Hitlers Raubkunst
Von Horsta KrumIn ihrem jüngst erschienenen Buch »Auf Befehl des Führers« zeichnet Birgit Schwarz nach, wie die Nazis seit 1938 in den besetzten Ländern Kunstwerke und andere wertvolle Gegenstände systematisch an sich rissen und wie Organisationen und einzelne Personen im Kunstraub konkurrierten - beispielsweise der Hitler-Vertraute Hans Posse, Reichsmarschall Hermann Göring, der deutsche Botschafter in Frankreich Otto Abetz, der Chef des Reichssicherheitshauptamtes Reinhard Heydrich, mehrere Kunsthändler oder auch der Ideologe des deutschen Faschismus Alfred Rosenberg, der mit seinem »Einsatzstab« wohl der gründlichste und brutalste Kunsträuber war. Auch beim Kunstkauf gab es Rivalitäten - wobei Verkäufer erpresst wurden, gelegentlich aber sogar gängige Preise erzielten.
Neben einiger Sekundärliteratur wertet die Autorin vor allem viele zeitgenössische Dokumente aus und beschreibt, deutlicher als vergleichbare historische Forschung, die starke Rolle von Hans Posse, der als Befehlsempfänger Hitlers eine Vorauswahl von Gemälden traf für das geplante »Führermuseum« in Linz und der sich mit Hilfe von Martin Bormann, dem Chef der Reichskanzlei und Hitlers Sekretär, in der Regel mit seinen Wünschen durchsetzen konnte.
Kleinere Studien zu diesem Thema veröffentlicht Schwarz seit etwa zehn Jahren, und so stellt denn auch ihr Buch eine solide, gut fundierte Arbeit dar, ergänzt vorliegende Literatur und korrigiert sie mitunter, beispielsweise die Hitler-Biographie von Joachim C. Fest (1972), indem sie nachweist, dass das Linzer Museum keinesfalls so gigantisch geplant gewesen sei, wie Fest und andere meinen; Hitler hatte vielmehr einen reichlichen Teil der geraubten und gekauften Kunstwerke für deutsche und österreichische Museen vorgesehen.
Die Autorin erklärt den Kunstraub auch durch die Rassismustheorien, mit denen die Nazis den Überlegenheitsanspruch der »germanischen Rasse« geltend machten. Als Historikerin stellt sie den Kunstraub vor allem in entsprechende Zusammenhänge: Der Versailler Vertrag von 1919 oder der Kunstraub Napoleons dienten als propagandistische Grundlagen der »deutschen Kunstraub-Paranoia« und des »deutschen Kunstraub-Revanchismus«, so die Überschriften zweier Kapitel.
Wie der Raubzug in Deutschland vorbereitet wurde und dann mit der militärischen Besetzung der Länder sofort begann, stellt das Buch im einzelnen dar, von Österreich bis zur Sowjetunion. So wird deutlich, dass nicht immer nach gleichen Grundsätzen und mit gleichen Methoden vorgegangen wurde.
Das Buch zeichnet auch die abenteuerlichen und riskanten Wege einzelner Kunstwerke nach, beispielsweise des Genter Altars aus dem Jahre 1432; darüber hinaus führt es Belege an, die vermuten lassen, dass dieses Kunstwerk nicht für das Linzer Museum vorgesehen war, sondern für das damalige Kaiser-Friedrich-Museum in Berlin, das heutige Bode-Museum.
Allerdings sind auch einige Mängel festzustellen, beispielsweise in dem Kapitel über Altaussee, das große Salzbergwerk in Oberösterreich, in dem riesige Mengen hochwertiger Kunstwerke gelagert wurden. Sie wollte der zuständige Gauleiter vernichten, damit sie nicht in die Hände der Alliierten fielen. Aber der Ingenieur des Bergwerkes und einige Bergleute verhinderten unter Lebensgefahr die Sprengung. Das Buch wird der Leistung der Bergleute nicht gerecht, und der Ingenieur Emmerich Pöchmüller wird nicht einmal erwähnt.
Das Kapitel über den Kunstraub in Frankreich weist Lücken auf. Französische Historiker forschen seit Jahrzehnten zu diesem Thema (die erste mir bekannte Veröffentlichung erschien 1947). Vor allem aber wird die wichtigste Zeugin des Kunstraubes in Frankreich nicht genannt: Rose Valland, die in Paris vor Ort war und täglich Notizen machte über Herkunft, Behandlung und Verbleib des Raubgutes. Schade, dass Birgit Schwarz ihre Arbeiten nicht zur Kenntnis genommen hat - vermutlich deshalb, weil diese Aufzeichnungen und wohl auch die anderen Forschungsergebnisse nur in französischer Sprache vorliegen.
Auch würdigt das Buch nicht, was der Leiter des Kunstschutzes in Frankreich, Franz Graf Wolff-Metternich, geleistet hat. Der Kunstschutz beruhte auf der Haager Landkriegsordnung von 1907 und unterstand dem Oberkommando des Heeres. Wolff-Metternich arbeitete also in militärischem Auftrag. Die deutschen Okkupanten, unterstützt durch viele Kunsthistoriker, wollten sich außer dem privaten auch den staatlichen Kunstbesitz Frankreichs aneignen. Trotzdem blieb dieser im großen und ganzen unangetastet. In der zweiten Hälfte des Jahres 1941 legten Hitler und Goebbels definitiv fest, darüber erst nach Kriegsende zu entscheiden. Darauf geht Schwarz kaum ein. Wolff-Metternich schrieb immer wieder Gutachten, die sich für den Verbleib der konfiszierten Kunstwerke in Frankreich einsetzten. Mündlich und schriftlich unterstützte er Proteste der französischen Seite und führte viele Einzelgespräche, die nicht dokumentiert sind. Er trug meiner Einschätzung nach dazu bei, dass die Entscheidung über den staatlichen Kunstbesitz Frankreichs von Hitler und Goebbels aufgeschoben wurde, eine Entscheidung, die schließlich die Rettung dieser Kunstgüter bedeutete. Schade, dass dieses Thema zu kurz kommt.
Insgesamt ist das Buch von Birgit Schwarz mehr als nur gut lesbar: Jeder interessierte Mensch wird es mit Gewinn lesen, und für jene, die historisch forschen, bietet es reichlich Material, das allerdings der Ergänzung bedarf.
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