Professionelle Antigewerkschafter
Von Daniel BehruziMaredo, Lidl, Burger King, UPS, Nora Systems. Wenn diese und andere Unternehmen in der jungen Welt genannt werden, geht es zumeist um eins: ihr Vorgehen gegen engagierte Betriebsräte und Gewerkschafter. Immer wieder müssen wir darüber berichten, wie Firmen versuchen, unliebsame Beschäftigte loszuwerden - und ihnen dabei jedes Mittel recht ist. Dass es sich keineswegs um Einzelfälle handelt, belegen Werner Rügemer und Elmar Wigand eindrücklich in ihrem jüngst erschienenen Buch »Die Fertigmacher«. Sie zeigen auf: Union Busting - die systematische Bekämpfung von Mitbestimmung und gewerkschaftlicher Organisierung - ist ein boomender Wirtschaftszweig, der den einen Leid und Kampf, den anderen sehr viel Geld beschert.
Die US-amerikanische Arbeiterbewegung ist schon seit Jahrzehnten mit den Praktiken des Union Busting konfrontiert. »In den USA gibt es eine ganze Industrie aus Agenturen, Kanzleien und Institutionen, die auf Gewerkschaftsvermeidung spezialisiert sind«, so die Autoren. »Deren hoch bezahlte Beratungs-, Rechtsvertretungs- und Coachingdienste hatten einen erheblichen Anteil am dramatischen Niedergang der traditionellen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung der USA nach dem Zweiten Weltkrieg.« Zuletzt haben die Antigewerkschaftsprofis zum Beispiel eine wichtige Rolle dabei gespielt, die Wahl einer Interessenvertretung im VW-Werk Chattanooga zu verhindern (jW berichtete).
Verdachtskündigung
Doch sind diese Aktivitäten keine Besonderheit des US-amerikanischen Wildwestkapitalismus mehr. Sie haben sich - das belegen Rügemer und Wigand detailliert - längst auch in Deutschland etabliert. Die beiden Kölner Publizisten bringen in dem flott geschriebenen Buch eine Vielzahl von Beispielen, wie Unternehmen mit Hilfe professioneller Berater und Anwälte gegen renitente Beschäftigte vorgehen. Und diese im wahrsten Sinne des Wortes »fertigmachen«.
Eine ihrer Methoden ist die sogenannte Verdachtskündigung, die durch den Fall der Berliner Kaiser's-Kassiererin Emmely bekannt wurde. Insbesondere im Einzelhandel ist es seit Jahren gang und gäbe, dass Beschäftigte gefeuert werden wegen des bloßen Verdachts, etwas geklaut zu haben. Selbst dann, wenn es dafür keinerlei Beweise gibt. Diese »Umkehrung bürgerlicher Rechtsgrundsätze« - »im Zweifel für den Angeklagten« gilt in deutschen Unternehmen nicht - hat die Justiz jahrzehntelang abgesegnet. Auch mit dem Erfolg von Emmely vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) 2010 ist dieses Problem nicht beseitigt.
Denn die Erfurter Richter entschieden lediglich, dass bei diesem Bagatelldelikt - es ging um Pfandbons im Wert von 1,30 Euro - eine Abmahnung statt einer fristlosen Kündigung angebracht gewesen wäre. Entlassungen wegen des bloßen Verdachts sind weiterhin möglich - und dieser ist natürlich leicht zu konstruieren, gerade im Einzelhandel. »Möglicherweise zeigt sich hier einfach eine Klassenjustiz mit langer Tradition«, so Rügemer und Wigand. »Vielleicht ist es auch so, wie der Publizist Jens Berger schrieb: >Das Arbeitsgesetz in Deutschland ist ein Arbeitgebergesetz.<«
Die Reaktion der Unternehmen auf das Emmely-Urteil besteht vor allem darin, früher Abmahnungen zu erteilen und so eine spätere Kündigung zu erleichtern. Den Arbeitgeberjuristen hat die BAG-Entscheidung also nicht geschadet. Im Gegenteil: Die verstärkte Abmahnpraxis beschert ihnen zusätzliche Aufträge und Honorare.
Ross und Reiter
»Hier sind hochbezahlte Dienstleister am Werk, die sich schon aus beruflichem und wirtschaftlichem Eigeninteresse dazu getrieben sehen, das Rad des Arbeitsunrechts immer weiter zu drehen«, schreiben die Autoren. Und sie belassen es nicht bei dieser allgemeinen Aussage, sondern nennen Ross und Reiter. Zum Beispiel den »Betriebsrätefresser« Helmut Naujoks, der Unternehmen Tips zur »Kündigung von Unkündbaren« gibt. Oder den Anwalt Jan Tibor Lelley, der bei der Kündigungswelle gegen Maredo-Betriebsräte in Frankfurt am Main und Osnabrück eine Rolle spielte (jW berichtete).
Die Autoren nennen die »Fertigmacher« beim Namen. Zugleich analysieren sie die Strukturen und Prozesse, die den Boom des Union Busting befördern. So zum Beispiel die Veränderungen in der Rechtsanwaltsbranche. In dieser herrscht extreme Konkurrenz - die Zahl der Juristen hat sich laut Bundesrechtsanwaltskammer seit 1950 verzehnfacht - sowohl zwischen als auch innerhalb der Kanzleien. Die einzelnen Anwälte stehen unter enormem Druck, den »Umsatz pro Beschäftigungsträger«, wie es im Szenejargon heißt, zu steigern. Das geht vor allem durch lukrative Aufträge von Konzernen. Darin liegt den Verfassern zufolge »ein Grund dafür, dass der Stil und die eingesetzten Strategien von Arbeitgeberanwälten gegenüber Beschäftigten seit etwa 15 Jahren merklich aggressiver und rücksichtsloser werden«.
Wie in anderen Branchen findet auch bei Anwaltskanzleien ein Konzentrationsprozess statt, seit der Bundesgerichtshof das Verbot überörtlicher Sozietäten 1989 aufgehoben hat. In der Folge sind große Wirtschaftskanzleien entstanden, die »in der Lage sind, sich ihren Markt zu schaffen«: »Sie entwerfen Gesetze etwa zur Öffnung der Finanzmärkte und Erleichterung von Firmenaufkäufen oder Freihandelsabkommen, pflegen intensive Kontakte zu Politikern, Wirtschaftseliten, Lobbyisten und Multiplikatoren.« Und sie haben zumeist große Arbeitsrechtsabteilungen, die den Unternehmen Strategien zur Verhinderung von Betriebsratswahlen oder zur Entlassung von Aktivisten andienen.
Die abhängig Beschäftigten haben es also nicht mehr nur mit Privateigentümern und deren Managern zu tun, sondern auch mit Kanzleien, PR-Agenturen, Detekteien und vielen anderen Akteuren. »Diese sind nicht anonym, auch wenn sie das meist gern bleiben möchten. Vielmehr haben die Täter Namen und Adresse. Und sie haben ein klar benennbares Handwerkszeug.« Rügemer und Wigand machen sich mit ihrem Buch verdient darum, die neuen Gewerkschaftsgegner ans Licht der Öffentlichkeit zu holen und ihre Methoden systematisch zu analysieren. Ihr Fazit: »Die Fertigmacher zielen darauf ab, das Arbeitsunrecht zu legitimieren und zu verrechtlichen, aus Unrecht Recht zu machen.« Ihnen gelte es, den Kampf anzusagen, betonen die Autoren - und zitieren den Dichter und Juristen Johann Wolfgang von Goethe: »Wer das Recht auf seiner Seite fühlt, muss derb auftreten, ein höflich Recht will gar nichts heißen.«
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