Empört Euch!
Von Jörn BoeweDie Tarifrunde im öffentlichen Dienst ist vorbei, am Ende stand, wie die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di es selbst nennt, ein Kompromiß »mit viel Licht, aber auch Schatten«. Zum Erzwingungsstreik, mit dem viele nach den kämpferischen Aktionen im März gerechnet hatten, kam es nicht. Obwohl einiges dafür sprach – etwa, daß ver.di durchaus mal wieder ein paar größere Aktionen vertragen könnte, um den Mitgliederschwund zu stoppen.
Die IG Metall wird ihre Entgeltrunde in diesen Tagen mit Warnstreiks und Protestaktionen eröffnen. Die Gewerkschaft fordert 6,5 Prozent, die Unternehmer bieten mit 2,57 Prozent nicht mal einen Inflationsausgleich. Auch diese Konstellation hat das Potential zu einem großen Konflikt. Aber auch hier dürfte genug Spielraum vorhanden sein, einen großen Krach abzuwenden.
Dabei würde der Republik ein bißchen Rabatz guttun, oder, wie ein Metaller kürzlich in dieser Zeitung angesichts einer angekündigten Fabrikschließung sagte: Jede Form von Ruhe ist für die Menschen in dieser Situation nicht sehr gesund. Allerdings braucht das Land mehr als eine oder zwei erfolgreiche Tarifrunden. Wir brauchen einen Kurswechsel in Europa, wie der DGB in seinem Aufruf zum 1. Mai schreibt: Investitionen in gesellschaftlich sinnvolle und ökologisch verträgliche Projekte statt Schuldenbremse und Fiskalpakt, tariflich abgesicherte Beschäftigungsverhältnisse statt Leiharbeit, Minijobs und Befristung. Die Richtung dieser Forderungen stimmt. Die Konzepte sind da, was fehlt, ist das »Empört Euch!« Was die herrschende Klasse ab und zu mal braucht, ist ein Schuß vor den Bug. 2005 und in Folge bekam sie einen solchen mit der SPD-Abspaltung WASG und dem Aufstieg der neuen Linkspartei. Die Wirkung war sofort spürbar: War Angela Merkel zunächst noch mit einem knallhart neoliberalen Katalog angetreten, schwenkte sie, einmal an der Regierung, sofort auf eine Linie, die – nicht in der ideologischen Phraseologie, aber in allen harten politischen Fragen – deutlich links von der »rot-grünen« Agenda lag. Rückblickend muß man zugeben, daß sich die Pastorentochter aus Templin als eines der größten politischen Talente der Republik erwiesen hat, was ja auch einiges über die deutschen Zustände aussagt.
Vom Linksparteischock hat sich die herrschende Klasse inzwischen erholt, und mit einem ähnlichen Impuls wie 2005 ist – zumindest auf der wahlpolitischen Ebene – nicht zu rechnen. Dort sind die harmlosen Piraten dabei, der Linken die Protestwähler abzuwerben. Die Piraten sind wahrscheinlich überwiegend ganz nette Leute. Ihr Aufstieg ist aber auch ein Symptom dafür, daß die allgemeine Verblödung heute nicht mehr systematisch von Thinktanks und Medienkonzernen betrieben werden muß, sondern womöglich schon als »App« in das Betriebssystem unseres Alltags eingebaut ist.
Wo stehen wir heute, im Mai 2012? Wir haben einen boomenden Niedriglohnsektor, die Bürger haften für die Finanzmärkte, und die Umverteilung von unten nach oben wurde in den Verfassungsrang gehoben. Alle Richtungsentscheidungen sind getroffen. Das einzige, was jetzt noch helfen kann, ist ein großer Krach.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
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