Die große Depression
Von Simon ZeiseEs ist der perfekte Sturm: Die Coronapandemie traf die kapitalistische Weltwirtschaft zu einem Zeitpunkt, als die Zeichen bereits auf Rezession standen. In den USA war der Börsenboom, den die Regierung mit einem riesigen Steuerpaket im Dezember 2018 entfacht hatte, im Oktober 2019 abgeflaut. In Deutschland sanken die Auftragseingänge für die Industrie von Monat zu Monat. Wenige Wochen bevor wegen des Virus Ende März in Europa die Wirtschaft runtergefahren wurde, hatte Saudi-Arabien die Krise befeuert, indem Kronprinz Mohammed bin Salman ankündigte, die Ölförderung seines Landes drastisch auszuweiten. Die Preise sausten in den Keller, eine Talfahrt an den internationalen Börsen wurde in Gang gesetzt. Notenbanken und Regierungen pumpten Billionen Dollar in den Finanzmarkt.
Bislang ist nicht klar, wie verheerend die Auswirkungen durch die Krise sein werden. Ein dramatischer Anstieg der Erwerbslosigkeit in den USA, von mittlerweile mehr als 40 Millionen Menschen, lässt für die Lohnabhängigen Schlimmes erahnen.
Wie wird es weitergehen? Fragen wir »Dr. Doom«, den US-Ökonomen Nouriel Roubini, dessen düstere Prognosen, wie die zum Crash des US-Hypothekenmarkts 2007, sich meist bewahrheiten. Er wurde in der Wirtschaftswoche vom 22. Mai so zitiert: »Wir werden in diesem Jahr eine kleine wirtschaftliche Erholung erleben. Danach erwarte ich ökonomisch ein verlorenes Jahrzehnt und wachsende soziale Spannungen.« Der Schaden werde »noch schmerzhafter und zerstörerischer, als ich bisher dachte«. Eine »große Depression« kündige sich an.
Aus der Finanzkrise von 2007 seien nicht die richtigen Schlüsse gezogen worden: »Anstatt die strukturellen Probleme anzugehen, die der Finanzkollaps offengelegt hat, saß man die Sache überwiegend aus und schuf damit neue Abwärtsrisiken, die eine weitere Finanzkrise unvermeidbar machen«, so seine Einschätzung. Schon wenn die Inflation auf drei oder vier Prozent stiege, wäre es ein Desaster, warnte Roubini. Dann müssten Anleihenrenditen mindestens dieses Niveau aufweisen. »Was passiert dann mit den Schulden von Italien, selbst denen von Deutschland, erst recht mit denen der USA? Die Lage wird schnell ernst, auch wenn wir nicht von zehn, 20 oder 100 Prozent Inflation sprechen. Wir haben 40 Jahre mit fallenden Anleiherenditen erlebt. Behalte ich recht, ist das in zwei Jahren vorbei. Schwellenländern wie Brasilien droht dann eine galoppierende Inflation.«
Zudem verschärfe die Krise einen Trend, der vor der Coronapandemie mit dem »kalten Krieg« zwischen den USA und China eingesetzt habe: »Wenn wir uns in Amerika oder Europa entscheiden, die 5G-Angebote von Ericsson und Nokia anzunehmen, weil wir dem chinesischen Unternehmen Huawei nicht vertrauen, hat das Auswirkungen auf die Kosten«, sagte Roubini. Die Technik der skandinavischen Anbieter sei 30 bis 40 Prozent teurer und zehn bis 20 Prozent weniger effizient. Das komme einer 50prozentigen Preissteigerung gleich. »Geopolitisch mag eine solche Entscheidung angebracht sein. Wirtschaftlich verteuert sie Smartphones und andere elektronische Güter. Und verlangsamt die Innovation.«
Ob Roubini recht behalten wird, sei dahingestellt. Um seine Prophezeiungen auf den Prüfstand zu stellen, seien die Texte dieser jW-Beilage empfohlen. In einem ausführlichen Interview schildert US-Ökonom Jack Rasmus Ursachen und Folgen der Coronakrise im Zentrum des Imperialismus. Klaus Müller erläutert den marxistischen Monopolbegriff. Lucas Zeise erklärt, wie aus Monopolgewinnen das Finanzkapital erwächst und dies nach der politischen Macht greift. Knut Mellenthin stellt die Auseinandersetzungen auf dem globalen Ölmarkt dar und analysiert die Strategie der Vorherrschaft der USA. Jörg Kronauer skizziert den Plan der chinesischen Regierung zur wirtschaftlichen Erholung nach der Coronakrise und welches Interesse der Westens an den dortigen Absatzmärkten hat.
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