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Aus: antirepression, Beilage der jW vom 07.07.2010

Auch Kälber sind lernfähig

Wirtschaftskrise zeigt Grenzen des Systems. Die Machtinstrumente der Herrschenden sind aber nicht nur intakt, sondern werden weiter ausgebaut
Von Peter Wolter
»Wir zahlen nicht für eure Krise«, Demonstration am 12. Juni in
»Wir zahlen nicht für eure Krise«, Demonstration am 12. Juni in Berlin

Wer den Sozialstaat abbaut, muß den Polizeistaat aufbauen.« Auf diese simple Formel läßt sich die derzeitige Politik reduzieren – nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen anderen Ländern inner- und außerhalb Europas. Der Neoliberalismus hat weltweit dazu geführt, daß Sozialversicherungssysteme geschleift wurden, daß das Einkommen der arbeitenden Bevölkerung zurückgegangen und die Arbeitslosigkeit gewachsen ist. Zugleich sanken die Hemmungen, entgegen jedem Völkerrecht Angriffskriege zu führen: Die Bombardierung Serbiens war der erste Krieg der BRD – unter Führung von Sozialdemokraten und Grünen, wohlgemerkt. Wer es noch nicht registriert hat: Deutschland ist wieder wer.

Durch Hunger und zahlreiche lokale oder regionale Kriege hat der Neoliberalismus mittlerweile wahrscheinlich mehr Menschenleben auf dem Gewissen als der Faschismus. Die gegenwärtige Wirtschaftskrise hat zwar einmal mehr die Grenzen dieser Ideologie gezeigt. Es wäre aber falsch zu meinen, daß diese Kultur der maßlosen Bereicherung damit überwunden wäre: Ihre Machtinstrumente sind nicht nur intakt, sondern werden sogar noch weiter ausgebaut. Und im Zweifel wird eben ein anderes Land überfallen: Mal ist es der Irak, dann Afghanistan, demnächst möglicherweise der Iran oder Pakistan. Die Begründungen dafür sind ebenso vielfältig wie verlogen: Menschenrechte im allgemeinen, Frauenrechte im besonderen, Terrorismus oder auch nur die Gefahr, daß er entstehen könnte.

Innerhalb Europas kann dessen neoliberale Führungsmacht Deutschland heutzutage auf Krieg verzichten. Denn der wirtschaftliche und politische Führungsanspruch läßt sich auch institutionell durchsetzen – etwa über die EU, mit Hilfe der Maastrichter und Lissabonner Verträge. Nachdem Deutschland mit seiner Niedriglohn- und Exportpolitik mit dazu beigetragen hat, die Volkswirtschaften Griechenlands, Spaniens, Portugals, Italiens und teilweise sogar Frankreichs buchstäblich zu deindustrialisieren, stehen diese Länder im Regen. Weite Teile der jeweiligen Bevölkerung wollen das nicht mehr hinnehmen, in Griechenland zum Beispiel folgt ein Generalstreik dem anderen. Nicht nur die Bourgeoisien dieser Länder, auch die der BRD stellt sich darauf ein, daß es zu heftigen Unruhen, bis hin zu Bürgerkriegen kommt. Erst unlängst warnte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso im Gespräch mit einem britischen Spitzengewerkschafter vor einer solchen Entwicklung, wie englischsprachige Medien berichteten. Das deutsche Publikum erfuhr nichts davon. Es nahm auch kaum Notiz von der paramilitärischen Übung der Bundespolizei mit ausländischen Spezialeinsatzkräften, die kürzlich im brandenburgischen Lehnin stattfand und deren zweiter Teil vom 12. bis 23. Juli folgen soll.

Aber auch in Deutschland selbst regt sich Widerstand. Die herrschende Klasse begegnet ihm nicht nur mit verschärften Versammlungsgesetzen und der noch intensiveren Bespitzelung politischer Gegner, mit Strafverschärfungen, Tränengas, Handschellen und Gefängnissen, sondern auch mit ihrem Einfluß auf die Massenmedien. Sie schaffen die Voraussetzung dafür, daß der größte Teil der Bevölkerung brav diejenigen wählt, die sich als »geringeres Übel« präsentieren. Es war leider schon immer so, um mit Brecht zu sprechen: Die dümmsten Kälber wählen ihre Schlächter selber.

Politik gegen die Repression staatlicher Instanzen oder privatwirtschaftlicher Firmen muß sich daher auch immer gegen die gezielte Massenverdummung richten– sie muß also auch so etwas wie Medienpolitik sein. Es gilt, Zusammenhänge herzustellen, Absichten erkennbar zu machen und aufzuklären. Auch darüber, wie man sich wehren kann – es gibt kein Naturgesetz, daß Kälber dumm bleiben müssen.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!