Wie lange wollen wir schuften?
Von Johannes SupeAls BMW den Beschäftigten in Aussicht stellte, eine neue Filiale für die Berliner Niederlassung zu eröffnen, verlangte das Unternehmen von seinen Arbeitern etwas: Sie sollten in der Woche eine Stunde länger arbeiten als zuvor. Die Kollegen willigten ein, fortan war man 37 statt wie zuvor 36 Stunden tätig. Vor nicht ganz zehn Jahren wurde die Abmachung getroffen. Mittlerweile kämpft die Belegschaft darum, die Mehrarbeit wieder loszuwerden, trat am 13. September gar in den Warnstreik. »Wir haben unseren Anteil längst bezahlt«, meinte der Betriebsratsvorsitzende Oliver Massling dazu. Über die Jahre hätten die 450 Kollegen in der einen zusätzlichen Stunde einiges an Wert geschaffen, genauer: zehn Millionen Euro. Einen Betrag, den BMW einstrich.
An der Arbeitszeit hängt für die Beschäftigten eine Menge. Wieviel Zeit für die Familie, für das Pflegen von Freundschaften, für das Lesen eines Romans bleibt, ist weitgehend davon bestimmt, wie lange einen die Lohnarbeit in Anspruch nimmt. Wer acht Stunden am Tag schuftet – in vielen Berufen auch mehr – der wird am Abend wenig Zeit für politische Tätigkeit haben, der wird nicht mehr völlig begeistert zur nächsten Gewerkschaftssitzung rennen.
Auch für die Gegenseite ist die Frage der Arbeitszeiten von entscheidender Bedeutung. Karl Marx wusste es schon vor 150 Jahren: Um aus dem Arbeiter Mehrwert herauszupressen, bleiben dem Kapital zwei Varianten. Zahlt man dem Beschäftigten einen bestimmten Betrag, den er durch seine Arbeit vielleicht schon nach vier Stunden erwirtschaftet, lässt ihn aber acht Stunden arbeiten, dann bleibt dem Unternehmen etwas übrig. Marx nannte das die Produktion des absoluten Mehrwerts. »Sie bildet die allgemeine Grundlage des kapitalistischen Systems und den Ausgangspunkt der Produktion des relativen Mehrwerts«, heißt es im ersten Band des »Kapitals«. Relativen Mehrwert können die Firmen hingegen einstreichen, wenn sie ihre Beschäftigten während der Arbeitszeit zu immer schnellerer, immer effizienterer Tätigkeit antreiben. Tatsächlich passiert natürlich beides: Die Unternehmer lassen gerne lange und hart arbeiten. Entsprechend das Fazit von Marx: »Produktiver Arbeiter zu sein ist daher kein Glück, sondern ein Pech.«
Wie an der Verfeinerung und immer weiteren Ausgestaltung dieses Unglücks gearbeitet wird, führt in dieser Beilage die freie Journalistin Gudrun Giese aus. Sie berichtet davon, wie beispielsweise Handelsketten ihren Beschäftigten feste Schichtpläne verweigern und sie dafür »auf Abruf« einsetzen. Die Praktiken der Firmen sind ausgefeilt, führen in ihrer Gesamtheit aber zu einem perversen Ergebnis: Die einen arbeiten mehr, als sie wollen, die anderen weniger, als sie möchten. Sekundiert wird so ein Vorgehen von der deutschen Regierung, wie die Linke-Politikerin Jutta Krellmann ausführt. So wird etwa daran gearbeitet, Unternehmen Möglichkeiten zur Schleifung der Arbeits- und Ruhezeitregelungen zu schaffen. Perfiderweise sollen Tarifverträge dabei eine entscheidende Rolle spielen.
Doch im Kampf um Zeit hat die deutsche Arbeiterklasse nicht nur Niederlagen hinnehmen müssen. Mit einem wochenlangen Streik schafften es Industriearbeiter Westdeutschlands in den 80ern, den Einstieg in eine weitreichende Arbeitszeitverkürzung zu erreichen – hin zur 35-Stunden-Woche. An diesen Kampf, den Erfolg und seine Auswirkungen erinnert Daniel Behruzi. Wie aktuell das Thema ist, zeigt sich schon daran, dass die IG Metall in diesem Jahr abermals mit Forderungen zur Arbeitszeit in die Tarifauseinandersetzung der Metall- und Elektroindustrie ziehen will.
Den Kolleginnen und Kollegen sei dabei ein Blick über die eigene Branche hinaus empfohlen: Es lässt sich auch noch kürzer arbeiten. Das wissen zum Beispiel die Beschäftigten der Berliner-Kindl-Schultheiss-Brauerei. Sie arbeiten nur 32 Stunden die Woche. Will heißen: Drei Tage haben sie frei.
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