Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: feminismus, Beilage der jW vom 03.03.2010

Für immer Weibchen

Biologismus heute: Vom Mißbrauch der Naturwissenschaften für die Diskriminierung der Frau und die Zurichtung aller Menschen zu funktionierenden Untertanen
Von Heike Friauf
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Es bestehen tatsächlich statistisch meßbare Unterschiede zwischen Männern und Frauen.« Mit dieser bahnbrechenden Erkenntnis sorgte 2008 eine neue Autorin für Furore, Susan Pinker, in Kanada lebende Psychologin und Therapeutin verhaltensauffälliger Kinder. Ihr Buch »Das Geschlechterparadox. Über begabte Mädchen, schwierige Jungs und den wahren Unterschied zwischen Männern und Frauen« trat als wissenschaftliches Sachbuch auf. Es leidet allerdings an einem unter seriösen Naturwissenschaftlern bekannten Phänomen: Die jeweilige Ausgangslage des Beobachters oder der Beobachterin bestimmt das Untersuchungsergebnis entscheidend mit. Pinker verfügte schon über ihr Ergebnis, bevor sie die »Belege« dafür suchte. Was »wahr« ist, konnte sie daher nie herausfinden.

»Der Gedanke, daß Männer möglicherweise von Natur aus zum Wettbewerb neigen, kam mir an jenem Nachmittag, an dem ich meinen dreijährigen Neffen nach seinem Mittagsschlaf aus dem Bettchen holen wollte.« Der Junge verwickelte Pinker nämlich in einen Wettstreit darüber, ob sein Dreirad schneller sei als ihr Fahrrad. Umgehend setzte sie sich an den Schreibtisch, um möglichst viel von dem zusammenzutragen, was ihre biologistischen Grundannahmen bestätigt, daß Testosteron das Handeln der Männer steuert, daß viele Frauen im harten Berufsleben frustriert sind usw. Um ihre dünne Argumentationsbasis zu stärken, prügelte Pinker– ähnlich wie andere Verfechter solcher Thesen – auf eine Idee ein, die niemand ernsthaft vertritt, nämlich, daß Männer und Frauen »gleich« seien. Wir wissen, daß nicht einmal Frauen und Frauen, geschweige denn Männer »gleich« sind.

Wie konnte so ein dümmliches, die Frauen auf ihre überwunden geglaubte Rolle als »weiche«, kommunikationsstarke Wesen festlegendes Buch über Wochen die Feuilletons und Kultursendungen beschäftigen? Selbst von der Bundeszentrale für politische Bildung wurde es überschwenglich gelobt. Die Hauptkonsumentengruppe solcher Psychobücher ist weiblichen Geschlechts. Ohne Frauen als Käuferinnen wäre wohl auch Eva Herman 2006 mit ihrem Titel »Das Eva-Prinzip: Für eine neue Weiblichkeit« nicht zur Bestsellerautorin geworden. Im Jahr darauf veröffentlichte sie ein Buch zur Rettung der Familie, um 2008 zu erklären, »warum wir die Schöpfung nicht täuschen können«.

Öffentlich kaum wahrgenommen werden dagegen feministische Untersuchungen, die sich gegen die Flut der irrationalen Geschlechterbücher wenden. Ende 2009 erschien Frigga Haugs Artikel »Feministische Initiative zurückgewinnen«, in dem sich die Soziologin selbstkritisch mit der Entwicklung der Frauenbewegung auseinandersetzt. Haug stellt nüchtern fest, daß das »Rad der Geschichte« zurückgedreht wird, diskutiert jedoch an dieser Stelle nicht die Bedingungen für den an vielen Fronten zu beobachtenden Rollback. Diese Bedingungen aber müssen viel schärfer als bisher untersucht werden, wenn man überhaupt noch erfolgreich emanzipatorisch arbeiten will.

Elfenbeinturmfeminismus

Doch abgekoppelt von realgesellschaftlichen Entwicklungen rennen insbesondere akademisch arbeitende Feministinnen immer noch längst geöffnete Türen ein und stellen zum 100. Mal fest, daß »Geschlechterverhältnisse eine eigenständige Konfiguration sozialer, kultureller und psychischer Differenzierung« darstellen (Gudrun-Axeli Knapp, Cornelia Klinger 2008). Auf Deutsch: daß zu den Lebensbedingungen der Menschen neben Klassen- oder Schichtzugehörigkeit, Religion und Ethnie eben auch das Geschlecht gehört. Währenddessen zeigt die Maggi-Werbung im Jahr 2010 eine glückliche Mami mit einem glücklichen Töchterchen, wiederauferstanden aus dem Mief der 1950er Jahre, wie sie beide für Ehemann und Sohn kochen, was »kräftige Männer« so brauchen.

Müssen Feministinnen alles noch einmal erklären? Schlimmer noch. Ein neuer ideologischer Kampf gegen die Selbstbestimmung der Frau ist in Gang. Unter dem Deckmantel der Naturwissenschaften, mit Hilfe alter und neuer Erkenntnisse aus Gehirnforschung, Verhaltensbiologie und Genetik, wird ein Menschenbild zusammengerührt, das Frauen ihren »angestammten« Platz in der Gesellschaft zuweist, vergleichbar einem Affen in seiner Horde.

Als Bestsellerautor tut sich dieser Tage Joachim Bauer hervor, ein Professor für Psychosomatische Medizin, der mit Titeln wie »Das Gedächtnis des Körpers. Wie Beziehungen und Lebensstile unsere Gene steuern« (2002) oder »Prinzip Menschlichkeit. Warum wir von Natur aus kooperieren« (2006) die öffentliche Debatte mitbestimmt. Vor allem eines will uns der Mediziner beibiegen: Unser Bewußtsein wird nicht vom Sein bestimmt, von gegebenen sozialen oder ökonomischen Umständen, nein, es wird zu großen Teilen von biologischen Prozessen gesteuert. Übersetzt heißt das: Jeder an seinen Platz und Ruhe! Daß dieser Platz von den Profiteuren der bestehenden Gesellschaftsordnung vorbestimmt ist, also keinesfalls »naturgegeben«, wird verschwiegen.

Unsterblicher Affe in uns

Was sich nicht durch Gene erklären läßt, darf die Verhaltensbiologie herleiten. Daß der Mensch nicht einfach mit dem Tier verglichen werden kann, weil er sich nun mal zum Menschen entwickelt hat, und zwar aufgrund seiner besonderen Fähigkeit zu Tätigkeit und Reflexion, diese einfache Tatsache kann ein Verhaltensbiologe, seine Versuchstiere im Auge, schon mal vergessen. Und der Vergleich mit dem Affen wird doch wohl jedem einleuchten. Meinen jedenfalls der Biologe und sogenannte Philosoph Franz M. Wuketits (»Der Affe in uns. Warum die Kultur an unserer Natur zu scheitern droht«, 2002) und der Zoologe und Verhaltensforscher Frans de Waal (»Der Affe in uns: Warum wir sind, wie wir sind«, 2006, Taschenbuchausgabe 2009).

So lustig die Titel auch klingen, eines ist nicht zu übersehen: Was ein glühendes NSDAP-Mitglied wie der Verhaltensbiologe Konrad Lorenz vormachte, der, der mit den Graugänsen schwamm, wird heutigentags massenhaft wiederholt: die Reduktion des Menschen auf seine »Natur«. In diesen Tagen sind allerdings nicht Graugänse angesagt, sondern Ameisenhaufen. Nehmt euch ein Beispiel an den Ameisen, seht, wie ausgezeichnet sie ihren Staat organisieren, schreibt uns der Ameisenforscher und »Soziobiologe« Bert Hölldobler ins Stammbuch (»Die Ameise als Paradigma der Gesellschaftswissenschaft«, FAZ vom 27.1.2010). Das Wie kann er allerdings nicht erklären. Deshalb werden wir auch nicht erfahren, ob die Monarchie nicht doch das Nonplusultra menschlicher Verfaßtheit ist.

Die Königsdisziplin der biologistischen Welterklärung ist zweifelsohne die Gehirnforschung. Ihre Befunde erklären endlich, wie Frauen »ticken« und welche Synapsen jubeln, wenn sie sich, typisch weiblich, in andere einfühlen. Der Neurobiologe Gerald Hüther verschont dabei auch Kinder nicht mit seinen Weisheiten (»Felix und Feline entdecken das Gehirn«, 2. Auflage 2009. Davor veröffentlichte er die »Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn«, 9. Auflage 2009).

Solche »Gehirnforschung« kommt jenen Feministinnen zupaß, die ihr Selbstbewußtsein aus etwas »spezifisch Weiblichem« herleiten möchten. Tatsächliche Unterschiede zwischen männlichen, weiblichen, schwulen, lesbischen, transsexuellen oder anderen geschlechtlichen Orientierungen müssen natürlich anerkannt werden, doch darum geht es den selbsternannten Welterklärern gar nicht. Wir sollen uns den Gegebenheiten anpassen und schließlich wehrlos in den Krieg oder in unterbezahlte Fabrikarbeit gehen. Schließlich spricht hier die Wissenschaft, und die meint es doch nicht böse.

Dieser Tage weist eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung erneut auf die wachsende Armut hin, am stärksten betroffen sind Alleinerziehende, von denen die große Mehrheit Frauen sind (jW vom 18.2.2010). Schön, wenn sich die Gedemütigten damit trösten können, daß sie rein biologisch zum Leiden und Mitfühlen prädestiniert sind. Eine im November 2009 veröffentlichte Studie belegt die besonders schlechte ökonomische Lage von Frauen weltweit, mit Hungerlöhnen und fehlender sozialer Absicherung. Angesichts der realen Existenzangst von immer mehr Frauen weltweit ist es reiner Zynismus, wenn eine nordamerikanische Psychiaterin wie Susan Pinker mit Begeisterung eine Umfrage herbeizitiert, nach der 50 Prozent der befragten Frauen lieber keiner bezahlten Arbeit nachgingen, wenn sie nur »genug Geld hätten, um so angenehm zu leben, wie sie es gern täten«.

In der Psychofalle

Wo sind die Aufbrüche der 1970er Jahre geblieben? Die Soziologin Eva Illouz zeigt in ihrem Buch »Gefühle in Zeiten des Kapitalismus«, wie sich nach dem Zweiten Weltkrieg, beginnend in den USA, psychologische Beratung und Therapie zunehmend auf »normale« Leute ausrichteten und die »Arbeit an sich selbst« propagierten. Geschlechtsspezifisches Rollenverhalten mußte aufgebrochen, sexuelle Erfüllung erarbeitet, Zuhörenkönnen erlernt werden. Einerseits waren diese und andere Rationalisierungen der zwischenmenschlichen Beziehungen unvermeidlich, um das Selbstbewußtsein von Frauen zu stärken und patriarchalische Strukturen zu bekämpfen. Doch anstatt dabei die das Leben handfest bestimmenden wirtschaftlichen Verhältnisse im Blick zu haben, schauen viele von uns noch heute vor allem auf ihre Befindlichkeit, machen sich selbst verantwortlich, wenn es ihnen schlecht geht. Da kommen Erklärungen aus dem bunten Reich der Biologie zur Entlastung gerade recht.

Daß in den genannten und unzähligen vergleichbaren Gesellschaftserklärungen biologische und soziale Begriffe permanent vermengt werden, unzulässig und fachlich falsch, durchschauen die meisten nicht. Dies, obwohl der Mißbrauch der Naturwissenschaften und die Bereitschaft ihrer Vertreter, sich mißbrauchen zu lassen, gerade in Deutschland so verheerende Folgen hatte. Stimmen von Fachfrauen, die Naturwissenschaftlerinnen, die dem neuen Mißbrauch ihrer Fachrichtungen entgegentreten, sind bisher in der öffentlichen Debatte kaum zu vernehmen.

Faschisierungstendenzen

Die Philosophin Nicole C. Karafyllis kommt in ihrer Untersuchung aktueller Veröffentlichungen zur Gehirnforschung zu dem erschreckenden Ergebnis, daß sich »eine bedrückende Wiederkehr der Rassenforschung unter nationalistischen Vorzeichen« abzeichnet, »im Sinne eines ökonomischen Kampfs ums Überleben der Nation mit den besten Gehirnen«.

Die unverkennbare Wendung zum Faschismus läßt sich in vielen Bereichen ablesen, von der Remilitarisierung Deutschlands über die Verfeinerung der Überwachungsstaatsmechanismen und die schleichende Aushöhlung des Demonstrations- und Asylrechts bis hin zur Stigmatisierung von »Sozialschmarotzern«. »Herdprämie« und der Angriff auf das Recht auf Schwangerschaftsabbruch im vergangenen Jahr sollten für Frauen Warnsignal genug sein. Biologismusprediger stehen, selbst, wenn sie sich das nicht klarmachen, im Dienste des Klassenkampfes von oben, der Zementierung bestehender Herrschaftsverhältnisse. Ihre Themen sind Dominanz, Auslese, Krieg. Für Frauen ist die Rolle der Mutter und Trösterin vorgesehen. Dagegen helfen nur die Analyse der Klassenverhältnisse, verbunden mit Faschismuskritik, und Solidarität mit Menschen jeden Geschlechts, die der brutalen, angeblich naturgewollten »Auslese« tagtäglich zum Opfer fallen.

Zitierte Literatur, die nicht empfohlen wird:


Susan Pinker: Das Geschlechter-Paradox. Über begabte Mädchen, schwierige Jungs und den wahren Unterschied zwischen Männern und Frauen, DVA, München 2008, 448 S., 17,95 Euro (Taschenbuchausgabe 2009 im Münchner Pantheon Verlag erschienen, 12,95 Euro)

Eva Herman: Das Eva-Prinzip: Für eine neue Weiblichkeit. Goldmann Verlag, München 2007, 256 S., 8,95 Euro

Cornelia Klinger, Gudrun-Axeli Knapp (Hg.): ÜberKreuzungen. Fremdheit, Ungleichheit, Differenz, Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2008, 280 S., 27,90 Euro

Zum Weiterlesen:


»Elemente eines neuen linken Feminismus«. Das Argument Nr. 281, Heft 3/2009, darin Frigga Haug »Feministische Initiative zurückgewinnen«, S. 393–408, 12 Euro

Eva Illouz: Gefühle in Zeiten des Kapitalismus, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 2006, 170 S., 14,80 Euro

Nicole C. Karafyllis: Das emotionale Gehirn als Geschlechtsorgan. Gedanken zur Liebe im Zeichen der Social Neurosciences. In Das Argument Nr. 273, Heft 5–6/2007, S. 210–227

Christine Zunke: Kritik der Hirnforschung. Neurophysiologie und Willensfreiheit. Akademie Verlag, Berlin 2008, 222 S., 49,80 Euro

Gero Fischer, Maria Wölflingseder (Hg.): Biologismus – Rassismus– Nationalismus. Rechte Ideologien im Vormarsch. Promedia Verlag, Wien 1995, 264 S., 15,90 Euro

Alexander Wernecke: Biologismus und ideologischer Klassenkampf, Dietz Verlag, Berlin 1976– erstaunlich aktuell, antiquarisch erhältlich


Zu den Fotos dieser Beilage:


In der Werbung sind Frauen noch richtige Frauen, also fürs Kochen, für die Wäsche und fürs Hübschsein zuständig. Und Männer dürfen noch echte Kerle sein: Also das Gaspedal genußvoll durchtreten, heimwerkern, Stärke zeigen, Entscheidungen fällen. Daran hat sich in den Jahrzehnten, die nach Produktion der Bilder in dieser Beilage vergangen sind, wenig geändert.

Wie Werbung gestaltet ist, sagt einiges über die Vorstellungen ihrer Schöpfer, aber auch über den Entwicklungsstand dieser Gesellschaft, in der nicht wenige Herren in meinungsbildenden Medien sich diese bequeme und Sicherheit verleihende Weltordnung auch für das wirkliche Leben zurückwünschen. Manche Damen unterstützen sie in entsprechenden ideologischen Grabenkämpfen, wie die folgenden Beiträge zeigen.

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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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