Der »unnatürliche« Kommunismus
Von Arnold SchölzelJohann Caspar Bluntschli (1808–1881) ist heute nur noch Forschern zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung und Rechtshistorikern ein Begriff. Er war ein Schweizer Rechtswissenschaftler und badischer Politiker und legte 1843 der Züricher Innenbehörde einen Bericht vor, der unter dem Titel »Die Kommunisten in der Schweiz nach den bei Weitling vorgefundenen Papieren« erschien, und entgegen seiner Absicht zur Verbreitung kommunistischer Ideen beigetragen haben dürfte. Mit den »Papieren«, die in dem Bericht ausführlich wiedergegeben wurden, war nämlich das Buch »Garantien der Harmonie und Freiheit« des Schneiders Wilhelm Weitling (1808–1871) gemeint, der 1843 in Zürich für zehn Monate ins Gefängnis geworfen worden war, weil er dort eine weitere Schrift drucken lassen wollte.
Karl Marx nannte die »Garantien« 1844 die »riesenhaften Kinderschuhe des Proletariats« im Vergleich mit »der Zwerghaftigkeit der ausgetretenen politischen Schuhe der Bourgeoisie«. Bluntschli sah das ähnlich, nur mit anderen Schlussfolgerungen. Zusammengefasst: Wer soziale Gleichheit verlangt, greift Staat, Privateigentum und »alle göttliche und menschliche Ordnung« überhaupt an. Diese Lehre sei »in ihrer moralischen Verderblichkeit, in ihren greuelhaften und unnatürlichen Folgen« gefährlicher, als sie auf den ersten Blick erscheine – ein Verbrechen.
Die Schweizer Warnung verhallte nicht, sondern liefert Begründungen für Kommunistenverfolgung in deutschsprachigen Ländern bis heute – angefangen mit dem Kölner Prozess 1852, dessen 170. Jahrestag der Anlass für diese jW-Beilage war. Die Geschichte hat gelehrt, dass die »Begründungen« immer wieder den Rechtshorizont verließen und in Barbarei umschlugen. Der harmlose Herr Bluntschli und das Gericht von Köln 1852 bereiteten geistig die Massaker bei der Niederschlagung der Pariser Commune 1871, das Sozialistengesetz von 1878, die Standgerichte zur Niederschlagung der Novemberrevolution und die Urteile von als Richter getarnten Nazihenkern vor. Von ihren etwa 300.000 Mitgliedern verlor die KPD durch den Faschismus rund die Hälfte. Spuren von Bluntschlis antikommunistischem Furor finden sich noch in der Begründung des KPD-Verbotsurteils des Bundesverfassungsgerichts von 1956 oder im »Radikalenerlass« vor 50 Jahren.
Die Beständigkeit hat mit der Basis der bürgerlichen Gesellschaft zu tun, dem Privateigentum. Das wird angegriffen, erkannte Bluntschli richtig, wenn die Idee sozialer Gleichheit, also von Herrschaft des Gemeineigentums proklamiert wird. Sie ist unvereinbar mit der herrschenden Ordnung und unterliegt letztlich einem Vernichtungsgebot. In welcher Form das durchgesetzt wird, hängt vom Kräfteverhältnis der Klassen ab.
Wer aber von denen spricht, teilte 2021 der damalige parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium Günter Krings (CDU) mit Bezug auf die junge Welt mit, verstößt gegen das Grundgesetz und dessen Artikel 1: »Die Menschenwürde ist unantastbar.« Das konnte Bluntschli nicht ahnen. Weitlings »Bund der Gerechten« wurde zum »Bund der Kommunisten« als Marx und Engels die Überwindung der Klassengesellschaft und die Errichtung einer sozialistisch-kommunistischen Gesellschaft als historische Tendenz erkannten. Die Idee hat sich weltweit verbreitet und ist als Erbe der Menschheit anerkannt. Das Bürgertum aber entfernte sich vom Universalismus, als sie entstand, und bekämpft sie notfalls um jeden Preis.
Bluntschli war übrigens Anhänger der Rassen- und Arierlehre Gobineaus, eines geistigen Stammvaters des europäischen Faschismus. Günter Krings setzt sich für den sogenannten Lebensschutz ungeborener Kinder ein, d. h. gegen Rechtsgleichheit für Frauen.
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