Fortsetzungspotential
Von Claudia WangerinIn den letzten Jahren haben sich verschiedene Krimiautoren auf Zeitreise in die späte Weimarer Republik und die Zeit des Hitlerfaschismus begeben. Die frühe Nachkriegszeit und die oberflächliche »Entnazifizierung« sind in diesem Genre noch kaum erschlossen - die eine oder andere Ermittlerfigur hat aber das Potential für spannende historische Politthriller vor genau diesem Hintergrund. Doch nicht immer spielen Verlage mit.
Heinz-Jürgen Schneider, selbst hauptberuflich Rechtsanwalt, wollte seine historische Krimireihe aus der Perspektive eines demokratischen Strafverteidigers in Schleswig-Holstein fortsetzen - voraussichtlich bleibt es aber zunächst bei der Trilogie, deren Handlung 2012 mit »Tod in der Ballnacht« im Jahr 1933 endete. Schneider hatte in seinen Regionalkrimis den Strafverteidiger Johannes Blum in der Provinz Schleswig-Holsteins kurz vor und nach der faschistischen Machtübernahme ermitteln lassen. Zuletzt, in »Tod in der Ballnacht« hatte der junge Anwalt neben den Recherchen zur Entlastung eines Mandanten seine Hochzeit vorbereitet - hin- und hergerissen zwischen der Sehnsucht nach privater Harmonie und der Erkenntnis, dass seine Gerechtigkeitsliebe ihn früher oder später in die Illegalität treiben musste. Bei einer Buchvorstellung in Berlin hatte Schneider in vergangenen Jahr noch Überlegungen zu einer Fortsetzung mitgeteilt, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit spielen sollte: Johannes Blum werde dann womöglich aus dem Exil zurückkehren. Das Vorhaben scheiterte daran, dass Schneider die Handlung nicht in eine größere Stadt verlegen wollte und sich darüber mit dem Verlag nicht einigen konnte, da er selbst mehr an »alte Bekannte« und den lokalen Bezug anknüpfen wollte. Wie Schneider knapp ein Jahr später im Gespräch mit dieser Zeitung berichtete, hat er sich daraufhin entschieden, einen Politthriller zu schreiben, der im 21. Jahrhundert spielt. Ein anderer Autor historischer Krimis, Volker Kutscher, legt im November den fünften Fall des Polizeiermittlers Gereon Rath vor, der ebenfalls 1933, aber in Berlin spielt.
Unterdessen hat Harald Gilbers in seinem Debütroman »Germania« die psychologisch so gewagte wie gelungene Figur des jüdischen Kommissars Richard Oppenheimer geschaffen. Der einst erfolgreiche Ermittler der Kripo Berlin wird nach Jahren der systematischen Entrechtung von der Gestapo reaktiviert, als in der zerbombten Reichshauptstadt ein Serienmörder verstümmelte Frauenleichen vor Kriegerdenkmälern ablegt. Die Untersuchung führt Oppenheimer, der nur dank seiner nichtjüdischen Ehefrau und der leider einzigartigen Protestaktion in der Rosenstraße bisher der Deportation entgangen ist, auch ins Milieu der »Lebensborn«-Vereine, die sich um »rassisch wertvollen« Nachwuchs kümmern sollen. Alle Opfer der Mordserie hatten Verbindungen zur NSDAP. Laut Bekennerschreiben ist der Täter aber kein Regimegegner, sondern ein frauenhassender Nazi - was für Oppenheimer die Nachforschungen zum Tanz auf dem Vulkan macht. Während der Arbeit an dem Fall kann er zwar unverhofft selbstbewusst auftreten, doch nur, solange er gebraucht wird - und wenn seinen Auftraggebern die Ermittlungsrichtung gefällt. Nebenbei verdrängt Oppenheimer, dass er von Pervitin abhängig ist - einem damals auch bei Soldaten verbreiteten, leistungssteigernden Mittel, das heute als Methamphetamin und Bestandteil der Droge Crystal Meth bekannt ist. Als er mit dem jungen, karrierebewussten SS-Hauptsturmführer Vogler im Keller einer zerbombten Villa verschüttet wird, entsteht kurzzeitig eine Notgemeinschaft mit beinahe freundschaftlichen Zügen. In der wohl bizarrsten Szene des Romans singt der SS-Mann den »Kanonensong« aus Brechts »Dreigroschenoper« mit, als die Verschütteten zum Zeitvertreib einen Plattenspieler zum laufen bringen.
Am Ende von »Germania« hat Oppenheimer den Täter gefunden - unklar bleibt aber, ob er selbst das Nazireich überleben wird. Inzwischen hat Gilbers aber schon eine Fortsetzung in Aussicht gestellt.
Sicher ist: Auch in der Nachkriegszeit könnten hochpolitische Kriminalromane mit der Hauptfigur Richard Oppenheimer spielen. In welcher Position ihm wichtige Nebencharaktere wie Vogler vielleicht erneut begegnen, darf mit besonderer Spannung erwartet werden.
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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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