Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: antirepression, Beilage der jW vom 06.07.2011

Wir sind alle Terroristen

Wer sich gegen Krieg, Neofaschismus und Sozialabbau zur Wehr setzt, ist schnell zum Staatsfeind abgestempelt. Verantwortliche für völkerrechtswidrige Angriffskriege werden nicht belangt
Von Ulla Jelpke
Am 17. Juni durften 20 Neonazis – geschützt von 500 Polizisten –
Am 17. Juni durften 20 Neonazis – geschützt von 500 Polizisten – vor die Verlagsräume der jungen Welt ziehen

Die unter humanitärem Deckmantel geführten Kolonialkriege des Westens um Rohstoffe, Märkte und Transportwege finden ihre Entsprechung in einer Zunahme der Repression im Inland. Wer sich der neuen Weltordnung des Imperialismus oder der kapitalistischen Verwertungslogik mit all ihren negativen Folgen für das friedliche Zusammenleben der Menschen und die Umwelt widersetzt, wird schnell zum Kriminellen, zum Staatsfeind, gar zum Terroristen gestempelt.

Inge Viett – engagierte Antimilitaristin, aber für die Springerpresse lebenslängliche »Ex-RAF-Terroristin«– machte sich auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz der jungen Welt im Januar Gedanken über die Legitimität von Sabotageakten gegen Rüstungsgüter. Jetzt hat sie eine Strafanzeige wegen eines angeblichen Aufrufs zu Straftaten am Hals. Eingestellt wurde dagegen im vergangenen Jahr ein Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft gegen Bundeswehroberst Georg Klein, der im September 2009 in Afghanistan zwei Tanklastzüge bombardieren ließ. 142 Menschen – darunter viele Zivilisten– waren bei diesem Kriegsverbrechen getötet worden. Nicht einmal mit einer Anzeige rechnen müssen die Hintermänner- und -frauen dieses völkerrechtswidrigen Krieges, die immer wieder von neuem gegen die Stimmen der Linksfraktion für eine Fortsetzung des grundgesetzwidrigen Bundeswehrkriegs­einsatzes votieren.

Anhänger von Befreiungsbewegungen aus Sri Lanka, Kurdistan oder Palästina, die in Deutschland völlig legaler Tätigkeit nachgingen oder Geld für politische Gefangene sammelten, werden willkürlich aufgrund auswärtiger Interessen der Bundesregierung für vogelfrei erklärt. Wie weit die rechtliche Verrohung gediehen ist, zeigte Angela Merkels Freude, »daß es gelungen ist, bin Laden zu töten«. Die Kanzlerin freute sich über einen Akt extralegaler Tötung durch ein US-Kommando in einem anderen Land. Daß bin Laden wegen der ihm zugeschriebenen Anschläge vom 11. September 2011 in den USA weder angeklagt noch verurteilt war, scheint ihre Stimmung nicht weiter zu trüben. Der mutmaßliche Drahtzieher dieser Anschläge vor zehn Jahren ist nun wohl tot – auch wenn die USA keinerlei Beweise dafür vorlegen konnten und die Leiche angeblich im Meer entsorgt haben. Doch die Folgen des 11. September – Krieg und Besatzung in Afghanistan und Irak und Ausweitung des »Antiterrorkrieges« auf Pakistan und Jemen – dauern an.

Ohne Verfallsdatum sind auch die meisten im Namen der Terrorabwehr erlassenen Sondergesetze in Deutschland. Daß diese und die Aufrüstung der Polizei weniger vermeintlicher Gefahrenabwehr dienen, sondern sich letztlich gegen jede radikalere Opposition auf der Straße richten, bekamen im vergangenen Jahr die Stuttgarter beim Protest gegen das Milliardengrab »S21« ebenso zu spüren wie die Gegner des Castortransports. Geht es nach der Dresdner Staatsanwaltschaft, dann sind bereits aktive Antifaschisten eine kriminelle Vereinigung nach Paragraph 129 des Strafgesetzbuches. Doch offenkundig kriminell handelte die Dresdner Polizei, als sie im Februar anläßlich eines Großaufmarsches von Neonazis knapp eine Million Telefondaten ausspähte, speicherte und Gespräche mithörte, um angeblich gewaltbereiten Antifaschisten auf die Spur zu kommen. Auch Abgeordnete, Anwälte und Journalisten wurden Opfer dieser Bespitzelung. Der Dresdner Polizeichef wurde mittlerweile als Bauernopfer von seinem Posten entfernt – weil er seinen Dienstherren, den sächsischen Innenminister Markus Ulbig (CDU), nicht über das Ausmaß der Ausspähung informiert hatte. Doch für verhältnismäßig hält Sachsens oberster Verfassungshüter die Kriminalisierung Tausender Bürger, die sich friedlich den Neonazis in den Weg gestellt hatten, durchaus. Den Erfolg von Zehntausenden Antifaschisten in Dresden konnte die massive Kriminalisierung und Bespitzelung freilich nicht verhindern. Das sollte Mut machen.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

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