Eine Unbestechliche
Von Arnold SchölzelÜber sich selbst schreibt Gisela Elsner (1937–1992) in
einem Artikel unter dem Titel »Bandwürmer im Leib des
Literaturbetriebs«, der im Oktober 1989 in der Zeitung der
DKP Unsere Zeit erschien: »Für mich gibt es heute
zweierlei Dinge, die die Wirklichkeit bestimmten. Das erste und
wichtigere ist der fortgesetzte Klassenkampf und das zweite sind
die Probleme, die durch die atomare Aufrüstung entstanden
sind. Hinzu kommt noch für mich eigentlich ein Drittes, die
hoffentlich vorübergehenden Auflösungserscheinungen in
den sozialistischen Ländern. Über sozialistische
Länder aber kann ich leider nicht schreiben. Denn wenn man
vierzehn Tage sozialistische Länder bereist, ist man noch kein
Experte für sozialistische Länder.«
Der Text ist im zweiten Band einer Sammlung von literatur- und
kulturkritischen Essays sowie politischen Beiträgen enthalten,
die unter dem Titel »Kritische Schriften« dieser Tage
im Berliner Verbrecher Verlag erscheinen. Sie enthalten Arbeiten,
die zu Lebzeiten der Autorin zerstreut für Zeitschriften,
Zeitungen oder als Rundfunkbeiträge verfaßt wurden oder
in dem 1988 veröffentlichten Essayband
»Gefahrensphären« enthalten sind. Hinzu kamen
wichtige Texte aus dem Nachlaß. Betreut wurde die Edition von
der Germanistin Christine Künzel, die im Verbrecher-Verlag
seit 2006 die Werke Elsners herausgibt. Bei den politischen
Schriften und Essays, die der erste Band enthält, fungierte
auch der Literaturwissenschaftler Kai Köhler als Herausgeber.
Dieser Band enthält außerdem Texte unter dem Titel
»Schriften zum Kommunismus und zur DKP
(1972–1990)«, die Mathias Meyers mit einem –
Silvia Markuhn und Hans Heinz Holz gewidmeten – Nachwort
versehen hat. Der zweite Band enthält lesenswerte Abhandlungen
u. a. zu Thomas Mann, zu Kleists Michael Kohlhaas, eine große
Auseinandersetzung mit Franz Kafka, aber auch eine Hommage an Clara
Zetkin sowie eine Kritik des zeitgenössischen
Feminismus.
Gisela Elsner veröffentlichte bis zu ihrem Freitod neun
Romane, zwei Bände mit Erzählungen, den erwähnten
Essayband »Gefahrensphären«, drei Hörspiele
und ein Opernlibretto. Für ihren ersten Roman »Die
Riesenzwerge« (1964) erhielt sie den internationalen
Verlegerpreis Prix Formentor. 1977 trat sie der DKP bei und wurde
in der Bundesrepublik zur literarischen Unperson. 1986 drängte
sie der damalige Rowohlt-Chef Michael Naumann, der unter Kanzler
Gerhard Schröder Kulturstaatsminister wurde, als Autorin aus
dem Verlag.
Konfrontation
Sie begriff sich als politische Schriftstellerin, was – wie sie in dem eingangs zitierten Text konstatierte – dazu führte, daß ihre Texte »von der herrschenden Kritik als banal bezeichnet« wurden. Das komme für Schriftsteller, deren Bewußtsein das Sein bestimme, »einem geistigen Todesurteil gleich«. Lieber brächten sie »die größten Tollheiten zu Papier, als Dinge darzustellen, die die Kritik für banal hält.« Sie dagegen schreibe meistenteils Satiren und müsse oft feststellen, »daß die Wirklichkeit meine satirischen Einfälle überrundet«: »Ich habe beispielsweise einmal gesagt, daß ein Grüner für ein Lebensrecht der Würmer plädiert, machte daraufhin das Fernsehen an, weil ich das einfach zu übertrieben fand, und wollte mich ablenken. Prompt war im Fernsehen eine Grüne, die für ein Lebensrecht der Würmer plädierte.« Die Konfrontation Elsners mit dem Literaturbetrieb begründete sie hier weltanschaulich: Wer davon ausgehe, daß das Sein das Bewußtsein bestimme, müsse früher oder später zu der Schlußfolgerung kommen, »daß die Wirklichkeit widerspiegelbar ist«. In den Texten dieser beiden Bände tritt aber weniger dieser philosophische Aspekt in den Vordergrund, sondern ihre politische Haltung zur bürgerlichen Gesellschaft im allgemeinen und zu der der Bundesrepublik im besonderen.Einmauerung des Inhalts
Mit dem Jahr 1970 beginnen die politischen Reflexionen, die hier zu lesen sind. Der erste Aufsatz befaßt sich mit einem scheinbar abseitigen Thema, einer Diskussion über Parteilichkeit in der Literatur. Tatsächlich enthält auch dieser Text alles, was sie in Konflikt mit dem bürgerlichen Feuilleton und der etablierten Politik bringen sollte. Sie schlägt vor, daß besser vom »Parteiergreifen« die Rede sein sollte. Allerdings erscheine ihr die Art und Weise, in der Intellektuelle dies versuchten, fragwürdig. Sie folgten nämlich einer »von den Informations-Pools betriebenen Ästhetisierung des Inhaltlichen, einer Ästhetisierung, durch die das Inhaltliche längst nicht mehr verschleiert, sondern fömlich eingemauert wird«. Den Hummer, mit dem der französische Autor Gérard de Nerval einst an der Hundeleine auf den Pariser Boulvards Gassi ging, ersetze heute »das Gassigehen mit dem Sozialismus, ein Gesellschaftsspiel, das kaum mehr Aufwand erfordern dürfte als eine Partie Mensch-ärgere-dich nicht«. Wie wenig ernst die betreffenden Autoren den Sozialismus nähmen, zeige sich an ihrem Meinungsumschlag zu Fidel Castro. Den habe nicht etwa eine Reprivatisierung der Produktionsmitttel verursacht, sondern »etwas ganz und gar Nebensächliches: die Tatsache nämlich, daß Castro einen Dichter wegen seiner Querulierereien zur Verantwortung zog.« Eine solche Position hatte in der Bundesrepublik keine Chance, schon gar nicht »in diesem angeblich so feinsinnigen Literaturbetrieb«, in dem »absoluter Terror« herrsche.
Abrechnung
Elsners Härte hat nichts mit Verhärtung zu tun. Ihre Texte sind in einem ironisch-satirischen Ton verfaßt, allerdings sind sie von gnadenloser Präzision. So, wenn sie die Regierungserklärungen der ersten fünf Bundeskanzler der Bundesrepublik unter dem Titel »Die Volkszertreter« analysiert: Von der angekündigten »Streuung von Besitz in weitem Umfang« bei Adenauer bis zu Helmut Schmidts Angebot, denen, die »bislang im Schatten der Belebung des Arbeitsmarktes gestanden hatten«, zu helfen. Aus beidem wurde nichts Richtiges – bis heute. Die Schärfe der Formulierungen etwa über den »Mehrdemokratiewager« Willy Brandt oder die »Made Morbi« alias Michail Gorbatschow entspricht der Schärfe ihrer Beobachtungen, z. B. über die Grünen-Politikerin Petra Kelly: »Ihre Rigorosität hat ihre Grenzen, wenn es darum geht, Besitzverhältnisse anzutasten.« Diese Partei mobilisiere – »gestützt auf die Macht des Irrationalismus, des Aberglaubens und des Obskurantismus« – gegen die Vernunft und die Wissenschaft, was »außer einem Patientenzustrom bei den Heilpraktikern ein Comeback der Astrologie« mit sich bringe.Sie schreibt zum 20. Todestag Che Guevaras einen Text, der zu einer Abrechnung mit »einem, der auszog, eine Revolution ohne Volk anzuzetteln«, wird. Gerade sein Scheitern und sein qualvoller Tod machten ihn für den Imperialismus als Revolutionär salonfähig. Guevara sei in der sogenannten freiheitlich-westlichen Welt »ein ungemein viel wahrerer Revolutionär als beispielsweise Lenin, dessen Revolution in den Augen der Bourgeoisie den Haken hat, daß sie, statt zu scheitern, glückte«. Sie setzt sich in einem großen Text, »Flüche einer Verfluchten«, mit dem »Bananismus« der sogenannten »friedlichen Revolution« in der DDR auseinander: »Das Abwasserrohr, aus dem das schwemmt, ist immer noch nicht zugeklemmt.« Ihre Kritik an den »Vorhütlern der zu einem AK kastrierten Arbeiterklasse«, den SED- und DDR-Politikern, fällt nicht weniger bissig aus. Von Positionen wie diesen greift sie in die Debatten der DKP ein, in deren Parteivorstand sie im Januar 1989 gewählt wurde. Sie verließ die Partei im Juni 1989. Den »Erneuerern« hielt sie vor, ihre Forderungen aus Moskau und Ost-Berlin zu importieren, der Mehrheit der DKP-Führung analog »Wirklichkeitsphobie« und Unfähigkeit, den per Direktiven aus KPdSU und SED in den Dreck hineinmanövrierten Karren wieder herauszumanövrieren«. Angesichts des Zusammenbruchs des realen Sozialismus trat sie wieder ein. Mathias Meyers resümiert: »Sie war auf eine gewisse Weise eine einzigartige Kommunistin.« Sie gehörte zu denen, die mit Blick auf Peter Hacks »unbestechlich« genannt worden sind. Deswegen, weil sie grundsätzlich und vollständig schrieb, bleiben ihre Texte mehr als Lektüre von Historie.
Gisela Elsner: Kritische Schriften. Band 1: Flüche einer Verfluchten. Verbrecher Verlag, Berlin 2011, 410 Seiten, 16 Euro
Band 2: Im literarischen Ghetto. Verbrecher Verlag, Berlin 2011,
376 Seiten, 16 Euro
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