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Aus: Phantastische Literatur, Beilage der jW vom 15.06.2016

Die Reise zum Mars

Von Thomas Wagner
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Am 28. Mai 2016 war es soweit: US-Astronaut Jeffrey Williams ließ Luft in das erste aufblasbare Wohnmodul im Weltall. Die Kammer wurde auf der internationalen Raumstation ISS installiert. Damit ist die Menschheit einem lange gehegten Traum einen kleinen Schritt näher gekommen: der Kolonisierung des Mars. Denn mit der ballonähnlichen Kapsel, die von der Herstellerfirma Bigelow Aerospace auf den Namen »Beam« getauft wurde, soll in 400 Kilometer Höhe getestet werden, wie Astronauten auf dem roten Planeten einmal leben könnten. Genau dieses Szenario ist in der Science-Fiction-Literatur immer wieder beschrieben worden. Beispielsweise in Kim Stanley Robinsons lange vergriffener Mars-Trilogie, deren erster Band »Roter Mars« im vergangenen Jahr neu erschienen ist. In diesem Roman beginnt die Kolonisation im Jahr 2026 mit den ersten 100 Siedlern. Konzerne beuten die Rohstoffe des Planeten aus. Schließlich gelingt die Revolution. Ein realistisches Szenario – hoffentlich.

Die Angst vor einer Invasion der Erde durch kriegerische Marsianer machte den Erfolg des Romanklassikers »Krieg der Welten« von H. G. Wells aus. Am Ende erweist sich deren Immunsystem als zu schwach, um gegen irdische Bakterien zu bestehen. Die Ausstrahlung der Hörspielfassung der Geschichte von Orson Welles führte 1938 zu einem gewissen Aufsehen, da viele Menschen an den Empfangsgeräten am Vorabend des Zweiten Weltkriegs glaubten, es handele sich um die Reportage einer wirklichen Alienattacke.

In Ray Bradburys »Mars-Chroniken« wiederum wissen sich die telepathisch begabten Marsbewohner der Inbesitznahme ihrer Heimat durch die unerwünschten Kolonisten von der Erde zu erwehren. Sie bringen die Angehörigen der verschiedenen Marsexpeditionen buchstäblich um den Verstand. Man mag hierin Anklänge an den nationalen Befreiungskampf antikolonialer Bewegungen nach dem Zweiten Weltkrieg erkennen.

»Die Zukunft des Mars«, die Georg Klein in seinem 2013 erschienenen Roman beschreibt, ist eine, in der die menschlichen Kolonisten den Kontakt zur Erde längst verloren haben.

In Ben Bovas neu aufgelegtem Roman »Mars« macht sich im Jahr 2020 eine internationale Crew aus Astronauten und Wissenschaftlern auf die lange Reise zum roten Planeten. Politische Divergenzen, unterschiedliche ökonomische Interessen und widrige Umweltbedingungen erschweren die Mission. Vor allem mit letzteren muss sich Astronaut Mark Watney in dem von Ridley Scott verfilmten Bestseller »Der Marsianer« von Andy Weir auseinandersetzen. Und dabei ist er ganz auf sich allein gestellt. Denn seit einem missglückten Außeneinsatz auf der Marsoberfläche gilt er als tot. Der Rest der Crew tritt den Heimflug ohne ihn an. Weir erzählt, wie es Watney gelingt, die Bodenstation auf sich aufmerksam zu machen und mit Hilfe immer neuer Einfälle zu überleben, bis Jahre später schließlich die Rettung gelingt. Die Hightechrobinsonade besticht durch die realtitätsnahen Details. Diese Zukunft scheint zum Greifen nah.

Allerdings sind es nach wie vor bis heute nur Maschinen, denen eine Marsreise mehr oder weniger geglückt ist. Anfangs konnte die Sowjetunion diesbezüglich einige Erfolge vorweisen. So erreichte im November 1971 ein sowjetisches Landfahrzeug namens »Mars 2« als erstes von Menschen gebautes Vehikel überhaupt den Marsboden. Das Ganze war allerdings eine Bruchlandung. »Mars 3« gelang die Landung einen Monat später, doch brach die Signalübertragung zur Erde nach 20 Sekunden ab. »Mars 4« verfehlte den Planeten aufgrund technischer Schwierigkeiten. Erfolgreich war hingegen die Mission des sowjetischen Orbiters »Mars 5« im Februar 1974. Im Verlauf von 22 Umrundungen entstanden etwa sechzig Fotos. Dann versagte die Maschine. »Mars 6« erreichte den Mars im März 1974 und brachte ein Landeraumschiff mit. Auch dieses zerschellte am Boden, nachdem es immerhin vier Minuten lang Daten übermittelt hatte.

Heute ist es nicht die sozialistische Sowjetunion, sondern es sind die kapitalistischen USA, die in Sachen Marsmission die Nase vorn haben. Und immer stärker rückt das Ziel einer bemannten Mission in den Mittelpunkt der Planungen. Zu den Rätseln, die Menschen auf dem Mars lösen wollen, gehört die Frage, ob sich die Existenz von Wasser in flüssigem Zustand nachweisen lässt. Daran knüpft sich die Frage nach außerirdischem Leben. Für private Investoren steht die Suche nach Rohstoffen ganz oben auf der Agenda.

Für den Milliardär Elon Musk, der das private Raumfahrtunternehmen SpaceX betreibt, geht es um nichts Geringeres als die Fortexistenz der Menschheit. Der Hauptsitz seines Unternehmens liegt im kalifornischen Hawthorne, einem Vorort von Los Angeles. »Wer hier zu Besuch ist, bekommt an der Wand auf dem Weg zu Musks Büroecke zwei riesige Poster vom Mars zu sehen«, schreibt sein Biograph Ashlee Vance: »Das linke zeigt den Mars, wie er heute ist – ein kalter, öder roter Gigant. Auf dem rechten Poster dagegen ist der Planet als riesige grüne Landmasse dargestellt, umgeben von Ozeanen – er wurde wärmer gemacht und so umgebaut, dass Menschen dort wohnen können. Musk ist fest entschlossen, genau das zu versuchen. Menschen die Besiedelung des Weltraums zu ermöglichen ist sein erklärtes Lebensziel.«

Die US-Raumfahrtbehörde NASA will ab 2017 wieder in die bemannte Raumfahrt einsteigen und hat die Unternehmen Boeing und SpaceX zu diesem Zweck mit der Entwicklung von geeigneten Transportern beauftragt. Die staatliche Initiative steht in Zusammenhang mit den sich seit Jahren verschärfenden Spannungen zwischen den USA und Russland. Seitdem sie im Jahr 2011 ihre Shuttleflotte aus Kostengründen ausgemustert hatte, war die expansive Großmacht auf die Mitnahme ihrer Astronauten in russischen »Sojus«-Kapseln angewiesen, wenn sie diese zur internationalen Raumstation ISS bringen wollte. Diese werden schon seit 1966 gebaut und haben sich, zusammen mit der »Sojus«-Rakete, die sie in den Weltraum schießt, als das zuverlässigste Fahrzeug der gesamten Raumfahrtgeschichte erwiesen. Ein »Sojus«-Raumschiff ist als potentielles Fluchtfahrzeug permanent an der ISS angedockt.

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Die von SpaceX entwickelten »Dragon«-Raumkapseln befördern seit 2012 regelmäßig Fracht zur ISS. Sie sind unbemannt, wurden aber so konstruiert, dass sie auch Menschen transportieren und auf dem Mond, dem Mars oder einem anderen Himmelskörper landen können. Musk hat darüber hinaus geplant, bis zum Ende der 2020er Jahre ein Transportschiff zu bauen, das bis zu hundert Menschen gleichzeitig zum Mars bringen kann.

Im Gespräch mit Christoph Keese, Vizechef des Axel-Springer-Konzerns und Autor des lesenswerten Buchs »Silicon Valley. Was aus dem mächtigsten Tal der Welt auf uns zukommt«, erklärte der Unternehmer: »Ich möchte auf dem Mars sterben, vorzugsweise aber nicht beim Aufschlag.«

Das wird nicht so leicht zu machen sein. Denn aller Voraussicht nach wird die erste von Menschen unternommene Reise zum Mars ein gefährliches und in vielerlei Hinsicht beschwerliches Unterfangen sein. Da sich Erde und Mars auf elliptischen Bahnen um die Sonne bewegen, verändert sich ihr Abstand zueinander ständig. Die geringste Entfernung tritt nur alle 15 bis 17 Jahre ein. Der rote Planet, dessen Oberfläche in etwa der gesamten Landmasse der Erde entspricht, ist außerordentlich lebensfeindlich. Die im Vergleich zur Erde sehr dünne Atmosphäre besteht zu über 95 Prozent aus Kohlendioxid, zu knapp zwei Prozent aus Stickstoff, zu zwei Prozent aus Argon und zu einem Prozent aus Wasser in Form von Dampf.

»Allein der Flug zum Mars wird schon neun Monate dauern. Und Gott behüte, wenn drei Monate nach dem Start die Toilette kaputtgeht. Aus persönlicher Erfahrung weiß ich, dass man diese vier Worte bei einem langen Raumflug niemals hören will: ›Das Klo ist defekt‹«, schreibt der ehemalige ISS-Astronaut Clayton Anderson in seinem Vorwort zu dem von Sascha Mamczak und Sebastian Pirling herausgegebenen Sachbuch »Der Weg zum Mars. Aufbruch in eine neue Welt«.

Aber warum sollen Menschen diese Reise überhaupt wagen? Würde es nicht reichen, einfach immer mehr und immer bessere Sonden und Rover zum Mars zu schicken? Die Autoren geben die folgende Antwort: »Weil Menschen effektiver sind als Roboter. Menschen können sich schnell auf Situationen einstellen und in Sekundenbruchteilen entscheiden, was zu tun ist. Menschen arbeiten schnell und effizient, sind ausdauernd, intelligent, einfallsreich und – sie können improvisieren. Im Gegensatz zu einem Roboter, der stur seiner Programmierung folgt. Kreativität und Improvisationstalent haben bei einer Weltraummission direkte Auswirkungen auf die Qualität des zur Erde zurückgebrachten Probenmaterials.«

In dem Buch wird anschaulich erzählt, »wie der erste bemannte Flug zum Mars vonstatten gehen könnte. Was man für die Reise benötigt. Welche Start- und Landemanöver durchzuführen sind. Was sich auf dem Mars zu erkunden lohnt. Wie man sicher wieder zurückkommt.«

Damit eine solche, mehrere Milliarden Euro teure Reise gerechtfertigt erscheint, müssen bestmögliche Ergebnisse erzielt werden. Um diese zu erreichen, benötigen die Wissenschaftsastronauten hinreichend Zeit. Das wiederum bedeutet, »dass Crew und Ausrüstung fast tausend Tage lang den Strapazen eines Weltraumfluges und den widrigen Bedingungen des roten Planeten ausgesetzt sein werden. Da die Astronauten auf dem Mars nicht eineinhalb Jahre lang im Landemodul leben können, wie es noch bei den wesentlich kürzeren Mondmissionen möglich war, braucht die Crew ein halbwegs komfortables Wohnhabitat, das natürlich ebenfalls zum Gewicht der Nutzlast und somit zu den Missionskosten beiträgt.« (ebd.)

Die von privaten Unternehmen in Kooperation mit staatlichen Einrichtungen vorangetriebenen, ganz konkreten Pläne für den bemannten Flug zum Mars sind ein Beispiel dafür, wie nahe sich spekulatives Denken, literarische Zukunftsvisionen und ganz realer technischer Fortschritt in diesen Tagen gekommen zu sein scheinen. Grund genug, die Reise zum Mars zum Schwerpunkt dieser Beilage zu machen. Bedenklich ist allerdings, dass dem nicht die Beschlüsse demokratischer Gemeinwesen, sondern die Allmachtsphantasien kalifornischer Milliardäre zugrunde liegen. Daneben enthält diese Beilage wie gewohnt Rezensionen, ein Interview und einen Romanauszug aus der Welt der phantastischen Literatur.

Ben Bova: Mars. Heyne Verlag, München 2016, 800 Seiten, 16,99 Euro

Georg Klein: Die Zukunft des Mars. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2013, 384 Seiten, 22,95 Euro

Sascha Mamczak/Sebastian Pirling (Hrsg.): Der Weg zum Mars. Aufbruch in eine neue Welt. Heyne Verlag, München 2015, 9,99 Euro

Kim Stanley Robinson: Roter Mars. Heyne Verlag, München 2015, 816 Seiten, 14,99 Euro

Ashlee Vance: Elon Musk. Tesla, PayPal, SpaceX. Wie Elon Musk die Welt verändert. FinanzBuch Verlag, München 2015, 368 Seiten, 19,99 Euro

Andy Weir: Der Marsianer. Heyne Verlag, München 2014, 512 Seiten, 14,99 Euro

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