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Aus: Stadt & Mensch, Beilage der jW vom 14.09.2016

Die ungebremste Wahrheit

Der Versuch, in Großstädten Mieter per Gesetz vor Abzocke zu schützen, ist gescheitert. Beim Schönrechnen hilft günstiger Wohnraum in der Provinz
Von Claudia Wangerin
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Im November 2012 (Foto) forderten 3.000 Demonstranten in Hamburg effektiven Mieterschutz. Die 2015 eingeführte »Preisbremse« bietet ihn kaum

Zu hohe Mieten, wo gibt es denn so was? Im bundesweiten Durchschnitt kann ein privater Haushalt für ein Viertel seines Einkommens immerhin 94 Quadratmeter mieten. Zu diesem Ergebnis kam eine Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, die Mitte August veröffentlicht wurde. Einkommensmillionäre selbstverständlich mitgerechnet – und auch wenn das den Durchschnittswert nicht unbedingt zum Normalfall macht: Es muss ja nicht jeder in der Stadt wohnen. Im bayerischen Landkreis Dingolfing-Landau oder im niedersächsischen Lüchow-Dannenberg reichen 25 Prozent des Haushaltseinkommens im Schnitt sogar für 120 Quadratmeter. Sie wissen schon, Lüchow-Dannenberg, das ist da, wo ständig Bürgerinitiativen gegen ein nahegelegenes Atommüllager aufmucken, das gerüchteweise nicht ganz sicher ist. Und Dingolfing-Landau, von dort müssen Berufstätige, die sich keine Wohnung in München leisten können, nur zweieinhalb bis drei Stunden Fahrzeit am Tag einkalkulieren, um in die bayerische Landeshauptstadt und wieder zurück zu kommen. Ein Auto wäre natürlich von Vorteil.

Selbst in München gibt es laut IW im statistischen Mittel noch rund 70 Quadratmeter für ein Viertel des Haushaltseinkommens. Konkret sind dort aber für einen Quadratmeter durchschnittlich 17,30 Euro fällig – also für 70 Quadratmeter gut 1.200 Euro –, in den Außenbezirken etwas weniger, aber auch dort in der Regel mehr als 1.000 Euro. Und leider kosten halb so große Apartments – wie sie Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD) für junge Berufstätige angemessen findet – in der Regel deutlich mehr als die Hälfte.

So haben durchaus gefragte Berufsgruppen bei der Wohnungssuche in München ein Problem – genannt werden immer wieder junge Polizeibeamte, Erzieherinnen oder Lokführer, wie das »Bündnis Bezahlbares Wohnen« bestätigt. Nach einem Bericht von münchen.tv im Mai verpflichtet die Polizei mittlerweile Kollegen zwangsweise zum Dienst in der teuren Landeshauptstadt. Die wenigsten wollten anschließend bleiben, zitierte der Sender einen Personalrat. Die Polizei, die in Berlin oder Münster gegen Hausbesetzer in Stellung gebracht wird, ist in München schon selbst Opfer der Politik, gegen die sich Hausbesetzungen richten.

Das »Gesetz zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Wohnungsmärkten und zur Stärkung des Bestellerprinzips bei der Wohnungsvermittlung« – auch bekannt als »Mietpreisbremse« – hat bisher nicht die versprochene Wirkung gezeigt. Zu viele Ausnahmen sind bereits darin festgelegt, etwa für Neubauten und Wohnungen nach »umfassender Sanierung«, falls die Immobilie überhaupt in einer der Städte liegt, die die Bundesländer dafür auswählen konnten. Mal wird der Begriff »umfassende Sanierung« kreativ ausgelegt, mal wird die Wohnung einfach möbliert angeboten, um die »Mietpreisbremse« zu umgehen – meist wird den Einzugswilligen einfach die Vormiete nicht offengelegt. Wenigstens in diesem Punkt will die SPD-Bundestagsfraktion nachbessern. Ein Jahr nach Inkrafttreten der »Mietpreisbremse« sieht sie die Notwendigkeit, dass Vermieter gesetzlich verpflichtet werden, den vorherigen Preis anzugeben, damit Mieter beurteilen können, ob die Grenze überschritten wird. Im Normalfall dürfen dort, wo die »Bremse« überhaupt gilt, maximal zehn Prozent mehr verlangt werden als die ortsübliche Vergleichsmiete – es sei denn, die Wohnung wurde vorher schon teurer vermietet.

Für den Zeitraum 2016 bis 2019 hat die Bundesregierung zwar die Mittel für den sozialen Wohnungsbau um 500 Millionen Euro auf eine Milliarde Euro jährlich erhöht. Nach Jahrzehnten der Privatisierung mangelt es aber in einigen Städten an Baugrund – zum Beispiel in Berlin.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

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