Regen von gestern?
Von Arnold SchölzelIn diesen Tagen herrscht in den deutschsprachigen Medien russophobe Hysterie. Vieles erinnert an »Wer Kiew hat, kann Rußland zwingen«, wie es 1897 bei einem einflußreichen deutschen Publizisten hieß. Rainer Zilkenat hat vor diesem Hintergrund in seinem Beitrag für diese Beilage damalige deutsche Kriegsziele in der Ukraine beschrieben. Viel geändert hat sich offensichtlich nicht. Tote und Massaker sind in Berlin, Washington und anderen Hauptstädten wieder einkalkuliert. Die Feldzüge in Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien und anderswo haben Krieg in der »westlichen Wertegemeinschaft« zu einem Gewohnheitsverbrechen gemacht.
Die Formel »Militarisierung der Außenpolitik« verdrängt eher die Ursachen, statt sie zu benennen. Verdrängung von Kriegsursachen dominiert auch das offizielle und publizistische Erinnern an die Anzettelung des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren. Ein Zufall ist das nicht. Kurt Pätzold setzt sich mit einigen »Leerstellen« des deutschen Gedenkens auf den folgenden Seiten auseinander, Simon Loidl schildert Ähnliches für Österreich, Hansgeorg Hermann für Frankreich.
Illustriert wird diese Beilage mit Zeichnungen von Jacques Tardi aus einem seiner berühmtesten Bücher, dem »Putain de Guerre«, das 2014 auf deutsch unter dem Titel »Elender Krieg 1914–1919« erschien. Wir danken der Edition Moderne für die freundliche Genehmigung zum Abdruck.
Niemand hat so wie der französische Zeichner eine Bildsprache für das Kriegsgeschehen gefunden, die international sofort verständlich ist. Der Grund dafür ist die Sicht auf den Krieg, die hier vermittelt wird: Es ist die »von unten«. Hansgeorg Hermann hat in einer jW-Rezension des jüngsten Werks von Tardi »Ich, René Tardi, Kriegsgefangener im Stalag II B« (2013 ebenfalls bei Edition Moderne) den Autor zu seiner Arbeit zum Ersten Weltkrieg so zitiert: »Warum halten es auch heute noch junge Männer aus, im Krieg zu dienen? Ich müßte also eigentlich den Krieg von heute darstellen: in Afghanistan, im Irak, in Nahost. Nur kann man den Krieg heute nicht mehr zeichnen. Die Menschen haben nach den beiden Weltkriegen des vergangenen Jahrhunderts nicht einen Moment lang aufgehört, Maschinen zu erfinden und zu bauen, die zum Töten da sind. Diese Maschinen kann keiner mehr zeichnen, sie passen in keine ›bande dessinée‹ (in keinen Comic; d. Red.) mehr. Deshalb bleibe ich beim Ersten Weltkrieg, der alle Grausamkeiten enthielt, dessen Waffen für das Auge faßbar sind, dessen Bilder auch Kinder lesen können« (jW vom 4.12.2012).
Aus dieser Perspektive ist auch die Veranstaltung konzipiert, die am 10. Mai 2014 in der jW-Ladengalerie ab 11 Uhr stattfindet. Sie trägt daher den Titel von Tardis Buch: »Elender Krieg«. Das Gültigste dazu hat Bertolt Brecht 1952 formuliert: »Der Regen von gestern macht mich nicht naß, sagen viele. Diese Abgestumpftheit ist es, die wir zu bekämpfen haben, ihr äußerster Grad ist der Tod. (…) Und doch wird nichts mich davon überzeugen, daß es aussichtslos ist, der Vernunft gegen ihre Feinde beizustehen. Laßt uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde! Laßt uns die Warnungen erneuern, und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind. Denn der Menschheit drohen Kriege, gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind, und sie werden kommen ohne jeden Zweifel, wenn denen, die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten, nicht die Hände zerschlagen werden.«
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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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