Auch Kälber sind lernfähig
Von Peter WolterWer den Sozialstaat abbaut, muß den Polizeistaat
aufbauen.« Auf diese simple Formel läßt sich die
derzeitige Politik reduzieren – nicht nur in Deutschland,
sondern auch in vielen anderen Ländern inner- und
außerhalb Europas. Der Neoliberalismus hat weltweit dazu
geführt, daß Sozialversicherungssysteme geschleift
wurden, daß das Einkommen der arbeitenden Bevölkerung
zurückgegangen und die Arbeitslosigkeit gewachsen ist.
Zugleich sanken die Hemmungen, entgegen jedem Völkerrecht
Angriffskriege zu führen: Die Bombardierung Serbiens war der
erste Krieg der BRD – unter Führung von Sozialdemokraten
und Grünen, wohlgemerkt. Wer es noch nicht registriert hat:
Deutschland ist wieder wer.
Durch Hunger und zahlreiche lokale oder regionale Kriege hat der
Neoliberalismus mittlerweile wahrscheinlich mehr Menschenleben auf
dem Gewissen als der Faschismus. Die gegenwärtige
Wirtschaftskrise hat zwar einmal mehr die Grenzen dieser Ideologie
gezeigt. Es wäre aber falsch zu meinen, daß diese Kultur
der maßlosen Bereicherung damit überwunden wäre:
Ihre Machtinstrumente sind nicht nur intakt, sondern werden sogar
noch weiter ausgebaut. Und im Zweifel wird eben ein anderes Land
überfallen: Mal ist es der Irak, dann Afghanistan,
demnächst möglicherweise der Iran oder Pakistan. Die
Begründungen dafür sind ebenso vielfältig wie
verlogen: Menschenrechte im allgemeinen, Frauenrechte im
besonderen, Terrorismus oder auch nur die Gefahr, daß er
entstehen könnte.
Innerhalb Europas kann dessen neoliberale Führungsmacht
Deutschland heutzutage auf Krieg verzichten. Denn der
wirtschaftliche und politische Führungsanspruch
läßt sich auch institutionell durchsetzen – etwa
über die EU, mit Hilfe der Maastrichter und Lissabonner
Verträge. Nachdem Deutschland mit seiner Niedriglohn- und
Exportpolitik mit dazu beigetragen hat, die Volkswirtschaften
Griechenlands, Spaniens, Portugals, Italiens und teilweise sogar
Frankreichs buchstäblich zu deindustrialisieren, stehen diese
Länder im Regen. Weite Teile der jeweiligen Bevölkerung
wollen das nicht mehr hinnehmen, in Griechenland zum Beispiel folgt
ein Generalstreik dem anderen. Nicht nur die Bourgeoisien dieser
Länder, auch die der BRD stellt sich darauf ein, daß es
zu heftigen Unruhen, bis hin zu Bürgerkriegen kommt. Erst
unlängst warnte EU-Kommissionspräsident José
Manuel Barroso im Gespräch mit einem britischen
Spitzengewerkschafter vor einer solchen Entwicklung, wie
englischsprachige Medien berichteten. Das deutsche Publikum erfuhr
nichts davon. Es nahm auch kaum Notiz von der
paramilitärischen Übung der Bundespolizei mit
ausländischen Spezialeinsatzkräften, die kürzlich im
brandenburgischen Lehnin stattfand und deren zweiter Teil vom 12.
bis 23. Juli folgen soll.
Aber auch in Deutschland selbst regt sich Widerstand. Die
herrschende Klasse begegnet ihm nicht nur mit verschärften
Versammlungsgesetzen und der noch intensiveren Bespitzelung
politischer Gegner, mit Strafverschärfungen, Tränengas,
Handschellen und Gefängnissen, sondern auch mit ihrem
Einfluß auf die Massenmedien. Sie schaffen die Voraussetzung
dafür, daß der größte Teil der
Bevölkerung brav diejenigen wählt, die sich als
»geringeres Übel« präsentieren. Es war leider
schon immer so, um mit Brecht zu sprechen: Die dümmsten
Kälber wählen ihre Schlächter selber.
Politik gegen die Repression staatlicher Instanzen oder
privatwirtschaftlicher Firmen muß sich daher auch immer gegen
die gezielte Massenverdummung richten– sie muß also
auch so etwas wie Medienpolitik sein. Es gilt, Zusammenhänge
herzustellen, Absichten erkennbar zu machen und aufzuklären.
Auch darüber, wie man sich wehren kann – es gibt kein
Naturgesetz, daß Kälber dumm bleiben müssen.
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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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