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Aus: Literatur, Beilage der jW vom 08.10.2014

Zukunftsaussichten

Literatur und technologischer Fortschritt
Von Thomas Wagner
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Wer Not und Elend beseitigen will, setzt sich häufig dem Vorwurf aus, einen »neuen Menschen« schaffen zu wollen. Die Schöpfung eines neuen, eines Übermenschen, sei bereits das letztlich gescheiterte Anliegen der Bolschewisten gewesen, behauptet beispielsweise der Historiker Gerd Koenen in seinem Aufsatz »Bolschewismus und Nationalsozialismus« aus dem Jahr 1996. Richtig daran ist nur: »In der chaotischen Lücke, die zwischen der verfallenden zaristischen und der künftigen sowjetischen Ordnung klaffte, trieb die Freiheit der Phantasie manch seltsame Blüte.« Das schreibt Thomas Tetzner in seiner lesenswerten Ideengeschichte des neuen Menschen in Russland. Es gab eugenische Konzepte. Auch glaubte manch ein Bolschewik, die vollkommene Anpassung des Menschen an den Maschinentakt würde die perfekte Gesellschaft hervorbringen. Eine Bewegung sogenannter Biokosmisten propagierte die Besiedlung des Alls durch buchstäblich unsterbliche Kosmonauten.

»Die Partei«, so Tetzner, »konnte mit solchen Träumereien jedoch nichts anfangen.« Sie stammten auch gar nicht aus der Tradition marxistischen Denkens, sondern von teils nur vorübergehend sozialistisch orientierten Intellektuellen und Utopisten. Tatsächlich hatte die Idee vom »neuen Menschen« vor allem religiöse Wurzeln, die weit in die russische Geschichte zurückreichen. Als der Sozialismus feste staatliche Formen gewann, gehörte die Erschaffung eines Übermenschen weder zum wissenschaftlichen Kanon noch zur Parteidoktrin. »So gut wie alle diesbezüglichen Überlegungen liefen personell wie institutionell außerhalb der offiziellen staatlichen und Parteistrukturen und wurden spätestens in den 30er Jahren von Stalin teilweise rigoros unterbunden«, so Tetzner.

Wenn im Sozialismus vom neuen Menschen die Rede war, dann war der bereits existierende Arbeiter gemeint, der sich mit ganzer Kraft für das Gelingen des sozialistischen Gemeinwesens einsetzte. Erst als die Sowjetunion unter Michail Gorbatschow zerfiel und der Kapitalismus Einzug hielt, kehrten Unsterblichkeits- und andere Technophantasien in das öffentliche Leben zurück.

Heute sind es vor allem Ideologen aus den kapitalistischen Hightechlaboren, die auf die eine oder andere Weise den Übermenschen fabrizieren wollen. Der Oxford-Professor Nick Bostrom komponiert dazu eine philosophische Begleitmusik, die ausgerechnet der einstmals für die Tradition der Aufklärung stehende Suhrkamp-Verlag seinen Lesern schmackhaft macht (siehe Artikel "Roboterherrschaft"). Für eine am sozialen Fortschritt orientierte theoretische Auseinandersetzung mit der Technologie steht dagegen das »Maschinenfragment« von Karl Marx (siehe Artikel "Das Maschinenfragment von Karl Marx"). Wie die intelligente Nutzung der vorhandenen technischen Möglichkeiten dabei helfen kann, dem Internetversandhändler Amazon Paroli zu bieten, erläutert Volker Oppmann, Initiator der gemeinnützigen E-Book-Plattform Log.os im jW-Gespräch (siehe Artikel "Amazon den Kampf ansagen"). Zu den weiteren Höhepunkten dieser Literaturbeilage gehören die Besprechung von Thomas Pikettys vieldiskutiertem Buch »Das Kapital im 21. Jahrhundert« sowie die Vorstellung der neu gegründeten Internetplattform diablog.eu, die sich gegen die Verdrängung der griechischen Kultur aus dem Bewußtsein der Deutschen stemmt. Darüber hinaus gibt es wie in jeder Literaturbeilage zahlreiche weitere Rezensionen, Essays und Interviews!

Thomas Tetzner: Der kollektive Gott. Zur Ideengeschichte des >Neuen Menschen< in Russland. Wallstein Verlag, Göttingen 2013, 400 Seiten, 39,90 Euro

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