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Aus: antifaschismus, Beilage der jW vom 08.05.2013

Chancen für Antifaschisten

Die parlamentarische und juristische Aufarbeitung der NSU-Taten wird nicht zur Aufklärung führen – dazu ist eine Beschäftigung mit dem deutschen Staat und seinen Geheimdiensten nötig
Von Sebastian Carlens
Jakob Silberstein (89), Überlebender des Naziterrors, am 14. Apr
Jakob Silberstein (89), Überlebender des Naziterrors, am 14. April 2013 auf dem Appellplatz des einstigen KZ Buchenwald. Zwischen 1939 und 1945 war Silberstein in Buchenwald und Auschwitz eingesperrt; später wanderte er nach Israel aus.

Die Bundesregierung und der Bundestag werden den Verbotsantrag der Länder gegen die NPD nicht unterstützen. Bei der Abstimmung im Bundestag lehnten FDP und CDU den Antrag ab, die Grünen enthielten sich mehrheitlich. Der zweite Anlauf zum Verbot der neofaschistischen Partei beginnt bereits unter fragwürdigen Umständen. Erinnern wir uns: Ein erstes Verbotsverfahren war im März 2003 vom Bundesverfassungsgericht nicht weitergeführt worden, weil die Partei, die wegen Verfassungsfeindlichkeit verboten werden sollte, an entscheidenden Stellen von »Vertrauensleuten« der deutschen Inlandsgeheimdienste durchsetzt war. »Fehlende Staatsferne«, bemängelten die Verfassungsrichter. Oder anders ausgedrückt: Eine Partei, deren politische Linie maßgeblich von Spitzeln – hier wäre der Begriff agents provocateurs angebrachter – bestimmt wird, kann nicht verboten werden. Narrenfreiheit für Neonazis, dank des Agierens des deutschen Staates.

Diesmal sollte alles besser werden. Im »Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Prüfung der Erfolgsaussichten eines neuen NPD-Verbotsverfahrens« heißt es in der Einleitung: »Die Person, der das jeweilige Beweismittel als Autor oder Urheber inhaltlich zuzuordnen ist, [war oder ist] nach dem 1. Januar 2003 keine Quelle des Verfassungsschutzes«. Mit ihrer Unterschrift bestätigen wollten die Landesinnenminister allerdings nicht, daß dies auch wirklich stimmt – zu tief scheint nach dem Skandal um V-Leute rings um den »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) die Befürchtung zu sitzen, daß erneut hochrangige Neonazis, deren Aussagen als Beweismittel im NPD-Verbotsverfahren genutzt werden sollen, als Gewährsleute der Dienste enttarnt werden könnten. Dieselbe Sorge scheint die Bundesregierung umzutreiben. Statt dessen setzt sie wohl darauf, daß sich die NPD selbst zerlegen könnte – Ruin statt Verbot.

Der Skandal um die rechte Terrorgruppe NSU, der überhaupt erst zum zweiten Anlauf im NPD-Verbotsverfahren führte, wird derweil von den Parlamentsausschüssen in den Gerichtssaal vor dem Oberlandesgericht München verlegt werden – seit Montag muß sich dort Beate Zschäpe, die angeblich letzte Überlebende des NSU, zusammen mit vier mutmaßlichen Unterstützern der Terrorgruppe verantworten. Anderthalb Jahre nach Bekanntwerden der NSU-Taten, dem zehn Morde, zwei Anschläge und Dutzende Überfälle zur Last gelegt werden, ist wenig geklärt: Nur eine Handvoll Unterstützer sind angeklagt; die Hintergründe der einzelnen Taten sind immer noch weitgehend unklar. Im September endet die Legislaturperiode und damit auch der Untersuchungsauftrag des Bundestagsausschusses. Viele Komplexe werden dort nicht mehr behandelt werden können – und auch im Zschäpe-Prozeß keine Rolle spielen: Die Vertuschungen nach dem 4. November 2011 im Bundesamt für Verfassungsschutz beispielsweise. Die vollmundig von Regierung und Behörden zugesagte Aufklärung – sie ist im Dickicht aus föderalen Unzuständigkeiten steckengeblieben. Ein paar Behördenchefs abgetreten, ein paar peinliche Auftritte vor den Ausschüssen, eine Gedenkfeier für die Opfer – und der NSU kann Teil der bundesdeutschen Geschichte werden. Oder?

Erneut treiben Neonazis ihr bewaffnetes Unwesen in diesem Land. Der Komplex um den NSU und die deutschen Geheimdienste hat die Menschen zum Nachdenken über Rolle und Funktion des »Sicherheitsapparates« gebracht. Antifaschisten sollten dies nutzen und, über diese oder jene rechte Gruppe oder Partei hinaus, Zusammenhänge herstellen: Die parlamentarische und juristische Aufarbeitung des Terrortrios und seiner Unterstützer wird nicht zur Aufklärung führen – denn dazu ist eine Beschäftigung mit dem deutschen Staat und seinen Geheimdiensten nötig.

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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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