Es geht um Land
Von Stefan HuthEin weltoffener und toleranter Staat präsentiert sich. Wenn am Sonnabend das Finale des 64. Eurovision Song Contests (ESC) in Tel Aviv stattfindet, sind international wieder Millionen am Fernseher live mit dabei. Die Mittelmeerstadt, die viel auf ihr Image als einzige Schwulenmetropole im Nahen Osten hält, ist in diesem Jahr Austragungsort für den stets mit einem queeren Subtext unterlegten Gesangswettbewerb.
Während die Partylaune steigt und die Unterhaltungsindustrie Kasse macht, droht ein anderes Datum in Vergessenheit zu geraten: der Nakba-Tag am 15. Mai. Er verweist auf begangenes Unrecht und darauf, wie eng gezogen die Grenzen der Toleranz in Israel tatsächlich sind. Die »Katastrophe« der Palästinenser fiel mit der israelischen Staatsgründung 1948 zusammen. Fortgesetzter Landraub, Vertreibung und Flucht von Millionen verwandelten den Nahen Osten in eine Dauerkrisenregion und Israel in einen Kolonialstaat.
Im Kern geht es bis heute um Land, um einen klassischen Territorialkonflikt, von dem allerdings nicht nur hierzulande bestenfalls in zweiter Linie die Rede ist. Gestritten wird statt dessen vorzugsweise um Ideologisches. Kritik an der Besatzungspolitik begegnen selbsterklärte Israel-Freunde mit substanzlosen Antisemitismusvorwürfen; jüdischen Intellektuellen, die sich mit guten Argumenten gegen die israelische Regierung stellen, wird sogar Selbsthass unterstellt. Veranstaltungsverbote und mediale Treibjagden legen Zeugnis ab von der Hysterie, die den Diskurs in dieser Frage bestimmt. In einer solchen Situation tut Aufklärung Not, gilt es, sich einigen Fakten zuzuwenden, die dem Verständnis für die festgefahrene Situation im Nahen Osten aufhelfen.
Eine Lösung jedenfalls ist nicht in Sicht, im Gegenteil. Der von US-Präsident Donald Trump in Aussicht gestellte »ultimative« oder »Jahrhundertdeal« zwischen Israelis und Palästinensern wird, das zeigt Wiebke Diehl in ihrem Beitrag, eine Zweistaatenlösung auf Dauer unmöglich machen und damit jede Friedensperspektive verbauen.
Gerrit Hoekman schreibt über den schwindenden Rückhalt für die Palästinenser, ausbleibende internationale Solidarität angesichts einer immer brutaler werdenden Besatzungspolitik. Er nimmt aber zugleich die internen Zerwürfnisse in den Blick, die die palästinensische Befreiungsbewegung tief gespalten haben.
Die Parlamentswahlen in Israel vom 9. April haben keinen Umschwung gebracht. Das war auch nicht zu erwarten angesichts von zwei rechten Parteienlagern, die da um Mehrheiten konkurrierten. Soziale Fragen oder die Okkupationspolitik spielten im Wahlkampf kaum eine Rolle, Hauptthema war die Abwahl Benjamin Netanjahus – der allerdings als Sieger aus der Abstimmung hervorging und nun seine Politik des »Weiter so« fortsetzen kann, wie Moshe Zuckermann analysiert.
Norman Paech untersucht das im vergangenen Jahr von Regierung und Knesset verabschiedete Nationalstaatsgesetz, mit dem Israel nun auch offiziell nicht mehr das Land aller seiner Bürger ist. An der Frage, ob man diese Politik Apartheid nennen darf, scheiden sich die Geister. Welche praktischen Konsequenzen sie hat, zeigen die Bilder in dieser Beilage. Sie stammen von Anne Paq und Ahmad Al-Bazz vom Fotografenkollektiv »Active Stills«.
In den Augen vieler Rechtsregierungen weltweit setzt Netanjahu neue Maßstäbe in puncto Identitäts- und Abschottungspolitik. Konsequent also, dass Antidemokraten wie Viktor Orban, Rodrigo Duterte oder Jair Bolsonaro dem israelischen Staatschef ihre Aufwartung machen. Besuche in der Gedenkstätte Yad Vashem sollten ihren Missionen höhere Weihen erteilen. Warum auch deutsche Rechte in dem Judenstaat eine Machtoption sehen, darüber schreibt Susann Witt-Stahl.
Ein wichtiger Teil der deutsch-israelischen Beziehungen basiert auf Kooperationen im Rüstungssektor. Shir Hever untersucht in diesem Kontext den größten Korruptionsfall in der Geschichte Israels, der mit einem milliardenschweren U-Boot-Deal in Verbindung steht und möglicherweise noch Konsequenzen für Ministerpräsident Netanjahu haben wird.
Angesichts dieser Lage ist klar: Nach der Party herrscht wieder Katerstimmung. Doch Solidarität und Aufklärung können zumindest lindernd wirken.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
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