Wir sind alle Terroristen
Von Ulla JelpkeDie unter humanitärem Deckmantel geführten Kolonialkriege
des Westens um Rohstoffe, Märkte und Transportwege finden ihre
Entsprechung in einer Zunahme der Repression im Inland. Wer sich
der neuen Weltordnung des Imperialismus oder der kapitalistischen
Verwertungslogik mit all ihren negativen Folgen für das
friedliche Zusammenleben der Menschen und die Umwelt widersetzt,
wird schnell zum Kriminellen, zum Staatsfeind, gar zum Terroristen
gestempelt.
Inge Viett – engagierte Antimilitaristin, aber für die
Springerpresse lebenslängliche
»Ex-RAF-Terroristin«– machte sich auf der
Rosa-Luxemburg-Konferenz der jungen Welt im Januar Gedanken
über die Legitimität von Sabotageakten gegen
Rüstungsgüter. Jetzt hat sie eine Strafanzeige wegen
eines angeblichen Aufrufs zu Straftaten am Hals. Eingestellt wurde
dagegen im vergangenen Jahr ein Ermittlungsverfahren der
Bundesanwaltschaft gegen Bundeswehroberst Georg Klein, der im
September 2009 in Afghanistan zwei Tanklastzüge bombardieren
ließ. 142 Menschen – darunter viele Zivilisten–
waren bei diesem Kriegsverbrechen getötet worden. Nicht einmal
mit einer Anzeige rechnen müssen die Hintermänner- und
-frauen dieses völkerrechtswidrigen Krieges, die immer wieder
von neuem gegen die Stimmen der Linksfraktion für eine
Fortsetzung des grundgesetzwidrigen Bundeswehrkriegseinsatzes
votieren.
Anhänger von Befreiungsbewegungen aus Sri Lanka, Kurdistan
oder Palästina, die in Deutschland völlig legaler
Tätigkeit nachgingen oder Geld für politische Gefangene
sammelten, werden willkürlich aufgrund auswärtiger
Interessen der Bundesregierung für vogelfrei erklärt. Wie
weit die rechtliche Verrohung gediehen ist, zeigte Angela Merkels
Freude, »daß es gelungen ist, bin Laden zu
töten«. Die Kanzlerin freute sich über einen Akt
extralegaler Tötung durch ein US-Kommando in einem anderen
Land. Daß bin Laden wegen der ihm zugeschriebenen
Anschläge vom 11. September 2011 in den USA weder angeklagt
noch verurteilt war, scheint ihre Stimmung nicht weiter zu
trüben. Der mutmaßliche Drahtzieher dieser
Anschläge vor zehn Jahren ist nun wohl tot – auch wenn
die USA keinerlei Beweise dafür vorlegen konnten und die
Leiche angeblich im Meer entsorgt haben. Doch die Folgen des 11.
September – Krieg und Besatzung in Afghanistan und Irak und
Ausweitung des »Antiterrorkrieges« auf Pakistan und
Jemen – dauern an.
Ohne Verfallsdatum sind auch die meisten im Namen der Terrorabwehr
erlassenen Sondergesetze in Deutschland. Daß diese und die
Aufrüstung der Polizei weniger vermeintlicher Gefahrenabwehr
dienen, sondern sich letztlich gegen jede radikalere Opposition auf
der Straße richten, bekamen im vergangenen Jahr die
Stuttgarter beim Protest gegen das Milliardengrab »S21«
ebenso zu spüren wie die Gegner des Castortransports. Geht es
nach der Dresdner Staatsanwaltschaft, dann sind bereits aktive
Antifaschisten eine kriminelle Vereinigung nach Paragraph 129 des
Strafgesetzbuches. Doch offenkundig kriminell handelte die Dresdner
Polizei, als sie im Februar anläßlich eines
Großaufmarsches von Neonazis knapp eine Million Telefondaten
ausspähte, speicherte und Gespräche mithörte, um
angeblich gewaltbereiten Antifaschisten auf die Spur zu kommen.
Auch Abgeordnete, Anwälte und Journalisten wurden Opfer dieser
Bespitzelung. Der Dresdner Polizeichef wurde mittlerweile als
Bauernopfer von seinem Posten entfernt – weil er seinen
Dienstherren, den sächsischen Innenminister Markus Ulbig
(CDU), nicht über das Ausmaß der Ausspähung
informiert hatte. Doch für verhältnismäßig
hält Sachsens oberster Verfassungshüter die
Kriminalisierung Tausender Bürger, die sich friedlich den
Neonazis in den Weg gestellt hatten, durchaus. Den Erfolg von
Zehntausenden Antifaschisten in Dresden konnte die massive
Kriminalisierung und Bespitzelung freilich nicht verhindern. Das
sollte Mut machen.
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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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