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Aus: Erster Mai, Beilage der jW vom 26.04.2017
Selbsttätigkeit

Macht’s doch selbst!

Lohnbetrug, Entlassungen, Willkür: Arbeiter verschiedener Länder sind den gleichen Problemen ausgesetzt. Der Staat löst keines von ihnen
Von Johannes Supe
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Die Fäuste hoch! Verlassen sich die Arbeiter auf die eigene Kraft, sind sie zu bemerkenswerten Aktionen fähig. Ihre Kämpfe wie auch ihre Erfolge hängen dabei weniger von Einzelnen ab, sondern sind das Resultat kollektiver Anstrengung. Das sollen auch die Bilder in dieser Beilage ausdrücken

Ende März mussten wieder schlechte Nachrichten über die Lage der Beschäftigten in der BRD verkündet werden: Zwölf Prozent der Minijobber erhalten nicht einmal das Mindestgehalt. Von einer »illegalen Unterschreitung des Mindestlohns« war die Rede, als das nordrhein-westfälische Arbeitsministerium die von ihm in Auftrag gegebene Studie über 450-Euro-Stellen präsentierte. Und nicht nur das: Den Angestellten werde oft Urlaub vorenthalten, nicht mal die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sei gesichert. Da werden Kunden bedient, Räume geputzt, Lager eingeräumt – und am Ende verweigern die Chefs noch das Minimum an Lohn und sozialer Absicherung.

Die deutschen Gewerkschaften reagieren auf solche Zumutungen wie zu erwarten: mit dem Ruf nach mehr staatlichen Kontrollen in den Betrieben. Das gilt gerade für die IG BAU, in deren Organisationsbereich etwa die Gebäudereinigung fällt und damit eine Branche, in der Arbeiter regelmäßig um ihren Lohn betrogen werden. Es fehle dem Zoll – er soll die Einhaltung der Minimumgehälter sicherstellen – für notwendige Kontrollen an Personal, meint die IG BAU. Seit der Mindestlohn eingeführt wurde, geht das so. Mehr Personal, mehr Staat, dann werde es schon.

Wirklich? Die Journalisten Patricia D’Incau und Florian Sieber haben einen Blick ins Nachbarland Schweiz geworfen – und sind dort auf die gleichen Probleme gestoßen. Sie erzählen von Bauunternehmen, die ihre Arbeiter zuerst schamlos »büezen«, also schuften, lassen und sie dann ebenso schamlos unter Tarif bezahlen. Doch die dortige Gewerkschaft Unia verlangt nicht einfach nach mehr staatlicher Aufsicht. Vielmehr nimmt sie Lohnkontrollen in die eigene Hand – zumindest in Genf.

Über solche Beispiele informiert diese Beilage. Sie soll zur Aktivität anregen, die Arbeiter oder ihre Verbände. Denn nicht nur in Deutschland und der Schweiz ähneln sich die Probleme. Lohnbetrug, zu geringe Gehälter für Frauen gegenüber denen für Männer, schikanöser Umgang mit Erwerbslosen – sie lassen sich in allen Ländern Europas finden. Und in keinem konnte der Staat sie beenden.

Das mag mit dessen Charakter zu tun haben. »Ein Organ zur Unterdrückung der einen Klasse durch die andere«, so beschrieb der russische Revolutionär Lenin schon 1917 das Wesen des Staates. Damit ist die Frage berührt, wer herrscht. In Europa sind es bekanntlich nicht die Arbeiter. Wie die Antwort im sozialistischen Kuba ausfällt, berichtet Volker Hermsdorf.

Doch auch unter den widrigen Bedingungen der Marktwirtschaft bringen die Beschäftigten eine teils enorme Energie auf. So sind es etwa britische Bauarbeiter, die beweisen, dass man trotz eines außerordentlich repressiven Streikrechts Arbeitskämpfe führen kann. Ihre Geschichte erzählt Christian Bunke. Er macht deutlich: Die gut vernetzten »Rank and File«-Aktivisten warten nicht mal auf die eigene Gewerkschaft, wenn sie Ausstände vorbereiten. Den Verband ziehen sie im nachhinein mit; über gesetzliche Vorgaben setzen sie sich – oft erfolgreich – hinweg.

In Deutschland steht solchem Vorgehen eine Tradition der Staatsgläubigkeit entgegen, führt der Sozialwissenschaftlicher Frank Deppe aus. Allzu pessimistisch ist Deppe dennoch nicht: »Ob nun bei Amazon oder bei der Charité, die Kollegen entwickeln im und für den Kampf einige Phantasie.« Einmal in Bewegung geraten, bekämen die Beschäftigten ein Gefühl für die eigene Stärke. Wie man den ersten Anstoß geben könnte – darüber lohnt es sich, am 1. Mai nachzudenken.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!