Hochaktuell: Antifaschismus
Von Ulla JelpkeVor wenigen Tagen, 70 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkrieges,
hatten deutsche Soldaten wieder ein Blutbad zu verantworten. Das
ist der schockierendste Beleg dafür, wie hochaktuell der
»Tag der Erinnerung und Mahnung« ist. Denn nicht nur
die »Normalität«, daß Deutschland wieder
Krieg führt, kennzeichnet die Gegenwart – sie wird auch
durch die anhaltend hohen Straftaten von Neonazis und die Tatsache
geprägt, daß Flüchtlinge zu Tausenden im Mittelmeer
und Atlantik umkommen. Sie ertrinken und verdursten, weil sie
verzweifelt versuchen, in die »Festung Europa« zu
fliehen – Folgen einer rassistischen
Flüchtlingspolitik.
Seit 1945 wird der zweite Sonntag im September als »Tag der
Erinnerung und Mahnung« genutzt: Erinnern an die Verbrechen
der Nazifaschisten, Mahnen vor dem Wiedererstarken der braunen
Brut. Der Widerstand gegen Krieg und Rassismus gehört
untrennbar zum Antifaschismus dazu.
Leider ist dieser Auftrag hochaktuell. (Neo-)Faschismus, Rassismus
und Kriegsbereitschaft bleiben ständige Herausforderungen.
Zuerst im Osten, immer stärker aber auch im Westen der
Republik versuchen Neonazis, Hochburgen zu errichten und
auszubauen. Überfälle auf Migranten und Linke sind in den
sogenannten »national befreiten Zonen« fast schon
Alltag. Steine und Stahlkugeln fliegen auf alternative Kneipen und
linke Zentren. Fotos und Adressen von Antifaschisten werden auf
Nazi-Haß-Seiten im Internet veröffentlicht. Zumal jetzt
im Wahlkampf finden sich auch Aktivisten der Partei Die Linke, kaum
daß sie an einem Infostand auftreten, schon in Videos auf
rechten Internetseiten wieder.
Der braune Terror auf den Straßen hat sich etabliert: Fast
14000 Straftaten haben Nazis vergangenes Jahr begangen, im ersten
Halbjahr 2009 waren es knapp 7000. Durchgeführt werden die
Übergriffe in der Regel von militanten Kameradschaften oder
»autonomen Nationalisten«, dahinter jedoch stehen die
etablierten Faschisten in Form der NPD. Diese Neonazipartei
versorgt die Schläger nicht nur mit Ideologie, sondern auch
mit Veranstaltungsräumen und Dienstleistungen. Die Kameraden
helfen wiederum im Wahlkampf und füllen die
Kandidatenlisten.
Eine wichtige Rolle spielt dabei, daß die NPD dort, wo sie in
die Parlamente kommt, staatliche Gelder erhält. In Sachsen ist
sie nun wiedergewählt worden, sie hat einen festen
Wählerstamm und schlimmer noch: Sie kann jetzt wahrscheinlich
eine Landesstiftung gründen und noch mehr öffentliche
Gelder einstreichen.
Dennoch ist immer wieder festzustellen, daß die Behörden
im Kampf gegen Rechts versagen. Die Polizei nimmt
Neonazi-Straftaten häufig nicht ernst, die Bundesregierung
verharmlost den Nazi-Terror im Inland und konzentriert sich fast
ausschließlich auf vermeintliche islamistische Terroristen im
Ausland. Der Verfassungsschutz beobachtet die Antifa. Seine V-Leute
bei den Rechtsextremisten verhindern keine Straftaten, sondern
entpuppen sich häufig als Doppelagenten. Die NPD ist, obwohl
alle im Bundestag vertretenen Parteien von ihrer
Verfassungswidrigkeit überzeugt sind, nicht verboten, ein
Verbotsantrag wird nicht einmal ordentlich geprüft.
Verfassungsfeindlich agieren aber auch die Bundesregierung und die
Mehrheit des Bundestages selbst: Sie verstoßen gegen die
Friedenspflicht des Grundgesetzes und entsenden die Bundeswehr in
alle Welt, um mit militärischer Gewalt Rohstoffwege und
Machtansprüche zu behaupten.
Das Massaker, das die Bundeswehr vor wenigen Tagen bei Kundus zu
verantworten hatte, macht deutlich: Der Krieg in Afghanistan ist zu
einem schmutzigen Antiguerillakrieg geworden. Bei der
»Partisanenbekämpfung« wurde noch nie auf
Zivilisten Rücksicht genommen. Schon die kaiserlichen Soldaten
reagierten auf Aufstände in den »Schutzgebieten«
mit Gemetzeln an der Zivilbevölkerung, wie etwa
1904–1907 im heutigen Namibia.
Zum Glück ist die Entwicklung nicht nur negativ: Endlich kamen
in der vergangenen Woche die sogenannten Kriegsverräter zu
ihrem Recht. Die Urteile gegen jene Soldaten der Wehrmacht, die den
Nazigenerälen den Gehorsam verweigert und, nach Empfinden der
Wehrmachtsjustiz, »den feindlichen Mächten
Vorschub« geleistet hatten, sind jetzt pauschal aufgehoben
und als Unrechtsurteile qualifiziert worden. Das war ein langer
Kampf, doch am Ende mußten Grüne, SPD, FDP und CDU/CSU
zugeben, daß die Linkspartei, die den Antrag bereits vor
Jahren eingebracht hatte, die historischen Tatsachen auf ihrer
Seite hat. Warum sie sich so schwer taten, liegt daran, daß
Kriegsverrat eine hochaktuelle Angelegenheit ist. Darauf weist der
Wehrmachtsdeserteur Ludwig Baumann als Zeitzeuge immer wieder hin:
Angriffskriege zu »verraten«, ist immer eine richtige
Entscheidung – auch heute in Afghanistan.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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