Hoffen auf die vierte Welle
Von Jana FrielinghausDer 8. März 1994 war ein Dienstag. Dieses Jahr fällt der Internationale Frauentag auf einen Samstag – Vor- und Nachteil zugleich. Einerseits läßt dieser Umstand hoffen: Menschen, die sich vom Aufruf zum »Frauen*kampftag 2014« (siehe Seite 8) angesprochen fühlen, könnten in großer Zahl zur zentralen Demo gegen jede Diskriminierung aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit, aber auch der Klasse, der Herkunft und der Weltanschauung – und gegen Sozialkahlschlag hier und anderswo – nach Berlin kommen. Andererseits bedeutet der Wochenendtermin, daß besonders effektvolle, in Betrieben wahrnehmbare Aktionen kaum machbar sind.
Allerdings läßt sich mit einigem Recht fragen, was der bundesweite »Frauenstreiktag« von 1994 über den Moment hinaus gebracht hat. Denn danach hat es eine so große gemeinsame Aktion mit Veranstaltungen in zahlreichen Städten unter Beteiligung von insgesamt etwa einer Million Frauen in der Bundesrepublik nicht mehr gegeben. Die feministische Bewegung konnte daraus in den Folgejahren kaum Kraft schöpfen.
Wie war das 1994? Eine kleine Gruppe von Aktivistinnen hatte die Idee zum »Streik«, und im Bemühen um größtmögliche Beteiligung organisierten sie etliche Basisdebatten zur Abstimmung des Streikaufrufs und des Ablaufs des Aktionstags (siehe Seite 3). Mag es am Anfang kühne Ideen in Anlehnung an das Vorbild des Frauenstreiktags 1991 in der Schweiz (siehe Seite 6) oder gar des sensationellen »Freien Tags der Frauen« in Island 1975 (Seite 4) gegeben haben – am Ende standen zwar vielfältige, aber in ihrer Wirkung auf Produktionsabläufe wie auch auf feministische Organisierung bescheidene Aktionen. Frauen, die ihre Betriebe nicht verlassen konnten, sollten, so hieß es damals in dieser Zeitung, um 13 Uhr für ganze fünf Minuten die Arbeit niederlegen.
Auseinandersetzungen gab es in den Monaten vor dem 8. März 1994 insbesondere um den politischen Gehalt des Streikaufrufs. Dessen Formulierungen gingen linken Feministinnen nicht weit genug. So fragte etwa die Münchener autonome Gruppe »Schlaflose Nächte« in einem Positionspapier, wo der Bezug zu globalen Ausbeutungsverhältnissen sei. Der Aufruf nenne »weder Unterdrückungsmechanismen noch Machtkonstellationen beim Namen«. Die geplanten Aktionen verglichen die Kritikerinnen mit den unpolitischen Lichterketten gegen Ausländerfeindlichkeit und Gewalt Ende 1993.
So »diffus«, wie die Münchnerinnen meinten, war der Streikaufruf jedoch keineswegs. Sein erster Satz lautet: »Die Wiederherstellung eines großen Deutschlands findet auf Kosten von Flüchtlingen, auf Kosten der ›Anderen‹, der Schwachen, der Armen und auf Kosten von Frauen statt.« Die Kritik an Großdeutschland, Restauration und entfesseltem Kapitalismus ist, gemessen an der beabsichtigten Breite des Protests, sehr deutlich herauszulesen.
Die jungen Frauen, die dieses Jahr zum Kampf aufrufen – viele von ihnen sind schon lange als Feministinnen politisch bei ATTAC oder in der Linkspartei, bei den Grünen oder in den Gewerkschaften engagiert –, haben sich, so scheint es, durchaus ein wenig an den Forderungen von 1994 orientiert. Dieser Eindruck dürfte jedoch auch daher rühren, daß deutsche Kriegsbeteiligungen seit fast 15 Jahren Realität sind, daß die Reaktion europaweit marschiert, um Frauen ihre Selbstbestimmungsrechte wieder zu nehmen, daß der Sozialkahlschlag in der Bundesrepublik vor zehn Jahren durch die damalige Regierung von SPD und Grünen mit den »Hartz«-Gesetzen rasant beschleunigt wurde.
Gut möglich, daß die »neue feministische Offensive« zumindest hierzulande zu einer »vierten Welle der Frauenbewegung« anwächst. Zu einer, die mehr als alle vorangegangenen internationalistisch und antirassistisch ist und Klassenfragen in den Blick nimmt.
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