Durchladen, Dauerfeuer!
Von Peter WolterWenn es um Widerstand gegen Hartz IV, Rente mit 67 und
Kriegspolitik geht, flackern in vielen Redaktionen Deutschlands die
roten Warnlämpchen auf. Und fallen gar die Stichworte
Linkspartei, Lafontaine und DDR, brennen die Sicherungen durch: Dem
gemeinen Redakteur tritt der Schaum vor den Mund, der Puls rast und
der Atem beginnt zu fliegen. Recherche? Fairness gar? Kannste
vergessen – durchladen, draufhalten, Dauerfeuer!
Manchmal geht so etwas aber gründlich daneben. Das ehemalige
Nachrichtenmagazin Spiegel etwa, das seit Jahren abseits jeden
journalistischen Anstands die genannten Stichworte bedient, ist
jetzt mit einem lauten Klatsch auf den Bauch gefallen: Kaum lag die
Sensationsstory über ein Techtelmechtel von Oskar Lafontaine
in Millionenauflage an den Kiosken, stellte sich heraus, daß
das zeitweise Abtauchen des Linkspartei-Chefs eine andere Ursache
hatte: Krebserkrankung. Der Spiegel hatte sich mit seinem
Rufmord-Journalismus so lächerlich gemacht, daß der
Stern in der vergangenen Woche pikiert auf Distanz ging. In dem
Zusammenhang sollte allerdings nicht verschwiegen werden, daß
an der Bauchlandung des Spiegel auch Zuträger aus der
Linkspartei beteiligt waren– laut Stern soll
Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch hinter den Kulissen
die Strippen gezogen haben.
Natürlich gibt es in Deutschland Pressefreiheit, steht ja
schließlich im Grundgesetz. In der Praxis gilt aber immer
noch die schon 44 Jahre alte Formel des Mitbegründers der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Paul Sethe: »Pressefreiheit
ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu
sagen.« Mit einer Einschränkung: heute dürften es
vielleicht gerade noch zwei Dutzend reicher Leute sein.
Die Medienkonzentration in Deutschland hat mittlerweile
lateinamerikanische Dimensionen erreicht. Die Printmedien werden im
wesentlichen vom Springer-Verlag, Bertelsmann, der WAZ-Gruppe und
Holtzbrinck beherrscht. Neoliberal sind so gut wie alle –
wobei die einen mehr zur CDU/CSU, die anderen mehr zur FDP und zur
rechten SPD neigen. Bei Rundfunk und Fernsehen sieht es nicht viel
anders aus – die öffentlich-rechtlichen Anstalten
orientieren sich immer stärker an den Privatsendern und den
Interressen der Wirtschaft. Die Tendenz zur
»Berlusconisierung« läßt sich nicht von der
Hand weisen – letztes Beispiel dafür sind die Versuche
des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU),
Einfluß auf die Besetzung des Chefredakteur-Postens beim ZDF
zu nehmen.
Der Journalist klassischer Prägung, dem es in erster Linie um
die Wahrheit und weniger um die billige Sensation geht, ist
glücklicherweise noch nicht ausgestorben. Viele Kolleginnen
und Kollegen versuchen immer wieder, sich dem
»Mainstream« entgegenzustellen. Die Berichte über
den Afghanistan-Krieg z. B. sind in den vergangenen Monaten
deutlich kritischer geworden, es gibt auch immer häufiger
Beiträge über die Verarmung vieler Menschen in
Deutschland.
Themen wie diese gehören zum täglichen Brot der jungen
Welt, die seit Jahren versucht, gegen den Strom zu schwimmen. Auch
die vorliegende Beilage dient diesem Zweck: Wir wollen einen
Beitrag dazu leisten, daß in der Öffentlichkeit mehr
über die Rolle der Medien diskutiert wird. Allein schon aus
Platzgründen mußten wir dabei viele Themen auslassen
– vorläufig jedenfalls.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
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