Mitten im Sturm
Von Raphaël SchmellerBei vielen war die Freude groß, als Ende April ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) erging, demzufolge das deutsche Klimaschutzgesetz teilweise verfassungswidrig ist. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) etwa schrieb auf Twitter: »Das BVerfG hat heute ein großes und bedeutendes Urteil erlassen. Es ist epochal für Klimaschutz und Rechte der jungen Menschen.« Ähnlich äußerte sich »Fridays for Future«-Aktivistin Luisa Neubauer: »Gerechter Klimaschutz ist nicht nice to have. (…) Das ist unser Grundrecht, und das wissen wir ab heute offiziell.« So unterschiedlich die beiden Personen sind, die das Urteil begrüßen, eines haben sie gemeinsam: Keine von ihnen stellt grundlegend die Hauptursache der Klimakrise in Frage – den Kapitalismus. Dessen Prinzip des Maximalprofits und die daraus resultierende konsumgetriebene Überproduktion zerstören den Planeten. Daran wird auch kein Karlsruher Richterspruch etwas ändern, der dem Gesetzgeber nun vorschreibt, bis Ende kommenden Jahres den Ausstoß von Treibhausgasen für die Zeit nach 2030 neu zu regeln.
Der menschengemachte Klimawandel ist längst Realität, er schreitet unaufhaltsam voran. Die Folgen sind jetzt auch im globalen Norden angekommen – das zeigt die Coronapandemie, an deren Anfang Umweltzerstörung und Raubbau an der Natur stehen, wie Matthias Martin Becker in seinem Artikel darlegt. Und er geht noch weiter: Womöglich befinden wir uns am Anfang eines Zeitalters der Pandemien. Um das Ruder noch rechtzeitig herumreißen zu können, müssen Klima- und Umweltschutz heute radikal und kompromisslos sein. Das Taktieren mit Blick auf Regierungskoalitionen, das verschiedene Parteien im Jahr der Bundestagswahl betreiben, führt geradewegs in die Katastrophe. Wolfgang Pomrehn zeigt dies am Beispiel des Wahlprogramms von Bündnis 90/Die Grünen. Er stellt fest: Auch die sogenannte Ökopartei hält mit ihren Versprechen das Pariser Klimaabkommen nicht ein.
Die Antwort auf die Klimakrise muss von der Straße kommen. Das sieht auch »Fridays for Future«-Sprecherin Line Niedeggen so, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften und den Beschäftigten zu stärken. Denn für sie ist die Klimakrise vor allem eine soziale und ökonomische Krise, wie sie im Interview erklärt.
Beim Thema Klima geht es aber auch um Kriege. Sie kosten nicht nur unzählige Menschenleben, sondern setzen täglich auch massenhaft Treibhausgase frei, wie Jacqueline Andres von der Informationsstelle Militarisierung aufzeigt. Und es geht auch darum, so Jan Pehrke in seinem Beitrag, wie die neoliberale EU ohne Rücksicht auf ökologische Verluste immer weiter das Agrobusiness subventioniert.
Wie gegen all diesen Irrsinn Widerstand geleistet werden kann, zeigen die zwei Aktivistinnen Jessica Reznicek und Ruby Montoya aus den Vereinigten Staaten. 2016 sabotierten sie die Dakota-Access-Ölpipeline im US-Bundesstaat Iowa. Für Ende Mai wird ein Richterspruch im Strafverfahren gegen sie erwartet. Christian Stache hat ihre Geschichte aufgeschrieben.
Die vorliegende Beilage will aufzeigen, dass die Klimakrise kein rein ökologisches Problem, sondern vor allem eine systemische Frage ist. Der Raubbau an der Natur gehört zur Funktionsweise des Kapitalismus, der davon lebt, immer mehr Waren zu produzieren. Die Kosten der ökologischen Krise trägt der ärmste Teil der Bevölkerung. Heute schon ergreifen Millionen Menschen aus dem globalen Süden wegen Naturkatastrophen oder extremer Dürre die Flucht. Auf der anderen Seite steigen die Profite der Besitzenden, die diese apokalyptischen Verhältnisse als Verkaufsargument für einen »grünen Kapitalismus« nutzen. Doch für echten Umweltschutz braucht es eine grundlegend neue Organisation der Ökonomie. Einen Ansatz, wie diese aussehen könnte, beschreibt Marc Püschel in seinem Beitrag über Chinas »Belt and Road«-Initiative.
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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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