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Aus: Fankultur, Beilage der jW vom 09.08.2023
Fankultur

Corteo und Choreo

Ein Dauerclinch: Behörden schikanieren Fußballanhänger. Stadien samt Umfeld bleiben Experimentierfeld für Verbote
Von Oliver Rast
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Erstlingswerk auf freier Schulter: Junger Autogrammjäger ganz weit vorne (Berlin, 22.7.2023)

Sie brauchen Zusammenhalt, schaffen sich ihren Kitt: Subkulturen. Bei Anhängern des gepflegten Rasenballsports ist das nicht anders. Sinnstiftende Momente sind bei ihnen Corteos und Choreos, also Fanmärsche und Kurvenshows. Aufzüge vorzugsweise durch die Innenstadt zum Stadiontor. Ein bisschen Machtdemonstration darf sein. Und Bühnenbilder mit großflächig bemalten Bannern, Hochziehelementen und Doppelhaltern. Stimmt, Rauchtopf und Bengalo gehören dazu. Ultrakultur eben.

Nur pfuschen – wie bei jedem »Kulturkampf« auch – behördliche Plagegeister bisweilen in die Aufführungen der aktiven Fanszenen rein. Auf den Straßen oder in den Blöcken, mittels Auflagen, mit Verboten. Teils erfolgreich, teils nicht. Zwei Beispiele.

Zunächst nach Bremen, Küstennähe. Mai vergangenen Jahres, letztes Saisonheimspiel der Werderaner gegen den 1. FC Köln. Besonders eifrig bei der Spieltagsplanung: das Ordnungsamt der Hansestadt. Per sogenannter Allgemeinverfügung hatten die Amtshüter Märsche von Heim- und Gästefans untersagt. Pauschal. Die Begründung klang originell, mindestens. Demnach machten »unsachliche Berichterstattung bezüglich polizeilicher Ermittlungen in der Tagespresse« und »Gerichtsentscheide zugunsten Bremer Ultras« eine Störung der öffentlichen Sicherheit wahrscheinlich. Eine weitere abstrakte Gefährdungslage sei »durch gegenseitige Angriffsversuche der verfeindeten Problemfanszenen im Falle eines Fanmarsches« gegeben.

Die Reaktion folgte prompt. Anwälte der Grün-Weißen Hilfe der Werder-Fans reichten beim Verwaltungsgericht einen Eilantrag gegen das Verbot inklusive kurioser Annahmen ein. Das wiederum reichte dem Ordnungsamt; kurz, die Vorsteher knickten ein, hoben das Marschverbot auf, für Heimfans jedenfalls. Und sowieso: In der vergangenen Saison habe sich »erneut erwiesen«, so die grün-weißen Fanhelfer, »dass solche Fanmärsche in aller Regel völlig friedlich verlaufen«. Auch seitens auswärtiger Anhänger.

Standortwechsel, Gelsenkirchen, Ruhrpott. In die Nordkurve der Arena. Erster Heimkick der Schalker gegen den 1. FC Kaiserslautern Anfang August dieses Jahres. Schön atmosphärisch sollte es werden, wie fast immer. Auch hier die Spielverderber: Behörden, genaugenommen Stadionpolizei und -feuerwehr. Der angebliche Grund: Bei der angemeldeten Choreo sei zeitweilig die Sicht der Leitstelle bzw. Sicherheitszentrale verdeckt. Ein Umstand, der offenbar x-mal zuvor kein Problem war. Ab jetzt wohl doch.

Gleichfalls, die Reaktion folgte stante pede. Die Ultras Gelsenkirchen (UG) sagten ihre Performance kurzerhand ab. Nicht nur für den einen heimischen Spieltag – bis auf weiteres. Die UG erklärten dazu in einem Infoflyer, der im weiten Rund verteilt wurde: »Um es auf den Punkt zu bringen: Wegen eines zugehängten Fensters während der Choreo sind aktuell keine Choreographien in der Nordkurve Gelsenkirchen mehr möglich!« Ein Stimmungskiller, nichts anders bedeutet das. Deshalb der Appell der bedingungslosen Anhängerschar der Knappen: Verantwortliche bei Polizei und Feuerwehr Gelsenkirchen, beendet euren »Kleinkrieg gegen Fußballfans«.

Nur, wie die Schikanen im Dauerclinch abwehren? Dreifach. Erstens: rechtlich eingreifen. Fanhilfen diverser Klubfarben haben sich längst gegründet samt organisatorischem Dach. Ein wichtiger Faktor, nicht nur im Fall von Bremen. Zweitens: politisch Flagge zeigen. Sprichwörtlich, wie bei der Kampagne gegen die Wüsten-WM in Katar. Und nicht zuletzt drittens: als Kollektiv dazwischengehen. Die Kurve als Ort der Mobilisierung, als Raum für Protest – gegen abermals verschärfte Polizeigesetze etwa.

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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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