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Aus: gewerkschaft, Beilage der jW vom 30.09.2010

Widerstand geht anders

Sollen sie Opposition gegen Sozialkürzungen organisieren oder über Nachbesserungen verhandeln? Die Gewerkschaften können sich nicht entscheiden
Von Jörn Boewe
Thessaloniki, Griechenland, 10. September 2010: Protest gegen Pr
Thessaloniki, Griechenland, 10. September 2010: Protest gegen Privatisierung staatlicher Betriebe

Gerechtigkeit geht anders« lautet das Motto der diesjährigen »Herbstaktion« des DGB. Es ist nicht ganz klar, wer der Adressat dieser Bekanntmachung sein soll. Die eigene Basis, die vielleicht noch nicht begriffen hat, was im Lande läuft? Vielleicht ist auch »die Politik« gemeint, wer immer das sein mag. Womöglich Bundeskanzlerin Angela Merkel, die »sich in der Koalition nicht durchsetzen« kann, wie der DGB-Vorsitzende Michael Sommer neulich im Kölner Stadtanzeiger analysierte. Eben noch, in der Krise war sie »die Kanzlerin der sozialen Balance«, aber auf einmal, plötzlich und unerwartet, »spart die Regierung zu Lasten der Schwächeren«. Und woran liegt es? Liberale Lausebengel und bayrische Sozialreaktionäre haben Frau Merkel als Geisel genommen:»Es kann einem übel werden, wenn man sieht, wie eine Fünf-Prozent-Partei zusammen mit einer unberechenbaren CSU die Richtung der Politik bestimmt«, erklärt uns der DGB-Chef die Welt.

Für die DGB-Gewerkschaften ist es schwer zu verstehen: Eben noch, in der Krise, waren sie gefragte Gesprächspartner im Kanzleramt, und auch die Unternehmer ließen keine Gelegenheit verstreichen, auf die Opfer hinzuweisen, die man »gemeinsam« zu erbringen bereit war, um die konjunkturelle Durststrecke durchzustehen. Tatsächlich ist man in der Bundesrepublik mehr oder weniger ohne Massenentlassungen durch die Depres­sion gekommen – abgesehen von den paar hunderttausend prekär Beschäftigten, die aber irgendwie nicht zu zählen scheinen. Daß die Leiharbeiter vor zwei Jahren als erste nach Hause geschickt wurden, war für die DGB-Gewerkschaften durchaus in Ordnung, solange man die Stammbelegschaften beisammenhalten konnte. Aber daß nun, da die Konjunktur wieder anzieht, Unternehmer und Bundesregierung nicht stracks Kurs auf die Wiedereinführung der »sozialen Marktwirtschaft« nehmen, enttäuscht unsere Arbeiterführer. Man habe »beim Einstellungsverhalten der Arbeitgeber den Eindruck, daß diese dort weitermachen, wo sie vor der Krise waren, und dies noch verschärft, indem der Beschäftigungsaufbau fast ausschließlich in mißbräuchlicher Anwendung der Leiharbeit stattfindet«, bedauert der DGB-Chef. Ja, wer hätte das ahnen können?

Immerhin, auch in diesem Elend gibt es Hoffnungsschimmer. Die IG Metall fordert in der laufenden Stahltarifrunde die Gleichstellung der Leiharbeiter. Ihre Verwaltungsstelle Salzgitter-Peine nutzt den Tarifkonflikt, um zugleich gegen »Sparpaket« und Atompolitik der Bundesregierung zu mobilisieren: »Ungerechte Sparpakete, einseitige Belastungen der Beschäftigten bei der Gesundheit, Rente erst mit 67 und eine unverantwortliche Energiepolitik mit längeren Laufzeiten der Atomkraftwerke – das ist die Bilanz der schwarz-gelben Bundesregierung. Dagegen müssen wir uns gemeinsam wehren«, heißt es in deren Aufruf für eine Großkundgebung am 29.September. Man richte sich »nicht nur an die Beschäftigten in Salzgitter und Peine, sondern auch an alle Bürgerinnen und Bürger in unserer Region«. Die Aktion finde »ganz bewußt während der Arbeitszeit statt, damit der Widerstand gegen Sparpaket und Atompolitik auch wirtschaftliche Auswirkungen auf die Unternehmen hat. Auch kann dies als ein kleiner Vorgeschmack auf die kommende Auseinandersetzung während der Atommülltransporte gesehen werden«. Nun, das ist die angemessene Sprache.

Ein anderes Flugblatt flatterte uns dieser Tage ins Haus – dieses nicht von der größten, sondern der vermutlich kleinsten Gewerkschaft der Republik. Die Frankfurter Ortsgruppe der Wobblies, der Industrial Workers of the World (IWW), verteilte es kürzlich vor den dortigen Stadtwerken. Deren Kantinenbetreiber, das zur multinationalen Compass Group gehörende Unternehmen Eurest, ist auf die Idee gekommen, Weiterbildungen für Mitarbeiter in der Freizeit durchzuführen. »Die Compass-Group hat mitten in der Krise satte Gewinne erwirtschaftet – auf dem Rücken der Mitarbeiter«, schreiben die Wobblies. »Personalabbau, ausgedünnte Schichten und unbezahlte Mehrarbeit, das ist das Rezept. So ist es kein Wunder, daß nun Schulungen ins Wochenende hinein verlegt werden.« Und sie fragen weiter: »Wie lange wollt Ihr Euch solche Übergriffe eigentlich noch gefallen lassen? Wenn Ihr Euch jetzt nicht wehrt, werdet Ihr bald jeden Samstag kommen müssen. Mal eine Schulung, mal zum Saubermachen.« Und sie schließen: »Wir können als Gewerkschaft auf die Einhaltung gesetzlicher Schutzbestimmungen und Rechte der Beschäftigten pochen. Ihre Durchsetzung aber hängt davon ab, ob die Beschäftigten sich im Betrieb gegen die Aushöhlung von Arbeitnehmerrechten zur Wehr setzen. Wenn Ihr dazu bereit seid, unterstützen wir Euch nach Kräften.« Wir geben diese Zeilen hier nicht wieder, weil wir Werbung für eine radikale Splittergruppe machen wollen (obwohl uns auch das durchaus eine Herzensangelegenheit ist). Das Flugblatt ist bemerkenswert, weil daraus die richtige Einstellung spricht. Aus dem Elend, auch aus dem, in das wir uns durch Kuschelgewerkschaften und aufs Co-Management versessene Betriebsräte haben manövrieren lassen, können wir uns nur selbst erlösen. So und nicht anders muß man die Dinge anpacken.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

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