Widerstand geht anders
Von Jörn BoeweGerechtigkeit geht anders« lautet das Motto der
diesjährigen »Herbstaktion« des DGB. Es ist nicht
ganz klar, wer der Adressat dieser Bekanntmachung sein soll. Die
eigene Basis, die vielleicht noch nicht begriffen hat, was im Lande
läuft? Vielleicht ist auch »die Politik« gemeint,
wer immer das sein mag. Womöglich Bundeskanzlerin Angela
Merkel, die »sich in der Koalition nicht durchsetzen«
kann, wie der DGB-Vorsitzende Michael Sommer neulich im Kölner
Stadtanzeiger analysierte. Eben noch, in der Krise war sie
»die Kanzlerin der sozialen Balance«, aber auf einmal,
plötzlich und unerwartet, »spart die Regierung zu Lasten
der Schwächeren«. Und woran liegt es? Liberale
Lausebengel und bayrische Sozialreaktionäre haben Frau Merkel
als Geisel genommen:»Es kann einem übel werden, wenn man
sieht, wie eine Fünf-Prozent-Partei zusammen mit einer
unberechenbaren CSU die Richtung der Politik bestimmt«,
erklärt uns der DGB-Chef die Welt.
Für die DGB-Gewerkschaften ist es schwer zu verstehen: Eben
noch, in der Krise, waren sie gefragte Gesprächspartner im
Kanzleramt, und auch die Unternehmer ließen keine Gelegenheit
verstreichen, auf die Opfer hinzuweisen, die man
»gemeinsam« zu erbringen bereit war, um die
konjunkturelle Durststrecke durchzustehen. Tatsächlich ist man
in der Bundesrepublik mehr oder weniger ohne Massenentlassungen
durch die Depression gekommen – abgesehen von den paar
hunderttausend prekär Beschäftigten, die aber irgendwie
nicht zu zählen scheinen. Daß die Leiharbeiter vor zwei
Jahren als erste nach Hause geschickt wurden, war für die
DGB-Gewerkschaften durchaus in Ordnung, solange man die
Stammbelegschaften beisammenhalten konnte. Aber daß nun, da
die Konjunktur wieder anzieht, Unternehmer und Bundesregierung
nicht stracks Kurs auf die Wiedereinführung der
»sozialen Marktwirtschaft« nehmen, enttäuscht
unsere Arbeiterführer. Man habe »beim
Einstellungsverhalten der Arbeitgeber den Eindruck, daß diese
dort weitermachen, wo sie vor der Krise waren, und dies noch
verschärft, indem der Beschäftigungsaufbau fast
ausschließlich in mißbräuchlicher Anwendung der
Leiharbeit stattfindet«, bedauert der DGB-Chef. Ja, wer
hätte das ahnen können?
Immerhin, auch in diesem Elend gibt es Hoffnungsschimmer. Die IG
Metall fordert in der laufenden Stahltarifrunde die Gleichstellung
der Leiharbeiter. Ihre Verwaltungsstelle Salzgitter-Peine nutzt den
Tarifkonflikt, um zugleich gegen »Sparpaket« und
Atompolitik der Bundesregierung zu mobilisieren: »Ungerechte
Sparpakete, einseitige Belastungen der Beschäftigten bei der
Gesundheit, Rente erst mit 67 und eine unverantwortliche
Energiepolitik mit längeren Laufzeiten der Atomkraftwerke
– das ist die Bilanz der schwarz-gelben Bundesregierung.
Dagegen müssen wir uns gemeinsam wehren«, heißt es
in deren Aufruf für eine Großkundgebung am 29.September.
Man richte sich »nicht nur an die Beschäftigten in
Salzgitter und Peine, sondern auch an alle Bürgerinnen und
Bürger in unserer Region«. Die Aktion finde »ganz
bewußt während der Arbeitszeit statt, damit der
Widerstand gegen Sparpaket und Atompolitik auch wirtschaftliche
Auswirkungen auf die Unternehmen hat. Auch kann dies als ein
kleiner Vorgeschmack auf die kommende Auseinandersetzung
während der Atommülltransporte gesehen werden«.
Nun, das ist die angemessene Sprache.
Ein anderes Flugblatt flatterte uns dieser Tage ins Haus –
dieses nicht von der größten, sondern der vermutlich
kleinsten Gewerkschaft der Republik. Die Frankfurter Ortsgruppe der
Wobblies, der Industrial Workers of the World (IWW), verteilte es
kürzlich vor den dortigen Stadtwerken. Deren
Kantinenbetreiber, das zur multinationalen Compass Group
gehörende Unternehmen Eurest, ist auf die Idee gekommen,
Weiterbildungen für Mitarbeiter in der Freizeit
durchzuführen. »Die Compass-Group hat mitten in der
Krise satte Gewinne erwirtschaftet – auf dem Rücken der
Mitarbeiter«, schreiben die Wobblies. »Personalabbau,
ausgedünnte Schichten und unbezahlte Mehrarbeit, das ist das
Rezept. So ist es kein Wunder, daß nun Schulungen ins
Wochenende hinein verlegt werden.« Und sie fragen weiter:
»Wie lange wollt Ihr Euch solche Übergriffe eigentlich
noch gefallen lassen? Wenn Ihr Euch jetzt nicht wehrt, werdet Ihr
bald jeden Samstag kommen müssen. Mal eine Schulung, mal zum
Saubermachen.« Und sie schließen: »Wir
können als Gewerkschaft auf die Einhaltung gesetzlicher
Schutzbestimmungen und Rechte der Beschäftigten pochen. Ihre
Durchsetzung aber hängt davon ab, ob die Beschäftigten
sich im Betrieb gegen die Aushöhlung von Arbeitnehmerrechten
zur Wehr setzen. Wenn Ihr dazu bereit seid, unterstützen wir
Euch nach Kräften.« Wir geben diese Zeilen hier nicht
wieder, weil wir Werbung für eine radikale Splittergruppe
machen wollen (obwohl uns auch das durchaus eine
Herzensangelegenheit ist). Das Flugblatt ist bemerkenswert, weil
daraus die richtige Einstellung spricht. Aus dem Elend, auch aus
dem, in das wir uns durch Kuschelgewerkschaften und aufs
Co-Management versessene Betriebsräte haben manövrieren
lassen, können wir uns nur selbst erlösen. So und nicht
anders muß man die Dinge anpacken.
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