehen, und über mögliche Strategien der Beherrschten
wird auf der Tagung »Kapitalismus, Krise und Gegenwehr«
von Marx-Engels-Stiftung und junge Welt diskutiert, die am
Sonnabend, dem 6. Juni, von 11 bis 18 Uhr in der jW-Ladengalerie in
Berlin stattfindet. Die meisten Referenten der Konferenz stellen
sich in dieser Beilage mit Texten vor, weitere
Diskussionsteilnehmer sind herzlich eingeladen.
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