Deregulierungsexzesse
Von Jana FrielinghausIm Juli fand in Washington die erste Gesprächsrunde zwischen Vertretern der Europäischen Union und der US-Regierung über das geplante Transatlantische Freihandels- und Investitionsabkommen (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP, siehe dazu auch jW vom 22.7.) statt. Der Lebensmittelsektor und die Landwirtschaft werden in den Verhandlungen eine wichtige Rolle spielen. An deren Ende könnte eine Untergrabung europäischer Sozialstandards ebenso stehen wie eine Aushöhlung von ökologischen und Qualitätsanforderungen an Produktionsprozesse und von Kennzeichnungspflichten für Nahrungsmittel mit gentechnisch veränderten Komponenten. Denn bekanntlich ist etwa der Anbau von genmanipulierten Sorten auf US-amerikanischen Äckern seit über 15 Jahren Normalität. In der EU dagegen bewegt er sich noch immer im Promillebereich. Auch die EU-Verbote, in der Rindermast Wachstumshormone einzusetzen und Fleisch von so aufgezogenen Tieren zu importieren oder in der Geflügelverarbeitung Chlorbäder zur Desinfizierung einzusetzen, sind in Gefahr.
22 Organisationen aus den Bereichen Landwirtschaft, Umweltschutz und Entwicklungspolitik haben deshalb bereits im Juni anläßlich des Deutschlandbesuches von US-Präsident Barack Obama Alarm geschlagen. Sie monieren insbesondere die Intransparenz des Vorgehens. Allein deshalb müßten die Gespräche gestoppt werden, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung vom 17. Juni. Tatsächlich dringt sowohl über deren Inhalt als auch über die Zusammensetzung der Abordnungen nur wenig an die Öffentlichkeit. Chefunterhändler der EU ist der Spanier Ignacio García Bercero, der diese Position bereits bei den Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit Indien innehatte. Nach Angaben der EU-Kommission haben an den am 12. Juli beendeten Gesprächen 60 Mitarbeiter »aus den verschiedenen Generaldirektionen« teilgenommen, die sich mit den US-Partnern »in 15 Arbeitsgruppen zu den einzelnen zu verhandelnden Vertragskapiteln« trafen. Ziel des Abkommens sei es, »bestehende Gesetze besser miteinander zu vereinbaren«, heißt es in der dürren Mitteilung der Kommission zum Thema.
Inhaltlich sehen die Kritiker die Gefahr, daß etwa die Vorschriften der EU-Chemikalienverordnung REACH ausgehebelt werden könnten. Im Positionspapier der 22 wird insbesondere davor gewarnt, daß US-Konzernen mit dem Abkommen Klagerechte gegen europäische Umwelt- und Sozialgesetze eingeräumt werden sollen.
Daß die EU-Kommission längst darauf hinarbeitet, »Handelshemmnisse« aller Art für Großkonzerne zu beseitigen, zeigen unter anderem ihre Ziele bei der Neuordnung der Saatgutzulassung (siehe dazu Seite 5). Auch die eklatante Intransparenz, die bei der Zulassung von genetisch manipulierten Pflanzensorten in der EU herrscht, weist in diese Richtung. Mute Schimpf, Campaignerin bei Friends of the Earth Europe, beschreibt das zutiefst antidemokratische Vorgehen der Kommission dabei in einem Beitrag für den »kritischen Agrarbericht 2013« (zu dessen Inhalten siehe Seite 4). Das Gremium ist einerseits bestrebt, nationale Verbote solcher Pflanzen zu erschweren, unter anderem durch Vorschläge wie den, daß Voraussetzung dafür die Zustimmung der Gentechnikindustrie sein soll. Derzeit drängt die Kommission auf Neuzulassung von mehr als 25 Genpflanzensorten, nachdem in den letzten 14 Jahren lediglich drei für den Anbau in Europa zugelassen worden waren. Auch die Maissorte NK 603 gehörte zu den Favoriten der Kommission für eine Anbauzulassung – bis zur Veröffentlichung der kontrovers debattierten Studie französischer Forscher über deren Gesundheitsrisiken (siehe dazu Seite 2). Ganz oben auf der Wunschliste der Kommission stehen zwei weitere Monsanto-Maissorten, über die nach Angaben von Mute Schimpf sehr zügig »auf Arbeitsebene«, also ohne direkte Beteiligung der Regierungen, geschweige denn des EU-Parlaments, entschieden werden könnte.
Im Juni gab der so hofierte Saatgutmulti jedoch bekannt, Zulassungsanträge für Genpflanzensorten in der EU zurückziehen zu wollen. Nach Ansicht von BUND-Gentechnikexpertin Heike Moldenhauer will der Konzern damit »vor allem aus der öffentlichen Negativwahrnehmung verschwinden, um dann hinter den Kulissen bei den Verhandlungen um das Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU« sein Comeback vorzubereiten.
Positionspapier von 22 Verbänden zu den den EU-US-Freihandelsplänen:
www.dnr.de/downloads/pospap_ttip_fin.pdf
Artikel von Mute Schimpf zum EU-Zulassungsverfahren für Genpflanzen:
www.kritischer-agrarbericht.de/fileadmin/Daten-KAB/KAB-2013/Schimpf.pdf
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!