Fast alle machten mit
Von Arnold SchölzelBereits in den ersten Kriegstagen des Jahres 1914 proklamierten die meisten deutschen Historiker, Philosophen und Kulturschaffenden eine »Wertegemeinschaft«. Sie basiere, so hieß es, auf den »Ideen von 1914«, die sich gegen die »Ideen von 1789«, also gegen Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, richteten. Es gehe um »Deutschtum«, »Kriegssozialismus« und »Volksgemeinschaft« statt um Demokratie, Zivilisation und Gesellschaft, um deutsche Kultur statt um britische »Krämerseelen«, »gallische Oberflächlichkeit« und »slawischen Despotismus«.
Das sind Formulierungen einer vergangenen, durchsichtigen imperialistischen Kriegspropaganda. Wer sich anschaut, mit welchen Vokabeln die westliche Allianz in den vergangenen fast 25 Jahren seit dem Ende der Sowjetunion ihre Kriege am Persischen Golf, in Jugoslawien, in Afghanistan, im Irak und schließlich in Libyen, anderen afrikanischen Staaten und Syrien begründet hat, kann bei allen Veränderungen in der Wortwahl Analogien zu 1914 nicht übersehen. Begriffe wie »humanitäre Intervention«, »Demokratie«, »Menschenrechte«, die von diesem sich selbst als »Wertegemeinschaft« bezeichnenden Bündnis für die Begründung seiner Angriffskriege verwendet werden, zielen vor allem auf eins: wenn nicht Kriegsbegeisterung wecken, dann zumindest Rückhalt in der Bevölkerung der kriegführenden Länder schaffen für deren Kampf gegen »Diktatur«, »Terrorismus« und »Völkermord«.
Warnungen vor Krieg
Ein Unterschied zu 1914 ist allerdings gravierend: Wurde damals der Krieg um die Neuaufteilung der Kolonien und der Welt vornehmlich auf dem europäischen Kontinent ausgetragen, wird er nun nach Möglichkeit außerhalb Europas geführt. Lediglich die Behauptung, es gehe bei diesen Feldzügen des Westens oder seiner Stellvertreter nicht um wirtschaftliche und strategische Interessen, um Anlagesphären oder Rohstoffquellen, ist dabei keineswegs neu. Kurz gesagt: Auch 1914 wurde das Ende des historischen Materialismus als Produkts der Revolutionen von 1789 bis 1848 verkündet, das Versagen einer ökonomischen und materialen Erklärung der Welt und ihrer Geschichte. Wie damals heißt es auch heute, es sei sinnlos, weiterhin von Klassenkampf oder auch nur von materiellen Interessen bei Konflikten zu sprechen, in denen es doch vorrangig um geistige, religiöse oder kulturelle Werte gehe.Ähnlich sahen das anfangs auch diejenigen, die sich im August 1914 für den Krieg begeisterten. Das zeigt für die bildende Kunst eine Ausstellung, die unter dem Titel »1914. Die Avantgarden im Kampf« derzeit in der Bundeskunsthalle in Bonn zu sehen ist. Die Formulierung »Die Avantgarden im Kampf« ist allerdings unzutreffend, die Vielfalt der ausgestellten Werke läßt sich nicht auf das damit Gemeinte reduzieren. »Avantgarden« nennt Kurator Uwe M. Schneede im Katalog »die radikalen Künstlerbewegungen der beiden ersten Dekaden des vergangenen Jahrhunderts«. Die Auswahl der Gemälde, Zeichnungen und Fotografien geht aber weit über Richtungen wie Kubismus oder Futurismus, den »Blauen Reiter« oder die »Brücke« hinaus. Die Ausstellung ist reicher als ihr Konzept. Sie macht deutlich, was etwa im Katalog fast schamhaft behandelt wird: Es gab lange vor dem Krieg künstlerische Warnungen vor ihm und den Dimensionen, die er annehmen würde. Seit seinem Beginn wurden Kriegsschilderungen gemalt und gezeichnet, die nur als Widerstand gegen den Krieg und seine ideologische Begründung verstanden werden können.
Der Ausstellungsbesucher schaut so auf die drastischen grafischen Folgen, die Willy Jaeckel 1914/15 schuf. Ihre Titel sprechen für sich: »Volltreffer«, »Vergewaltigung«, »Tote Mutter«, »Irrender Verwundeter«. Max Slevogt hielt auf Aquarellen bereits im Herbst 1914 das Elend verwundeter Soldaten oder das Monument eines deutschen Kriegsverbrechens, die zerstörte Kathedrale im belgischen Löwen nach der Brandschatzung der Stadt im August 1914, fest. Hier zeigt sich: Jaeckel und Slevogt wußten genau um die Schrecken des Krieges.
Schweigen über Ursachen
Der tatsächliche Verlauf des Krieges, vom deutschen Anteil an seiner Anzettelung ganz zu schweigen, spielt in Katalog und Ausstellung allerdings keine Rolle. In den Textbeiträgen wird mit Kategorien wie »Aufscheinen eines zerrütteten Menschenbildes«, »gebrochene Lebensläufe« oder »widersprüchliche Sinneserfahrungen im Krieg« hantiert. Das damit Bezeichnete ist wichtig für die Erfahrungen der Kriegsteilnehmer, der völlige Verzicht auf die Darstellung der Debatte um Kriegsursachen, um Profiteure des Massenmordens, um Wege zu seiner Beendigung spricht allerdings Bände. Solches Kunstverständnis ist auf die Annahme reduziert, daß es sich bei Malern und Grafikern grob gesagt um nichtdenkende Sinnesbündel handelt, die allein aus persönlicher Erschütterung Kunst produzieren. Allein die Arbeiten von Otto Dix, die zu sehen sind, lassen dieses Schweigen über seine politische Haltung zum Krieg grotesk erscheinen.Umso erschütternder ist das, was in Bonn an gestalteter Kriegsbegeisterung zu betrachten und zu lesen ist. Der 67jährige Max Liebermann notierte Ende August 1914: »Kriege scheinen nötig zu sein, um den im Frieden allzu üppig wuchernden Materialismus einzudämmen.« Ähnlich auch Franz Marc: »Um Reinigung wird der Krieg geführt und das kranke Blut vergossen.« Als Marc allerdings solche Phrasen im Oktober 1914 an Wassily Kandinsky, der als russischer Staatsbürger Deutschland hatte verlassen und in die Schweiz übersiedeln müssen, schickte, antwortete der nur knapp: »Der Preis dieser Art Säuberung ist entsetzlich.« Er hatte schon zwei Jahre zuvor an Marc zu einem zukünftigen Krieg angemerkt, er werde »Berge von Leichen« hinterlassen.
Lovis Corinth, dessen martialisches »Selbstbildnis im Harnisch« vom März 1914 die Ausstellung eröffnet, gab nach Kriegsbeginn von sich: »Fort mit der gallisch-slawischen Nachäfferei unserer letzten Malereiperiode«. Zu sehen sind Max Liebermanns den Krieg unterstützende Zeichnungen auf den von Paul Cassirer ab 1914 aufgelegten, großformatigen Künstlerflugblättern »Kriegszeit«. Liebermann versah sie eigenhändig mit Bildunterschriften, die er kaiserlichen Sprüchen entlehnte: »Ich kenne keine Parteien mehr«, »Jetzt wollen wir sie dreschen!«, »Die Russen, uns’re Verbündeten, marschieren mit entschlossenen Schritten auf die Hauptstadt des deutschen Reiches (Poincaré an die Franzosen)«. Zu sehen ist Ernst Barlachs Skulptur »Der Rächer« aus dem Jahr 1914, dessen eindeutige Intention durch die gleichzeitig entstandene Lithographie »Der heilige Krieg« deutlich gemacht wird. Zu sehen sind von Kasimir Malewitsch und Wladimir Majakowski entworfene »deutschenfresserische« Propagandaflugblätter im Stil alter Bilderbögen (sogenannte Lubki).
In der Ausstellung sind diese Werke in der Minderheit, allerdings mit großen Namen. Tatsächlich repräsentieren sie jene Kriegsbegeisterung, der fast alle Künstler im Sommer 1914 folgten – Pablo Picasso, Marcel Duchamp oder Kandinsky waren Ausnahmen. Das änderte sich rasch mit dem Kriegsverlauf, auch das ist hier zu sehen. Für jene, die sich wie Dix freiwillig zum Heer gemeldet hatten, blieben nach einem mehr oder weniger raschen Erkenntnisprozeß Wut, Verzweiflung und ein »Nie wieder«. Das macht die große Mehrheit der in Bonn ausgestellten Werke deutlich – von Max Beckmann über Conrad Felixmüller, George Grosz, Erich Heckel, Paul Klee, Oskar Kokoschka, Fernand Léger, Wilhelm Lehmbruck bis Wladimir Tatlin und Felix Vallotton. Die Auswahl ist exzellent, das Dargestellte widersprüchlich. Die Reflexionen der hier Genannten zum und vor allem gegen den Krieg aber auf zerrüttende Schocks zu reduzieren, ist skandalös. In einer Ausstellung, die unter der Schirmherrschaft Joachim Gaucks steht, der mangelnde Kriegsbereitschaft mit »glückssüchtig« verunglimpft, kann allerdings nicht mehr erwartet werden. Das Beschweigen korrespondiert mit der gewollten Begriffslosigkeit im Umgang mit imperialistischen Kriegen der heutigen Wertegemeinschaft.
1914. Die Avantgarden im Kampf; Ausstellung in der Bundeskunsthalle Bonn, bis 23. Februar; Katalog 39 Euro
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