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Aus: Kinder, Beilage der jW vom 30.05.2018
Filmkinder

Die Überzeugungskraft der Unruhe

Was wird von Kindern erwartet? Da muss man sich gar nicht über Pädagogik unterhalten, Kino geht auch
Von Christof Meueler
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Als ob er ein Kind wäre: Jake Lloyd als Anakin Skywalker in »Star Wars: Episode 1«

Wie schaut man auf Kinder, vielleicht sogar seine eigenen? Wie lustig sind die denn? Oder: Kann man wirklich so behämmert sein?

Was wird von Kindern erwartet? So lautet die Grundfrage. Da muss man sich gar nicht über Pädagogik unterhalten. Kino geht auch. Seit 2014 gibt es an der Universität Bremen das Forschungsprojekt »Filmästhetik und Kindheit«, das von der Filmwissenschaftlerin Bettina Henzler betreut wird. Erforscht wird »die filmische Darstellung und Ästhetik von Kindern und Kindheit im französischen und europäischen Autorenfilm«. Neben Liebe und Tod ist Kindheit ein universelles Thema des Kinos.

Kindheit ist soziales Konstrukt wie Erfahrung. »Kinder leben in einem Umfeld, das durch Bilder und Modelle der Kindheit geprägt ist. Und wenn von Kindheit die Rede ist, geht es immer auch um die Beziehung von Erwachsenen zum Kind« schreibt Bettina Henzler in dem Sammelband »Kino und Kindheit«, der die Ergebnisse eines Symposiums an der Universität in Bremen von 2016 zusammenfasst.

Von besonderem Interesse ist das Kind als Schauspieler, »die Frage nach den Grenzen von Sein und Spiel«, die sich ja auch im alltäglichen Kinderspiel stellt. Bemerkenswerterweise gelten zwei berühmte Kinderschauspieler als schlechte Kinderdarsteller: Macaulay Culkin in der Titelrolle von »Kevin – Allein zu Haus« (1990) und »Kevin – Allein in New York« (1992) und Jake Lloyd als Anakin Skywalker in »Star Wars: Episode 1« (1999). Beiden wird vorgeworfen, besonders hölzern zu agieren, schreibt die Glasgower Filmprofessorin Karen Lury. Der eine ziehe Grimassen ohne »emotionale Tiefe«, und der andere wirke mechanisch, er spiele nur, »als ob« er ein Kind wäre.

Als gute Kinderdarstellerin gilt Victoire Thivisol in »Ponette«. 1996 war sie bei den Filmfestspielen von Venedig die jüngste Darstellerin, die jemals als beste Schauspielerin ausgezeichnet wurde – mit fünf Jahren. Sie spielt das Mädchen Ponette und präsentiert dabei so »komplexe Gefühlslagen wie Widerstand, Zögern, Angst, Weinen, Lachen«. Im Film von Jacques Doillon wartet Ponette darauf, dass ihre bei einem Autounfall gestorbene Mutter wie Jesus wieder aufersteht, muss dann jedoch erkennen, dass das Unsinn ist.

Thivisol konnte die Gemütslagen der Ponette vorher ausprobieren. Wenn sie trauert, bewegt sie sich dabei. Erst dadurch wirkt ihre unkindliche Trauer kindlich, urteilt Karen Lury. Man könnte auch sagen, sie »zappelt« – früher war das in fast jeder Familie verboten. In der Schule gilt das immer noch. Wer nicht ruhig ist, ist doof. Im Kino ist es andersrum, zumindest, wenn es um Kinder geht.

Das sei die »Überzeugungskraft der Unruhe«, schreibt Lury. Sie kann auch von Erwachsenen eingesetzt werden – als Machtdemonstration, etwa von Marlon Brando als Mafiaboss in »Der Pate« (1972), der streng, aber auch eben auch »verspielt« ist, wenn er bei einem ernsten Gespräch über Freundschaft und Rache scheinbar abwesend eine Katze streichelt.

Interessant wird es, wenn die Erwachsenen sich wie Kinder benehmen, bis heute ein beliebter Vorwurf in allen möglichen Auseinandersetzungen. Das sollen sie nur im Kino. Da geht ja bekanntlich alles. In »Pierrot Le Fou« (1965) von Jean-Luc Godard beginnen Regisseur und Schauspieler, »frei Kino zu spielen, ohne sich um den narrativen Nutzen zu kümmern«, schreibt der Pariser Filmwissenschaftler Alain Bergala. Godard spielt bekanntlich gerne mit Farben, Klängen, Buchstaben, Zitaten und dem Zufall. Die Hauptdarsteller Jean-Paul Belmondo und Anna Karina spielen zwei Liebende auf der Flucht zwischen Tragödie und Komödie. »Sich in den anderen hineinzuversetzen ist das Wesen des Spielens«. Und dann ist da noch das Meer. Wie schaut man auf das Meer?

Bettina Henzler/Winfried Pauleit (Hg.): Kino und Kindheit. Bertz und Fischer, Berlin 2017, 160 S., 19,90 Euro

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