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Aus: literatur, Beilage der jW vom 15.06.2011

Quer über ein Tal

Douglas Couplands kongeniale Biographie über den einstigen Popstar der Medienphilosophie Marshall McLuhan
Von Frank Schäfer
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Seine Vorlesungen pflegte Marshall McLuhan mit Wortspielen und Witzen einzuleiten, einerseits wohl um seine Studenten aufzuwecken, andererseits um sie aus der Reserve zu locken, zu verstören, sie vorzubereiten auf das, was dann kam– seine »Explorations«, frei extemporierte, aphoristische Gedankenexperimente, die den Zweck hatten, Ideen auszuprobieren, um auf neue Ideen zu kommen. Einer dieser Witze geht so: »Zwei Navajo-Indianer unterhalten sich mit Rauchzeichen quer über ein Tal in Arizona. Mitten in ihrem Plausch startet die Atomenergiekommission einen Atomversuch, und als der dicke Atompilz sich verzogen hat, schickt der eine Indianer dem anderen ein Rauchzeichen: ›Junge, Junge, ich wünschte, ich hätte das gesagt.‹«

Anschließend wird er mit einem rhetorischen und intellektuellen Feuerwerk, dessen Leuchtkraft ihm längst die Gunst der Studenten und den Neid der Kollegen eingetragen hatte, den philosophischen Kern des Witzes illuminiert haben. Das Medium ist die Botschaft! Neue Technologien, vor allem auf dem Feld der Massenkommunikation, bewirken unabhängig von ihren Inhalten eine Veränderung der Wahrnehmung und des Denkens, sie evozieren neue Wirklichkeiten. »Wir formen unser Werkzeug, und danach formt unser Werkzeug uns.«

Vermutlich ließ McLuhans mitreißende, zwischen Genialität und höherem Blödsinn changierende Performance das Mißverständnis entstehen, er sei ein flammender Befürworter des kulturellen Fortschritts, am Ende sogar ein Liberaler und Sympathisant der Hippies. Das Gegenteil war der Fall. Während seines zweiten Studiums in Cambridge und seiner eingehenden Beschäftigung mit Gilbert K. Chesterton konvertierte er zum Katholizismus. Er war ein Frömmler, ein elitärer, misogyner Erzreaktionär, der das Fernsehen, Boulevardmagazine, die allgegenwärtige Werbung, die ganze Massenkultur grundsätzlich verabscheute und ihr doch eine gewisse Faszination zugestehen mußte, nicht zuletzt auch, weil ihm als Kind der Weltwirtschaftskrise ihr enormes monetäres Potenzial ins Auge stach.

Er haßte den elektronischen, medialen Fortschritt, aber er wollte ihn verstehen, um nicht im »Mahlstrom« unterzugehen. »Um Ordnung in diesen aufgewirbelten Kosmos zu bringen, muß der Mensch dessen Zentrum finden.« In seinem Buch »The Gutenberg Galaxy« formulierte er erstmals so etwas wie eine Kulturtheorie. Am Anfang war die geschlossene Stammesgesellschaft, eine orale, emotional hochtemperierte Kultur in räumlicher Einheit. Mit dem Alphabet und der Verschriftlichung verliert die Sprache ihre ursprüngliche Emotionalität, sie wird vereinheitlicht, zu einem abstrakten Zeichensystem. Durch die völlige Alphabetisierung des Kollektivs infolge des Buchdrucks entsteht der emotional reduzierte, vereinzelte, in linearen Kategorien denkende »Gutenberg-Mensch«. Die elektronischen Medien haben nun einen weiteren (kultur-)evolutionären Siebenmeilenschritt zur Folge. Als Verlängerungen des Nervensystems sollen die neuen Kommunikationstechnologien, vor allem der Fernseher, die Rückführung des modernen Menschen in die ursprüngliche Stammesgesellschaft, ins »globale Dorf« ermöglichen. Diese Pointe machte seine Theorie so anschlußfähig für die Hippies. Mithilfe der Elektronik eine Reise um die Welt herum machen zu können, um dann durch den Hintereingang wieder ins Paradies zu gelangen – das mußte ihnen gefallen.

Daß dieses »globale Dorf« nicht unbedingt so paradiesisch ist, wie es zunächst scheint, das hat McLuhan früh prognostiziert. Dank seines feinen Sensoriums für »Mustererkennung«, wie es sein Biograph Douglas Coupland nennt, konnte er sich ziemlich gut einfühlen in eine virtualisierte Welt, die es so erst dreißig Jahre nach seinem Tod geben würde. »Statt sich auf eine riesige alexandrinische Bibliothek hin zu bewegen, ist die Welt ein Computer geworden, ein elektronisches Gehirn … Und so wie unsere Sinne sich nach außen begeben haben, so dringt der Große Bruder in uns ein. Folglich werden wir, wenn wir uns dieser Dynamik nicht bewußt sind, schlagartig in eine Phase panischen Schreckens hineingeraten, was genau zu unserer kleinen, von Stammestrommeln wiederhallenden Welt, zu unserer völligen Interdependenz und aufgezwungenen Koexistenz paßt.« Unser Problem ist, wir sind schlicht nicht »vorbereitet worden, die Konsequenzen eines Stammes zu akzeptieren«.

Douglas Coupland, dem man ebenfalls ein gewisses Talent bei der Mustererkennung nicht absprechen kann, wenn man etwa an seine Ethnologie des Slacker-Prekariats in »Generation X« denkt, versucht McLuhan, in seiner »Biographie« als eine Art Prophet des Internetzeitalters wiederzubeleben, weil der das Unbehagen in der virtuellen Moderne »vor langer Zeit hat kommen sehen und weil er die Ursachen dafür erkannt hat«. Sein Buch ist keine Hagiographie – McLuhans Schwächen und Charakterdefizite, etwa seine unsägliche Arroganz und Selbstverliebtheit, verschweigt er nicht – aber doch eine Werbeschrift für McLuhans Werk. Deshalb drückt er sich auch um eine Werkanalyse, um die erwartbare Kartografie seines theoretischen Kosmos’ ein wenig herum. Coupland ist eben kein Kulturphilosoph, sondern Schriftsteller, und so tauchen immer wieder die Attribute »kryptisch«, »hermetisch«, »schwer verständlich« auf, wenn es ans Eingemachte geht. Der eigentliche Grund für seine Zurückhaltung ist aber ein anderer: Man soll ihn selbst lesen, denn McLuhans schillernder, sentenziöser, enigmatischer Stil gehört unmittelbar zum Verständnis dazu. »The Medium is the Message« – bzw. »Massage«, wie McLuhan später schreibt, um den irgendwann zum Klischee geronnenen Satz zu ironisieren. Um den Massagecharakter des Werkes geht es Coupland vor allem. Er will McLuhans Bücher als literarische Artefakte verstanden wissen, die den Leser eben auch noch an ihren völlig unergründlichen Stellen affizieren können – oder vielleicht gerade hier. Nicht umsonst war Joyces »Finnegans Wake« sein »Prüfstein, an dem er nahezu seine gesamte spätere Arbeit maß«.

Couplands Buch ist auch formal eine Einführung in McLuhans Werk, weil er dessen »Mosaikstil« frei adaptiert. Er schreibt keine stringente Gelehrtenbiographie, sondern dekonstruiert dieses Genre, indem er die eigentliche Lebensbeschreibung immer wieder unterbricht durch besonders exponierte Zitate, eigene Erzählungen, autobiographische Abschweifungen, kritische Glossen, amazon-Angebote der Werke, anagrammatischen Wortreihen mit McLuhans Namen und Slogans etc. Selbstredend ist das poetologisch legitimiert. »Wenn eine Information sich an einer anderen reibt«, schreibt McLuhan, »ist das Ergebnis aufrüttelnd und fruchtbar.« Und auch wenn das mal nicht der Fall ist, Spaß macht die Lektüre trotzdem.

Douglas Coupland: Marshall McLuhan. Eine Biographie. Aus dem Amerikanischen von Nicolai von Schweder-Schreiner. Tropen Verlag bei Klett-Cotta, Stuttgart 2011, 222 Seiten, 18,95 Euro

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