Fette Beute
Von Jana Frielinghaus»Pippi Langstrumpf« ist mir bis zur Volljährigkeit
vorenthalten worden. Bücher, nach denen sich Kinder wie
Erwachsene alle zehn Finger leckten, waren in der DDR oft
»Bückware«, d.h. die Buchhändlerin
mußte sich bücken, um sie für ausgewählte
Kunden unterm Ladentisch hervorzuholen. Zu diesem illustren Kreis
gehörte meine Familie nicht. Aber ich hatte ein anderes
Privileg: Ich hatte reichlich Westverwandtschaft, und die brachte
immer mal was Schönes mit – trotz des strikten und
für alle Sparten geltenden Literatureinfuhrverbots. Eine
Cousine hatte bei einem Besuch mal eine Pippi-Miniausgabe als
Reiselektüre bei sich. Ich hätte die gern wenigstens mal
geborgt. Aber die Tussi, immerhin schon so zehn Jahre alt, war von
ihrem Vater nicht zu überreden, es mir dazulassen, obwohl er
ihr immer wieder versicherte, er werde ihr zu Hause sofort ein
neues Exemplar kaufen.
Ich habe es überlebt, Jäpke, Schellen-Ursli, Maurus und
Madleina sei Dank. Es gibt diese meine Lieblingsbücher aus
Kindertagen immer noch – ziemlich aus dem Leim, verknickt,
bekritzelt, Risse mit Klebefilm papiererweichend repariert. Der
Text von »Jäpkes Traum« (von Lenore Gaul, Verlag
Heinrich Ellermann, erstmals erschienen 1954), klingt, 30 Jahre
später wiedergelesen, ziemlich wirr. Aber die Bilder sind
toll: Dieser gruselige grüne Fischgeist, der den Jungen aus
Lappland übers Meer ein gutes Stück in Richtung
Lapislazuli mitnimmt, und dieser Wasserfall, dessen Rauschen man zu
hören meint. Die frische Bergluft kann man fast riechen, wenn
man mit dem Jungen zusammen endlich der Gefangenschaft in der
finsteren Höhle entflieht. Es liegt ein unvergänglicher
Zauber in diesen Büchern. Und es sind gerade diese bunten
Geschichten ohne offensichtliche pädagogische Intention, die
Kinder am meisten faszinieren. Ihren Schöpfern –
manchmal wird das Ganze erst richtig gut, wenn große
Illustratoren selbst zur Feder greifen – gebührt ein
Ehrenplatz im Pantheon der Literaturgrößen, weil sie die
Faszination fürs Lesen wecken. Kostproben aus neueren
Büchern einiger dieser Künstler finden sich auf den
folgenden Seiten.
Später, wenn die Kinder richtig lesen können, werden auch
Bücher mit weniger Bildern interessant. Und so machte ich mich
auf die Suche, als Wiglaf Droste vor einigen Jahren in dieser
Zeitung »Mein Urgroßvater, die Helden und ich«
von James Krüss anpries. Die Kinderbibliothek hatte nur
»Mein Urgroßvater und ich«, und auch im
Buchhandel war das mit den Helden nicht zu kriegen. Das ohne die
Helden ist auch hübsch, denn es enthält fabelhafte
sprachakrobatische Gedichte. Aber jene Geschichten, die witzig und
vor allem in großartiger Sprache beschreiben, was Heldentum
nicht ist, waren nicht so leicht aufzutreiben. Im Internet gab es
das Buch – allerdings nur zu Liebhaberpreisen ab 75 Euro
aufwärts. Vielleicht hätte ich mich irgendwann im Dienste
der Aufklärung meiner Nachkommen zu dieser Investition
durchgerungen, aber zum Glück eilte Krüss-Experte Droste
selbst hülfreich herbei und besprach zwei CDs mit dem Text. Er
hat das sehr schön gemacht, und sie sind im Vergleich zu den
antiquarischen Kostbarkeiten ein echtes Schnäppchen (Kein
& Aber Records, 17,95 Euro).
kinder erscheint als Beilage der Tageszeitung junge Welt im Verlag 8. Mai GmbH, Torstraße 6, 10119 Berlin. Redaktion: Jana Frielinghaus (V. i. S. d. P.), Christof Meueler; Anzeigen: Silke Schubert; Gestaltung: Michael Sommer. Die Illustrationen dieser Beilage sind den in den Marginalien besprochenen Büchern entnommen. (Seite 1: Daniel Hager, jW)
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