Quer über ein Tal
Von Frank SchäferSeine Vorlesungen pflegte Marshall McLuhan mit Wortspielen und
Witzen einzuleiten, einerseits wohl um seine Studenten aufzuwecken,
andererseits um sie aus der Reserve zu locken, zu verstören,
sie vorzubereiten auf das, was dann kam– seine
»Explorations«, frei extemporierte, aphoristische
Gedankenexperimente, die den Zweck hatten, Ideen auszuprobieren, um
auf neue Ideen zu kommen. Einer dieser Witze geht so: »Zwei
Navajo-Indianer unterhalten sich mit Rauchzeichen quer über
ein Tal in Arizona. Mitten in ihrem Plausch startet die
Atomenergiekommission einen Atomversuch, und als der dicke Atompilz
sich verzogen hat, schickt der eine Indianer dem anderen ein
Rauchzeichen: ›Junge, Junge, ich wünschte, ich
hätte das gesagt.‹«
Anschließend wird er mit einem rhetorischen und
intellektuellen Feuerwerk, dessen Leuchtkraft ihm längst die
Gunst der Studenten und den Neid der Kollegen eingetragen hatte,
den philosophischen Kern des Witzes illuminiert haben. Das Medium
ist die Botschaft! Neue Technologien, vor allem auf dem Feld der
Massenkommunikation, bewirken unabhängig von ihren Inhalten
eine Veränderung der Wahrnehmung und des Denkens, sie
evozieren neue Wirklichkeiten. »Wir formen unser Werkzeug,
und danach formt unser Werkzeug uns.«
Vermutlich ließ McLuhans mitreißende, zwischen
Genialität und höherem Blödsinn changierende
Performance das Mißverständnis entstehen, er sei ein
flammender Befürworter des kulturellen Fortschritts, am Ende
sogar ein Liberaler und Sympathisant der Hippies. Das Gegenteil war
der Fall. Während seines zweiten Studiums in Cambridge und
seiner eingehenden Beschäftigung mit Gilbert K. Chesterton
konvertierte er zum Katholizismus. Er war ein Frömmler, ein
elitärer, misogyner Erzreaktionär, der das Fernsehen,
Boulevardmagazine, die allgegenwärtige Werbung, die ganze
Massenkultur grundsätzlich verabscheute und ihr doch eine
gewisse Faszination zugestehen mußte, nicht zuletzt auch,
weil ihm als Kind der Weltwirtschaftskrise ihr enormes
monetäres Potenzial ins Auge stach.
Er haßte den elektronischen, medialen Fortschritt, aber er
wollte ihn verstehen, um nicht im »Mahlstrom«
unterzugehen. »Um Ordnung in diesen aufgewirbelten Kosmos zu
bringen, muß der Mensch dessen Zentrum finden.« In
seinem Buch »The Gutenberg Galaxy« formulierte er
erstmals so etwas wie eine Kulturtheorie. Am Anfang war die
geschlossene Stammesgesellschaft, eine orale, emotional
hochtemperierte Kultur in räumlicher Einheit. Mit dem Alphabet
und der Verschriftlichung verliert die Sprache ihre
ursprüngliche Emotionalität, sie wird vereinheitlicht, zu
einem abstrakten Zeichensystem. Durch die völlige
Alphabetisierung des Kollektivs infolge des Buchdrucks entsteht der
emotional reduzierte, vereinzelte, in linearen Kategorien denkende
»Gutenberg-Mensch«. Die elektronischen Medien haben nun
einen weiteren (kultur-)evolutionären Siebenmeilenschritt zur
Folge. Als Verlängerungen des Nervensystems sollen die neuen
Kommunikationstechnologien, vor allem der Fernseher, die
Rückführung des modernen Menschen in die
ursprüngliche Stammesgesellschaft, ins »globale
Dorf« ermöglichen. Diese Pointe machte seine Theorie so
anschlußfähig für die Hippies. Mithilfe der
Elektronik eine Reise um die Welt herum machen zu können, um
dann durch den Hintereingang wieder ins Paradies zu gelangen
– das mußte ihnen gefallen.
Daß dieses »globale Dorf« nicht unbedingt so
paradiesisch ist, wie es zunächst scheint, das hat McLuhan
früh prognostiziert. Dank seines feinen Sensoriums für
»Mustererkennung«, wie es sein Biograph Douglas
Coupland nennt, konnte er sich ziemlich gut einfühlen in eine
virtualisierte Welt, die es so erst dreißig Jahre nach seinem
Tod geben würde. »Statt sich auf eine riesige
alexandrinische Bibliothek hin zu bewegen, ist die Welt ein
Computer geworden, ein elektronisches Gehirn … Und so wie
unsere Sinne sich nach außen begeben haben, so dringt der
Große Bruder in uns ein. Folglich werden wir, wenn wir uns
dieser Dynamik nicht bewußt sind, schlagartig in eine Phase
panischen Schreckens hineingeraten, was genau zu unserer kleinen,
von Stammestrommeln wiederhallenden Welt, zu unserer völligen
Interdependenz und aufgezwungenen Koexistenz paßt.«
Unser Problem ist, wir sind schlicht nicht »vorbereitet
worden, die Konsequenzen eines Stammes zu akzeptieren«.
Douglas Coupland, dem man ebenfalls ein gewisses Talent bei der
Mustererkennung nicht absprechen kann, wenn man etwa an seine
Ethnologie des Slacker-Prekariats in »Generation X«
denkt, versucht McLuhan, in seiner »Biographie« als
eine Art Prophet des Internetzeitalters wiederzubeleben, weil der
das Unbehagen in der virtuellen Moderne »vor langer Zeit hat
kommen sehen und weil er die Ursachen dafür erkannt
hat«. Sein Buch ist keine Hagiographie – McLuhans
Schwächen und Charakterdefizite, etwa seine unsägliche
Arroganz und Selbstverliebtheit, verschweigt er nicht – aber
doch eine Werbeschrift für McLuhans Werk. Deshalb drückt
er sich auch um eine Werkanalyse, um die erwartbare Kartografie
seines theoretischen Kosmos’ ein wenig herum. Coupland ist
eben kein Kulturphilosoph, sondern Schriftsteller, und so tauchen
immer wieder die Attribute »kryptisch«,
»hermetisch«, »schwer verständlich«
auf, wenn es ans Eingemachte geht. Der eigentliche Grund für
seine Zurückhaltung ist aber ein anderer: Man soll ihn selbst
lesen, denn McLuhans schillernder, sentenziöser, enigmatischer
Stil gehört unmittelbar zum Verständnis dazu. »The
Medium is the Message« – bzw. »Massage«,
wie McLuhan später schreibt, um den irgendwann zum Klischee
geronnenen Satz zu ironisieren. Um den Massagecharakter des Werkes
geht es Coupland vor allem. Er will McLuhans Bücher als
literarische Artefakte verstanden wissen, die den Leser eben auch
noch an ihren völlig unergründlichen Stellen affizieren
können – oder vielleicht gerade hier. Nicht umsonst war
Joyces »Finnegans Wake« sein »Prüfstein, an
dem er nahezu seine gesamte spätere Arbeit
maß«.
Couplands Buch ist auch formal eine Einführung in McLuhans
Werk, weil er dessen »Mosaikstil« frei adaptiert. Er
schreibt keine stringente Gelehrtenbiographie, sondern
dekonstruiert dieses Genre, indem er die eigentliche
Lebensbeschreibung immer wieder unterbricht durch besonders
exponierte Zitate, eigene Erzählungen, autobiographische
Abschweifungen, kritische Glossen, amazon-Angebote der Werke,
anagrammatischen Wortreihen mit McLuhans Namen und Slogans etc.
Selbstredend ist das poetologisch legitimiert. »Wenn eine
Information sich an einer anderen reibt«, schreibt McLuhan,
»ist das Ergebnis aufrüttelnd und fruchtbar.« Und
auch wenn das mal nicht der Fall ist, Spaß macht die
Lektüre trotzdem.
Douglas Coupland: Marshall McLuhan. Eine Biographie. Aus dem Amerikanischen von Nicolai von Schweder-Schreiner. Tropen Verlag bei Klett-Cotta, Stuttgart 2011, 222 Seiten, 18,95 Euro
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