Das Schweigen brechen
Von Roland ZschächnerAm 9. Mai dieses Jahres feierten in Berlin unweit des Sowjetischen Ehrenmals im Treptower Park Hunderte Antifaschisten den »Tag der Befreiung«. Das Fest ist nicht nur für deutsche Linke ein beliebter Anlaufpunkt. Auch russische Besucher kommen dort, nachdem sie der Toten und Helden des Zweiten Weltkrieges gedacht haben, gern vorbei.
Sieben Tage zuvor hatte ein faschistischer Mob in Odessa ein Pogrom gegen Linke begangen. Mindestens 48 Menschen wurden ermordet – manche Beobachter sprechen von über 100 Toten. Sie erstickten in dem angesteckten Gewerkschaftshaus oder wurden von Neonazis brutal erschlagen. Eine Fotoausstellung dokumentiert diese Greueltaten. Sie war bereits in vielen europäischen Städten zu sehen und auch in der jW-Ladengalerie.
Das Massaker von Odessa ist bis heute nicht aufgeklärt. Die ukrainischen Behörden versuchen – nachdem zuerst den Opfern die Grausamkeiten angelastet wurden – die Ermittlungen einzustellen. Reinhard Lauterbach war kurz nach den Ereignissen in Odessa. Er hatte damals für die junge Welt darüber berichtet. In seinem Beitrag auf Seite 3 dieser Beilage beschreibt er, wie die Umstände des Mordens verschwiegen und die Täter geschützt werden. In einem weiteren Artikel zeichnet er nach, wie die Faschisten ausgehend von den Protesten gegen den ehemaligen Präsidenten Wiktor Janukowitsch politische und kulturelle Hegemonie erlangten und ausbauen konnten. Weit über die Westukraine hinaus sind sie zu einer ernstzunehmenden Gefahr für Linke und Minderheiten geworden. Auch das angestrebte Verbot der Kommunistischen Partei der Ukraine zeugt von der reaktionären Entwicklung in dem osteuropäischen Land.
Es ist nicht verwunderlich, daß sich deutsche Medien über die faschistische Gewalt ausschweigen. Sie wollen von der Existenz der ukrainischen Faschisten nichts wissen. Vielmehr unterstützen sie die westliche Strategie gegen Rußland, wie Arnold Schölzel in seinem Beitrag beschreibt. Die Chauvinisten in den Regierungssesseln in Kiew oder mit Gewehren bewaffnet in der Ostukraine sind dabei nicht nur die Handlanger der einheimischen Oligarchen, sondern auch Werkzeug der NATO und der EU, um das Land in ihren Einflußbereich einzugliedern.
Auch Neonazis aus Westeuropa und Rußland sehen in den Ereignissen in der Ukraine ihre Chance. Momentan ist eine unbekannte Anzahl von ihnen in der Ukraine, wie Thomas Eipeldauer berichtet. Die internationalen Söldner kämpfen vor allem im »Asow«-Bataillon, das offiziell unter Befehl der Kiewer Regierung steht. Die Einheit nimmt wie andere rechte Gruppierungen an den »Antiterroroperationen« gegen die »Volksrepubliken« im Osten der Ukraine teil – mit Tausenden Opfern unter der Zivilbevölkerung.
In der Abkehr von Internationalismus und Antiimperialismus sieht John Lütten in seinem Beitrag die Ursache für die ausbleibende Reaktion der antifaschistischen Bewegung in der Bundesrepublik. Auf dem Fest im Treptower Park wurde sich zwar auf einem großen Transparent gegen jeden Nationalismus ausgesprochen – eine Bekundung der Anteilnahme angesichts der Opfer des Massakers in Odessa aber fehlte. Für viele russische Berliner, die Anfang Mai zum Sowjetischen Ehrenmal kamen, standen die Ereignisse kurz zuvor in der Schwarzmeermetropole im engen Zusammenhang mit der Zeit des historischen Faschismus. Einige Besucher bildeten aus Kerzen das Wort »Odessa« vor der Skulptur der Mutter Heimat. Dieses Symbol tiefer Trauer und berechtigter Furcht blieb für die meisten dort anwesenden deutschen Antifaschisten unverstanden.
Wie aktuell die Geschichte noch immer ist, zeigt Frank Brendle in seinem Text. So beruft sich die Partei »Swoboda« auf den Nazikollaborateur Stepan Bandera. Die Geschichte wird nach nationalistischen Interessen umgeschrieben. Dabei wird Rußland zum Feind er- und Faschisten zu »Helden« verklärt. Das Aufkommen alter, nationalistischer Parolen wie »Ruhm der Ukraine« zeugen davon.
Eine gemeinsame antifaschistische Antwort auf die Ereignisse in der Ukraine fehlt bislang. Ganz so, als sei zur rechten Gewalt, dem unverhohlenen Geschichtsrevisionismus und dem massenmedial verbreiteten russophoben Rassismus nichts zu sagen. Dabei muß eine linke Erwiderung auf die aktuelle Kriegspropaganda – wie unlängst wieder von Joachim Gauck betrieben – auch immer die Interessen der NATO, der Europäischen Union und vor allem auch der Bundesrepublik deutlich machen und kritisieren.
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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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