Krisendialektik
Von Arnold Schölzel
Betreffs Marx ändern sich die Dinge derzeit schneller als
gewöhnlich. Nach 1990 beförderte die
vergrößerte Bundesrepublik noch die DDR-Ausgaben der
Marxschen Schriften zusammen mit Millionen anderen Büchern auf
den Müll. Der Autor des »Kapitals« galt als toter
Hund. Ironie der Geschichte: Die Marx-Engels-Gesamtausgabe, die in
der DDR begonnen wurde, mußte auf Druck ausländischer
Wissenschaftseinrichtungen mit bundesdeutschen Mitteln
fortgeführt werden.
Dem Furor des antikommunistischen Bildersturms stand aber sehr bald
eine beharrliche Marx-Rezeption anderswo entgegen. Die Etablierung
linker Regierungen in mehreren Ländern Lateinamerikas strahlte
weltweit aus, weltweit sind Marx-Studien in den letzten Jahren
fester Teil der Hochschullehrpläne geworden.
Das Platzen der New-Economy-Blase 2001 änderte an der
zurückgebliebenen Beschäftigung mit Marx in der
Bundesrepublik wenig. Erst die heraufziehende Weltwirtschaftskrise
bewirkte seit 2007 das, was Marx mit Datum vom 24. Januar 1873
für das Nachwort zur zweiten Auflage des
»Kapitals« notierte: »Die gelehrten und
ungelehrten Wortführer der deutschen Bourgeoisie haben
›Das Kapital‹ zunächst totzuschweigen versucht,
wie ihnen das mit meinen früheren Schriften gelungen war.
Sobald diese Taktik nicht länger den Zeitverhältnissen
entsprach, schrieben sie, unter dem Vorwand, mein Buch zu
kritisieren, Anweise ›Zur Beruhigung des bürgerlichen
Bewußtseins‹«. Angesichts der damals sich
ankündigenden Weltwirtschaftkrise, die sich als Auftakt der
ersten, fast zwei Jahrzehnte währenden großen Depression
des Kapitalismus herausstellen sollte, sagte er voraus: »Die
widerspruchsvolle Bewegung der kapitalistischen Gesellschaft macht
sich dem praktischen Bourgeois am schlagendsten fühlbar in den
Wechselfällen des periodischen Zyklus, den die moderne
Industrie durchläuft, und deren Gipfelpunkt – die
allgemeine Krise. Sie ist wieder im Anmarsch, obgleich noch
begriffen in den Vorstadien, und wird durch die Allseitigkeit ihres
Schauplatzes, wie die Intensität ihre Wirkung, selbst den
Glückspilzen des neuen heiligen, preußisch-deutschen
Reichs Dialektik einpauken.«
Parallelen zu heute liegen auf der Hand. In der Bundesrepublik
erschien in den letzten Jahren eine Fülle von
Marx-Interpretationen, gleichzeitig bildeten sich inner- wie
außerhalb von Hochschulen und Universitäten Zirkel
für das Studium vor allem des »Kapital«. Beides
– die sogenannte neue Marx-Lektüre und die breite
Lesebewegung – ist der allgemeine Grund für die
Konzeption dieser jW-Beilage. Unmittelbarer Anlaß ist aber
die Konferenz »Marx 2010! Aktuelle Tendenzen der
Marxismusbeschäftigung«, die am Sonnabend, dem 12.Juni,
an der Friedrich-Schiller-Universität Jena stattfindet. Sie
wurde von der dortigen Assoziation Marxistischer Studierender (AMS)
angeregt, von der Marx-Engels-Stiftung Wuppertal organisiert und
wird von der Tageszeitung junge Welt und der SDAJ
Thüringen unterstützt. Auftakt ist bereits am Freitag,
dem 11. Juni, mit einem Vortrag des Philosophen Robert Steigerwald
unter dem Titel »Marx kommt wieder nach Jena« (18 Uhr,
Hörsaal 7, Carl-Zeiss-Straße 3). Am folgenden Tag
sprechen zwischen 11 und 18 Uhr Thomas Metscher, Hans-Peter
Brenner, Werner Seppmann, Holger Wendt und Ulf Brandenburg. Die
Moderation hat Dr. Seltsam übernommen (Hörsaal 235,
Hauptgebäude der Universität). Für die Teilnahme
werden Spenden erbeten (Freitag 2 Euro, Sonnabend 5 Euro –
ermäßigt 1 bzw. 3 Euro)
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