Kein Denkmal. Ein Denkmal
Von Arnold SchölzelIm dänischen Exil schrieb Bertolt Brecht in den 30er Jahren
des vergangenen Jahrhunderts das Gedicht »Die unbesiegliche
Inschrift«, dem er zunächst den Titel
»Propaganda« geben wollte. Es beruht auf einer
Begebenheit, die er den 1930 auf deutsch erschienenen Erinnerungen
des italienischen Revolutionärs Giovanni Germanetto entnahm,
und beginnt mit den Zeilen: »Zur Zeit des Weltkriegs/In einer
Zelle des italienischen Gefängnisses San Carlo/Voll von
verhafteten Soldaten, Betrunkenen und Dieben/Kratzte ein
sozialistischer Soldat mit Kopierstift in die Wand: Hoch
Lenin!/Ganz oben, in der halbdunklen Zelle, kaum sichtbar, aber/Mit
ungeheuren Buchstaben geschrieben./Als die Wärter es sahen,
schickten sie einen Maler mit einem Eimer Kalk/Und mit einem
langstieligen Pinsel übertünchte er die drohende
Inschrift./Da er aber mit seinem Kalk nur die Schriftzüge
nachfuhr/Stand oben in der Zelle nun in Kalk: Hoch Lenin!«
Die Prozedur wird mit einem Maurer wiederholt, der die Inschrift
auskratzt, so daß nun »Hoch Lenin!« tief
eingeritzt dort steht. Das Gedicht endet: »Jetzt entfernt die
Mauer! sagte der Soldat.«
Das Ende der DDR feierten Rechtsstaat und Bürgerrechtler ab
1989 (ähnlich dem Vorgehen der Taliban in Afghanistan) u.a.
mit der Vernichtung von Bibliotheken und Büchern, Galerien und
Gemälden, der Beseitigung von Polikliniken und Akademien, der
Säuberung von Hochschulen und Medien. Umsichtig tauschte man
sozialistische, kommunistische und antifaschistische
Straßennamen aus. Die Clara-Zetkin-Straße in Berlin
heißt wieder nach einer Hohenzollernprinzessin. In vielen
Orten vergriffen sich die vom kommunistischen Joch
»Befreiten« an Friedhöfen und Gedenkstätten,
die den bei der Niederringung des deutschen Faschismus gefallenen
Soldaten der RotenArmee gewidmet waren, bis sich Rußland bei
der Bundesregierung nach Vertragstreue erkundigte.
Besonders wichtig war offenbar die Beseitigung des Lenin-Denkmals
auf dem nach dem russischen Revolutionär benannten Platz in
Berlin. Dessen nahm sich der Senat selbst an. Man ließ das
Stadtbezirksparlament Friedrichshain zunächst
zufriedenstellend abstimmen, dann strich Stadtentwicklungssenator
Volker Hassemer (CDU) das Lenin-Monument von der Denkmalliste, auf
die es die DDR, und nicht der Stadtbezirk, gesetzt hatte. Herr
Hassemer ist übrigens ein juristisch gebildeter
Bürger-Taliban, der heute z. B. neben Richard von
Weizsäcker oder dem Frontstadtjournalisten Jürgen Engert
dem Kuratorium der »Freunde der Antike auf der Museumsinsel
Berlin« angehört. Widerstand der Anwohner vom Leninplatz
hatte selbstverständlich keinen Erfolg – es handelte
sich nur um Ostdeutsche. Am 8. November 1991, einen Tag nach dem
Jahrestag der Oktoberrevolution, begann der Abriß, der sich
wegen andauernder Protestaktionen bis Februar 1992 verzögerte.
Den Ausradierern war der Vorgang so wichtig, daß sie die
Demontage des Denkmalkopfes in die westdeutsche DDR-Blödelei
»Good by Lenin« einfügten. Die 129 Teile des
Denkmals wurden in einer Sandgrube versenkt. 2009 streute man
Gerüchte, den Kopf zusammen mit Teilen anderer geschliffener
Denkmale auf Dauer in der Zitadelle Spandau auszustellen. Die
Westberliner Frontstadtpresse reagierte mit viel Schaum. Das
Denkmal ist weg und doch da.
Das hat Peter Hacks gewußt, wie in seinem Gedicht
»Denkmal für ein Denkmal« nachzulesen ist. Es
beginnt mit den Zeilen: »Was für ein roter Fels im
Heidesand, /Wirre Blöcke, ungefügte Kloben?/Wie
gelangt Granit ins märkische Land?/Welche Eiszeit hat ihn
hergeschoben?« Es endet: »Terror kann der Leninbilder
spotten, /Doch nicht Lenins Wort im Wald versenken./Terror kann die
Denkmäler verschrotten, /Nicht das Denken.«
Reaktionäre hinterlassen stets viele Tote und Dummheiten. Die
Konterrevolutionäre von 1989/90 begannen mit letzteren und
lassen seither mehr und mehr Kriegstote folgen. Ihr Problem: Lenin
hat auch diesen Ablauf schon notiert. Weil er zur Gegenwart eine
Menge zu sagen hat, ist das beseitigte Denkmal immer noch eins. Es
denkt im Lande.
Von Hugo Chávez empfohlen: Lenins »Was tun? Brennende Fragen unserer Bewegung«. Eine Diskussion mit Ellen Brombacher, Willi Gerns und Erich Hahn, Moderation: Arnold Schölzel. Donnerstag, 22. April, 19 Uhr, jW-Ladengalerie, Torstraße 6, 10119 Berlin
Die Montagen dieser Beilage gestaltete die jW-Fotoredaktion
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