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Aus: Literatur, Beilage der jW vom 01.11.2014

»Mit Parteien habe ich es überhaupt nicht«

Chronik, Autobiographie und bissiges Geschichtsbuch zugleich: »Es war mir ein Vergnügen!«. Ein Gespräch mit Henning Venske
Von Interview: Peter Wolter
Meistgefeuerter Kabarettist«? Das ist übertrieben: Henning Vensk
Meistgefeuerter Kabarettist«? Das ist übertrieben: Henning Venske

In einer Rezension zu Ihrer kürzlich erschienen Autobiographie mit dem Titel »Es war mir ein Vergnügen!« hieß es, Sie seien der »meistgefeuerte« Kabarettist Deutschlands. Wie oft sind Sie denn rausgeflogen?

Weiß ich nicht, keine Ahnung. Ich habe anfangs bei Theatern und beim Rundfunk gearbeitet, und es ist richtig, daß ich ein paarmal gekündigt wurde - aber »meistgefeuert«? Das ist übertrieben, diesen auf mich bezogenen Spruch hat übrigens Gerd Wollschon erfunden, der legendäre Chef der Politrockgruppe »Floh de Cologne«.

Warum wurden Sie gefeuert? Zu lockeres Mundwerk, ist Ihnen der Formuliergaul durchgegangen?

Nein, der geht mir schon nicht durch, Politikern allerdings schon. Einem Kabarettisten können sie getrost Absicht unterstellen. Daß ich gefeuert wurde, lag meistens daran, daß ich irgendwelche Hierarchen oder Politiker verunglimpft haben soll. Oder es wurde mir vorgeworfen, ich sei als Moderator zu parteiisch.

In den 70ern kursierte in Hamburg das Gerücht, Sie seien beim NDR rausgeflogen, weil Sie als Moderator einen Witz erzählt hatten, in dem es u.a. um das Kantinenessen ging ... Ist das richtig?

Ich weiß, auf welchen Witz Sie anspielen, deswegen wurde ich aber nicht vor die Tür gesetzt. Das muß Ende der 60er gewesen sein, es blieb auch ohne Konsequenzen.

In den 80er Jahren hingegen hatte ich richtige Probleme mit dem NDR. Ich war damals Redakteur der Satirezeitschrift Pardon. Wir hatten ein Telefonat mitgeschnitten, das der Intendant mit seinem persönlichen Referenten geführt hatte, einem CDU-Abgeordneten der Hamburger Bürgerschaft. In dem Gespräch ging es darum, wie man am besten den Betriebsrat austricksen kann. Nachdem wir das Gespräch abgedruckt hatten, bekam ich Hausverbot.

Wenn man den Namen Venske hört, fällt einem das Buch von Svende Merian ein: »Der Tod des Märchenprinzen«; es wurde in den 80ern in fast jeder Wohngemeinschaft in Westdeutschland diskutiert. Die daraufhin erschienene Replik »Ich war der Märchenprinz« stammt von Ihnen - warum haben Sie anfangs geheimgehalten, daß Sie der Autor waren?

Ich habe das Buch in der Tat unter Pseudonym geschrieben, und lustigerweise gab es nach seinem Erscheinen eine Reihe von Leuten, die sich einen Spaß daraus machten, zu behaupten, sie seien der Autor gewesen. 1982 habe ich das geschrieben.

Das war ein relativ kleines Büchlein, hatte aber eine Riesenauflage. Wie viele wurden verkauft?

Es müssen an die 300.000 gewesen sein.

War es Ihr größter literarischer Erfolg?

Vom Verkauf her sicher, von der Einkommensseite her gesehen allerdings weniger. Der Verlag hat aus dem Gewinn erst einmal den größten Teil seiner Schulden bezahlt, dann sind alle Verlagsangestellten für sechs Wochen nach Kuba gefahren - was ich ihnen natürlich gönne. Von meinem Honorar konnte ich gerade mal das Dach meines Häuschens neu decken lassen. Reich geworden bin ich mit dem Buch jedenfalls nicht.

In Ihrer Autobiographie geht es nicht nur um Ihren Lebenslauf, sie ist auch so etwas wie ein subjektives Geschichtsbuch, Sie vermitteln darin ein beklemmendes Bild der Nachkriegsjahre. Wie sehr hat Sie die Adenauer-Zeit in Ihrer Widersetzlichkeit geprägt?

Bewußt habe ich diesen Mief in der unmittelbaren Nachkriegszeit natürlich nicht wahrgenommen. Anfang der 50er ging ich im ostwestfälischen Minden zur Schule - und das gerne, es war eine sehr schöne Schulzeit. Nachdem Adenauer dann in Rhöndorf bestattet worden war, wurde mir immer erschreckender klar, was man uns alles über die deutsche Vergangenheit verschwiegen hatte. Das ist natürlich auch Gegenstand dieser - sagen wir mal - »Chronik«.

Und dann haben Sie sich vorgenommen, mit dieser vermufften Verlogenheit abzurechnen?

Im Laufe der Zeit kam für mich immer mehr ans Tageslicht, es gab immer wieder neue Informationen - z. B., in welchem Maße die FDP von Altnazis durchsetzt war. Oder welch hohe Posten frühere Nazifunktionäre bekleideten, Berichte über Zwangsarbeit, über Auschwitz und die anderen Konzentrationslager. Diese ganzen Informationen tröpfelten erst seit Mitte der 50er Jahre auf mich und meine Altersgenossen nieder, es gab dann auch die ersten Kinofilme zu diesen Themen. Je mehr ich erfuhr, desto saurer wurde ich.

Ihrem Buch entnehme ich, dass Sie in den 70er Jahren dem Kommunistischen Bund (KB) in Hamburg nahestanden. Waren Sie Mitglied?

Das wohl nicht, ich glaube, ich wurde als Sympathisant geführt.

Im Gegensatz zu den anderen maoistischen Gruppen war der KB ja keineswegs DDR-feindlich. Im nachhinhein muß man sagen, daß er damals zur intellektuellen Oberliga der westdeutschen Linken zählte ...

Deswegen war ich ja auch dabei. Der KB spielte in der Tat in der Oberliga, auch wenn ich mit Mao Tse Tung und seinem langen Marsch nichts anfangen konnte. Ich habe damals in Hamburg eine Menge sehr kundiger, belesener und angenehmer Gesprächspartner gefunden.

Dann kennen Sie aus dieser Zeit sicher noch die heutigen jW-Autoren Ulla Jelpke und Knut Mellenthin ...

Natürlich habe ich die beiden kennengelernt, ebenso wie das gesamte leitende Gremium. Ich denke sehr gerne an all diese Leute zurück und verfolge auch, was sie aus ihrem Leben gemacht haben. Die haben mich damals gerne in die politische Arbeit einbezogen, schließlich war ich ein populärer Mensch vom NDR. Der KB war sehr geschickt darin, interessante Leute für seine Veranstaltungen zu gewinnen. Aber es war natürlich auch eine gegenseitige Wertschätzung.

Bei der Lektüre Ihres Buches habe ich den Eindruck gewonnen, daß Sie sich eher als Anarchist sehen - stimmt das?

Das ist richtig.

Mit Parteien haben Sie es auch nicht ...

Überhaupt nicht.

Warum?

Ich glaube ihnen gar nichts mehr. Parteien werden doch nicht gegründet, um das Beste für das Volk herauszuholen - es geht dabei letztlich um das persönliche Wohlergehen von Politikern und Funktionären.

Zum Abschluss noch einmal zurück zum Kabarett, Sie waren fast ein Jahrzehnt bei der Münchner Lach- und Schießgesellschaft. Stand Kabarett zu Beginn Ihrer Laufbahn auf dem Wunschzettel, oder sind Sie in dieses Metier mehr oder weniger reingerutscht?

Ich habe ja einen ziemlich krummen Lebensweg. Zunächst habe ich studiert und bin dann auf die Schauspielschule in Berlin gegangen, auf die Max-Reinhardt-Schule. Nach einem Jahr wurde ich vom Schillertheater engagiert. Als ich damit nach fünf Jahren durch war, wollte ich Regisseur werden - ich hatte immerhin den besten Leuten assistiert, die es damals in diesem Fach gab. Um ein Haar wäre ich damals beim Berliner Ensemble am Schiffbauerdamm gelandet, aber dann kam der Mauerbau dazwischen.

Ich habe also zunächst als Schauspieler und Regisseur gearbeitet, dann habe ich angefangen, zu schreiben: Kinderbücher, Zeitungsartikel und alles mögliche andere. Das war zum Teil eine fürchterliche Quälerei, so daß ich mir dachte: Warum bleibst du nicht beim Theater, da brauchst du nur die Texte anderer Leute aufzusagen. Wenn ich dann aber auf der Bühne stand, sagte ich mir: Warum sprichst du Texte anderer Leute nach, die du zum Teil nicht einmal leiden kannst? Warum bist du nicht am Schreibtisch und schreibst was Schönes? Aus diesem Zwiespalt hat mich schließlich Sammy Drechsel erlöst, der mich zur Lach- und Schießgesellschaft holte. Das war die Chance, da konnte ich spielen, was ich selber geschrieben hatte.

Man versteht Autobiographien allgemein als eine Art Schlußbilanz - war Ihr Buch so gedacht?

Der Verlag hatte die Idee dazu. Meine Frau war überhaupt nicht begeistert davon, und ich selbst bin auch erst einmal nicht darauf angesprungen. Ich fand Biographien immer irgendwie öde, aber dennoch habe ich mich nach einiger Zeit mit dem Gedanken angefreundet. Ich habe in meinem Text einiges zu erwähnen vergessen, vielleicht kann man das bei einer eventuellen Neuauflage noch nachtragen. Ansonsten: Ich trete weiter auf Bühnen auf, mache das weiter, was ich bisher gemacht habe. Allerdings ein wenig reduziert, aus Altersgründen.

 

 

 

 

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