Der Krieg als Alltag
Von Nico PoppTief im zweiten Jahr des größten Krieges in Europa seit 1945 liegt die Antikriegsbewegung nicht nur in Deutschland, sondern auf dem ganzen Kontinent weithin am Boden. Die unausweichliche Frage, wie es dahin gekommen ist, wird noch kaum gestellt. Was aber inzwischen von kaum jemandem mehr bestritten wird, ist, dass es – auch dies nicht nur in der Bundesrepublik – die politische Rechte ist, die von diesem Zustand profitiert. Die NATO-Besoffenheit aller Schattierungen des Liberalismus und das politische und begriffliche Versagen der politischen Linken, die auch in der Frage von Krieg und Frieden zu erheblichen Teilen die Diskurse des Liberalismus übernommen hat, geben einer Partei wie der AfD, die programmatisch für Aufrüstung und die auch militärisch untermauerte Durchsetzung »deutscher Interessen« steht, den fälligen Auftrieb: Sie muss sich nur deklamatorisch vom Regierungskurs – Waffenlieferungen und Denunziation aller diplomatischen Initiativen für eine Beendigung des Krieges – absetzen. Mehr ist gar nicht nötig, um sie über 20 Prozent in den Umfragen zu tragen.
Die deutsche Linke, die eine Antikriegsbewegung vorwärtszutreiben hätte, indem sie als beteiligter Akteur in ihr für die höchstmögliche politische Klarheit sorgte, bekommt in dieser Situation nicht einmal das berühmte Pfeifen im Walde hin. In Deutschland gibt es 2023 nicht nur – um in den Fraktionierungen des Ersten Weltkrieges zu reden – nichts an Organisierung, was mit einer Spartakusgruppe vergleichbar wäre. Es gibt nicht einmal eine USPD, also eine zentristische Partei mit unterschiedlichen Strömungen, die sich zumindest in der Ablehnung des imperialistischen Krieges einig sind. Die Linkspartei ist als zumindest dem Programm nach zentristische Partei im Begriff, von der Bühne abzutreten. Nach der Seite der praktischen Politik und in Hinsicht auf die Konzeptionen, die in der Parteispitze mehrheitsfähig sind, steht sie mindestens mit einem Bein dort, was man nach 1914 das Lager des Regierungssozialismus nannte. Besserung ist eher nicht in Sicht: Die nahezu sichere Spaltung wird das friedenspolitisch am Erfurter Programm von 2011 orientierte Lager der Partei – und damit perspektivisch auch die Friedensbewegung – weiter schwächen.
So oder so steht die Friedens- und Antikriegsbewegung also vor gewaltigen Herausforderungen. Sie muss sich in einer Situation des Rückzugs, ja der Niederlage neu strukturieren – oder sie wird auf mittlere und lange Sicht vollständig von der Bühne abtreten.
Ein Hebel dieser Neustrukturierung muss die einfache Vermittlung von Wissen sein. Wissen darüber, dass der Krieg – auch ein großer Krieg – ein Mittel der bürgerlichen Staatenkonkurrenz ist. Das Material, um diese Einsicht auch Menschen plausibel zu machen, die noch nie über Krieg und Frieden nachgedacht haben, stapelt sich insbesondere auch seit dem Februar 2022 links und rechts. Eher ist die Frage, ob die Linke noch die Fähigkeit hat, dieses Material zu sichten und auf einen kritischen Begriff zu bringen.
Diese jW-Beilage nimmt unterschiedliche Kriegs- und Krisenszenarien in den Blick. Es geht um Interessen, um Profit, um die Ausnutzung von politischer Begriffslosigkeit, um den Krieg als Konstante des Alltags, um Ideologien, die verkehrt und verlogen sind. Gezeigt wird an großen und kleinen Beispielen, wie die nächsten Kriege in aller Öffentlichkeit vorbereitet werden. Es ist keine Phrase, sondern bitterer Ernst, wenn hier die Aktualität der alten Losung herausgestellt wird: Krieg dem Kriege!
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