Die abgebrochene Revolution
Von Susanne KnütterSo konnte und durfte es nicht weitergehen: Seit 1961 führte das faschistische Portugal Krieg gegen die Befreiungsbewegungen in Guinea-Bissau, Angola und Mosambik. Wie das ablief, beschrieb die Wiener Volksstimme im November 1973: »Jagdbomber greifen mit Bordwaffen, Raketen, Bomben und Napalm ein Dorf an und machen es dem Erdboden gleich. Kurz darauf landen Hubschraubereinheiten, durchkämmen den Ort, die angrenzenden Felder und Wälder, um jeden noch lebenden Afrikaner niederzumachen, um die Viehherden zu vernichten und alle Lebensgrundlagen für den Menschen zu zerstören.«
Portugal konnte die Kolonien nur unter Anspannung seiner eingeschränkten ökonomischen und militärischen Kräfte halten – Ende der 1960er wurden für Militär und Rüstung 40 bis 50 Prozent der Staatsausgaben aufgewendet. Aber es ging längst nicht mehr nur um die Sicherung des portugiesischen Kolonialsystems, sondern um einen »kollektiven Kolonialismus«, wie der Historiker Heinrich Loth 1982 in seiner Geschichte des portugiesischen Kolonialreichs schrieb. Mit umfangreichen Materiallieferungen und großzügigen Direktinvestitionen unterstützten die USA, die BRD und die anderen NATO- und EWG-Staaten nicht nur den portugiesischen Kolonialismus und Faschismus, sondern verteidigten auch ihre eigenen Interessen. Im sogenannten »weißen Block«, der die Faschisten und Rassisten Südafrikas, Portugals und Südrhodesiens vereinte, sollten Guinea-Bissau, Angola und Mosambik die Funktion eines Bollwerks gegen die unabhängigen Staaten in Afrika einnehmen. Damit hingen handfeste ökonomische Interessen zusammen (etwa an der Ausbeutung der Diamanten- und Erdölvorkommen in Angola), die sich weiter vertieften, als Portugal die Beschränkungen für ausländisches Kapital in den Kolonien nach 1961 aufhob.
Die wachsende Ausbeutung und Unterdrückung in den portugiesischen Kolonien hatte nicht nur wegen ständig steigender direkter und indirekter Steuern Auswirkungen auch auf die Lebensbedingungen in Portugal. Die Gefahr für junge Männer, bei dem unfreiwilligen Kriegsdienst in den Kolonien getötet zu werden, war real. Und das, obwohl sich abzeichnete, dass die Kriege in den Kolonien nicht zu gewinnen waren. Zum Zeitpunkt des Militärputsches vom 25. April 1974, der die Nelkenrevolution auslöste, war die 1973 proklamierte Republik Guinea-Bissau international anerkannt, gut die Hälfte Angolas und fast ein Drittel Mosambiks befreit.
Portugal befand sich in einer tiefen Krise. Es entwickelte sich aus einem bäuerlichen zu einem Agrar-Industrie-Land. Das Industrieproletariat war stark angewachsen. Bei Land- und Industriearbeitern war die kommunistische Partei verankert, die in tiefer Illegalität immer wieder Streiks, Proteste und Meutereien organisiert hatte. Auch die Hochschulen waren ein Faktor. Die Zahl der Studenten hatte sich seit 1950 mehr als verdreifacht. Und die Mehrzahl von ihnen – beeinflusst von der Studentenbewegung in anderen westeuropäischen Ländern – trat als oppositionelle Kraft auf.
Die nationalen und internationalen politischen und sozialen Entwicklungen aktivierten schließlich Hunderttausende. Der Widerstand unter Jugendlichen wuchs, in den Streitkräften kam es zu Meutereien und massenhafter Fahnenflucht, viele Offiziere unterstützten die antifaschistische Bewegung – ein bis heute einzigartiger Vorgang für ein NATO-Land.
Das enorm gewachsene Klassenbewusstsein machten die massenhaften Streiks, Fabrik- und Hausbesetzungen in den Jahren 1974 und 1975 deutlich. Jeder gescheiterte Vorstoß der Gegenrevolution schien die Arbeiter noch stärker zu machen. Verstaatlichungen wurden durchgesetzt, eine Agrarreform eingeleitet. Das Volk schien zu allem bereit. Allein: Die portugiesische KP und die linken Militärs, auf die sich das Hauptfeuer einheimischer und ausländischer Gegner der Massenbewegung konzentrierte, strebten nach einer demokratischen Republik, aber nicht nach der sozialistischen Revolution. Diese Politik mag 1974/75 die Grenze zwischen Machbarem und Utopischem markiert haben – aber sie erlaubte der Konterrevolution, auf Zeit zu spielen und zu siegen.
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