Gegen die Schmidtbestimmung
Von Christof MeuelerIm Juli ist Karl-Heinz Hansen gestorben. Im Alter von 87 Jahren. Vor langer Zeit war er ein bekannter Politiker. Ende der 70er Jahre waren er und sein Freund Manfred Coppik die einzigen Linksabweichler der SPD im Bundestag. Sie führten nicht nur Beschwerde, wie es auch heute noch manche Sozis tun, nein, sie stimmten gegen die eigene Fraktion. Und zwar gegen den »NATO-Doppelbeschluss«, gegen Steuererleichterungen für Millionäre und gegen Sondergesetze für inhaftierte RAF-Mitglieder.
Das muss man erst mal durchhalten. Von Egon Franke, dem Chef der »Kanalarbeiter«, des rechten Flügels der SPD-Abgeordneten (heute »Seeheimer Kreis« genannt), wurde Hansen als »geisteskrank« eingestuft, von Helmut Schmidt als »Wirrkopf« bezeichnet und vom Spiegel als »bis zum Narzissmus ungerecht«.
Coppik und Hansen opponierten in erster Linie gegen den »Zieh-mit-wähl-Schmidt«-Kurs des damaligen Bundeskanzlers, der mit dieser Parole und dem Gerede vom »Modell Deutschland« als Nachfolger von Willy Brandt 1976 die Wahlen gewonnen hatte. Hansen nennt dessen autoritären Politikstil »Schmidtbestimmung«. Nachzulesen in Hansens nun postum veröffentlichten Memoiren »Es ist nicht alles schlecht, was scheitert«, die er noch vor seinem Tod fertigstellen konnte.
Hansen saß von 1969 bis 1983 im Bundestag, unter anderem im Verteidigungsausschuss. Die sozialliberale Koalition erlebte er von Anfang bis Ende. Er brauchte seine Zeit, bis er begriff, »dass Rüstungsprojekte wie Geheimdienste gleichermaßen unkontrollierbar sind und regelmäßig das Parlament zum Notariat des Exekutive degradieren«. Und rückblickend muss er »feststellen, dass es uns Linken nicht gelungen ist, dem Kapitalismus Grenzen zu setzen. Nicht einmal zur Wiedereinführung der Vermögenssteuer hat es gereicht.«
Im Juli 1981 wurde er aus der SPD ausgeschlossen, nachdem er im Februar in der Zeitschrift Konkret seine Partei aufgefordert hatte: »Kündigt den >Nachrüstungsbeschluss!<«. Das war zuviel für Helmut Schmidt, der der NATO eine Raketenlücke vorgerechnet hatte: Angeblich verfügten die NATO-Staaten über weniger Mittelstreckenraketen als die Staaten des Warschauer Vertrages, weshalb mit Cruise Missiles und Pershings »nachgerüstet« werden sollte. Vor dieser Drohkulisse sollte dann über Rüstungskontrolle verhandelt werden.
Diese Politik war zuviel für die SPD, die den »NATO-Doppelbeschluss« nicht als Regierungspartei überlebte. Schon im Oktober 1981 demonstrierten 300.000 Menschen in Bonn dagegen, die Partei zerfaserte in Flügelkämpfen und fand sich schon ein Jahr später in der Opposition wieder. Auf lange Zeit geschwächt von den Grünen, die sich ursprünglich einmal, auch wenn man es heute kaum noch glauben mag, gegen die NATO und gegen den Atomstaat, den anderen großen Wahnsinn im »Modell Deutschland« des Helmut Schmidt, gegründet hatten.
Wegen des Erfolges der Grünen wurde auch nichts aus Hansens post-sozialdemokratischen Parteiprojekten. Die von ihm und Manfred Coppik, der die SPD 1982 aus eigenen Stücken verlassen hatte, gegründeten Demokratischen Sozialisten (DS) blieben ebenso marginal wie die DKP-nahe »Friedensliste«, für die er gemeinsam mit verschiedenen Linksintellektuellen antrat. Einmal war auch Ewald Lienen mit dabei, der einzige explizit linke Fußballer in der Geschichte der Bundesliga. Bei den Europawahlen 1984 erreichte die »Friedenliste« 1,3 Prozent. Das war viermal soviel, wie die DKP allein vermochte. Doch die Grünen waren 1983 schon in den Bundestag eingezogen, und »um sie drehte sich jetzt die öffentliche Diskussion«.
Bevor Hansen Politiker wurde, war er ein Gymnasiallehrer im Rheinland, der sich mit seinen Vorgesetzten und Kollegen stritt. Viele von ihnen waren schlecht getarnte Nazis, Geschichtsrevisionisten und brutale Bürokraten. Wenn sie den Antifaschisten Hansen abstrafen wollten, ging er vor Gericht, worüber dann Düsseldorfer Lokalzeitungen berichteten.
Die Verblendung seiner eigenen Kindheit und Jugend im deutsch-niederländischen Grenzgebiet zur Zeit des Faschismus deutet er nur an. 1943 wurde er mit 17 Jahren als Flaksoldat eingezogen. Das Kriegsende erschien ihm als ein »Absturz ins Bodenlose«. Er schreibt davon, dass ihn die »Hetze gegen Juden« nicht erreicht habe. Er habe keinen Stürmer gelesen und auch »nie einen Menschen mit dem >Judenstern< auf der Brust gesehen«.
1949 landet er durch eine Mischung aus Zufall, Unvermögen und Naivität bei der französischen Fremdenlegion, wo er bis 1953 »genau 1.459 Tage ununterbrochen uniformiert« war. Ursprünglich wollte er in Frankreich arbeiten, um sein Französisch zu verbessern, landete dann aber erst als Hilfsarbeiter unter Tage und dann als Fremdenlegionär im ersten Indochinakrieg, den er aber als Radiomechaniker sicher kaserniert überstand. Und über den er auch nicht viel zu berichten weiß, so, als ob er sich für seine eigene Dummheit schämen würde. Anders als über die drei Wochen, die er zur Jahreswende 1983/84 als Erntehelfer in Nicaragua zubrachte, seine persönliche Form der Solidarität mit der sandinistischen Revolution. Hierfür hat er eigens seitenweise Tagebucheintragungen rekonstruiert. Später sammelte er Geld für zwei Sanitätsflugzeuge für Nicaragua. Noch später geißelte er die Korruption der sandinistischen Partei, die seit 2006 wieder den Präsidenten stellt.
Das alles hat er sehr pragmatisch aufgeschrieben, ohne stilistisch allzuviel Federlesens zu machen. Es gibt wenige Details, so gut wie kein Privatleben und schon gar keinen Klatsch über die ganzen prominenten Figuren, mit denen er zu tun hatte, von Herbert Wehner über Heinrich Böll und Ernesto Cardenal bis zu den Kabarettisten Dieter Hildebrandt und Richard Rogler. Statt dessen zitiert Hansen gerne lange Passagen aus Bundestagsprotokollen, Interviews und Programmen. Er muss über ein sehr gutes Archiv verfügt haben.
Er wollte den »aufrechten Gang« üben. Wenn man das heute liest, merkt man erst, dass davon niemand mehr spricht. Er schreibt zum Schluss, dass es ihm schwerfiel, »ein Optimist zu bleiben, der noch im Pessimismus ein belebendes Element zu erkennen vermag«.
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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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