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Aus: Naher Osten, Beilage der jW vom 15.05.2024
Israel-Palästina

Heiliges Land hochgerüstet

Vorherrschaft Israels basiert seit Staatsgründung auf modernsten Waffen und finanzstarken Verbündeten
Von Jakob Reimann
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Bereit für die Zerstörung: Monströse israelische Bulldozer auf dem Weg nach Rafah (20.5.2004)

Die Vorläufer des israelischen Militärs waren sowohl jüdische Selbstverteidigungseinheiten als auch Terrorgruppen, die im Zuge der Ereignisse um Israels Staatsgründung 1948 Massaker an der palästinensischen Bevölkerung begangen haben. Heute gehören die sogenannten Israelischen Verteidigungskräfte (IDF) zu den technologisch fortschrittlichsten Streitkräften der Welt und israelische Firmen in Sachen Waffenforschung und -entwicklung zu den weltweit führenden.

Bereits im Osmanischen Reich und später im britischen Mandatsgebiet formierten sich erste Milizen zur Verteidigung der Jischuw, der jüdischen Bevölkerung in Palästina vor der israelischen Staatsgründung. 1920 wurden mehrere dieser Gruppen zur Untergrundorganisation Haganah zusammengelegt. Da London den Besitz von Waffen verboten hatte, wurden diese zumeist aus Syrien ins Land geschmuggelt. In den 1920er und 1930er Jahren war die Haganah an der Niederschlagung mehrerer arabischer Aufstände in Palästina beteiligt und schützte infolge sich auswachsender antisemitischer Pogrome in Europa, gipfelnd im Holocaust der Nazis, die in Palästina neugegründeten Siedlungen und Kibbuzim.

Während bis zu 30.000 Mann aus der Jischuw in der Jüdischen Brigade an der Seite der Briten gegen die Achsenmächte kämpften, richtete sich ab 1939 der Widerstand der Haganah immer öfter gegen die britischen Besatzungstruppen selbst. Denn London bekämpfte zunehmend die illegalisierte jüdische Immigration aus Europa. Dieser Widerstand gipfelte in der »Nacht der Züge«, als am 1. November 1945 insgesamt über 150 koordinierte Anschläge auf das britische Bahnsystem in Palästina ausgeübt wurden und Kämpfer der Spezial­einheit Palmach drei britische Boote versenkten. Im Streit um die strategische Ausrichtung der Haganah kam es zur Abspaltung der terroristischen Gruppen Irgun und Lehi (»Stern Gang«), die am 9. April 1948 beim Massaker von Deir Jassin mindestens 200 palästinensische Männer, Frauen und Kinder töteten. Diese und ähnliche Greuel wurden zu Auslösern der als Nakba (Katastrophe) bekannten Massenflucht, in deren Zuge über 750.000 Palästinenser vertrieben wurden. Rund 300.000 davon flohen noch vor der Staatsgründung Israels. »Das Massaker von Deir Jassin war nicht nur notwendig, sondern ohne es hätte der Staat Israel nicht entstehen können«, so Menachem Begin, der Irgun-Kommandeur und spätere israelische Ministerpräsident, der 1979 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.

Waffen der Wehrmacht

Die Geschichte der heutigen israelischen Luftwaffe geht auf den Herbst 1934 zurück, als David Ben-Gurion den Erwerb der ersten britischen »Tiger Moth« einfädelte. Die einmotorigen Doppeldecker dienten neben zivilen Aufgaben der Ausspähung syrischer Stellungen auf dem Golan sowie in Militäroperationen im Arabisch-Israelischen Krieg 1948. Die Luftwaffe der Haganah, die Scherut Avir, ging kurz darauf in den bis heute bestehenden Israelischen Luftstreitkräften (IAF) auf. Über eine »Luftbrücke aus der Tschechoslowakei« wurden die ersten Kampfflugzeuge an die IAF geliefert. In Umgehung europäischer Waffenembargos wurde im Rahmen der verdeckten »Operation Balak« mit der tschechoslowakischen Regierung der Export von insgesamt 25 Jägern vom Typ Avia S-199 ausgehandelt, die ab Ende Mai 1948 gegen die ägyptische Armee eingesetzt wurden. Neben diesen Jagdflugzeugen, die Wehrmachtsmaschinen von Messer­schmitt nachgebaut waren, gab es bis Ende 1949 mehrere umfangreiche Lieferungen von Zehntausenden Gewehren sowie über einhundert Millionen Schuss Munition, die zumeist direkt aus ehemaligen Beständen der Wehrmacht oder deutschen Waffensystemen tschechoslowakischer Bauart entstammten. »Messerschmitt mit Davidstern«, titelte Zeit online dazu im Mai 2008 und berichtete, wie »eine kleine Schar junger israelischer Piloten vor 60 Jahren mit einem alten Flugzeugmodell aus Hermann Görings Luftwaffe die Wende im Palästina-Krieg erzwang und ihrem jungen Staat so das Überleben sicherte«.

Israel führte in den vergangenen Jahrzehnten die Kriege gegen Libanon und Gaza maßgeblich aus der Luft. Während des aktuellen Feldzugs wurden allein in den ersten drei Monaten rund 45.000 Bomben auf den schmalen Küstenstreifen abgeworfen, was im Schnitt 505 Bomben pro Tag entspricht. Die israelische Luftwaffe umfasst heute Hunderte Kampfjets und Helikopter modernster Bauart, die fast ausschließlich US-amerikanischer Produktion entstammen. Das israelische Militär ist generell in hohem Maße von den USA abhängig. Das wurde zuletzt in der Nacht zum 14. April deutlich, als der Iran als Reaktion auf den israelischen Angriff auf sein Damaszener Botschaftsgelände zwei Wochen zuvor über 300 Drohnen und Raketen auf Israel abfeuerte: Mehr als die Hälfte der Geschosse wurde von US-Truppen abgefangen, weitere von Großbritannien, Jordanien und mit deutscher Hilfe durch Frankreich, nur ein geringer Anteil von Israel.

Seit dem Zweiten Weltkrieg ist Israel der mit Abstand größte Empfänger US-amerikanischer Auslandshilfen, mit Ägypten und Afghanistan weit abgeschlagen auf den Plätzen zwei und drei. Bis 2023 wurden 297 Milliarden US-Dollar von Washington überwiesen, 216 Milliarden davon Militärhilfen. Ende April winkte der Senat in deutlicher Mehrheit ein weiteres militärisches Paket in Höhe von 26 Milliarden US-Dollar durch. Auch wird der aktuelle Krieg wesentlich durch Waffenlieferungen aus den USA am Laufen gehalten: In den ersten fünf Monaten gab es über 100 genehmigte Waffenverkäufe, und insgesamt stammen laut dem Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI 69 Prozent der nach Israel gelieferten Waffen aus den USA, gefolgt von Deutschland mit 30 und Italien mit unter einem Prozent.

KI auf dem Vormarsch

Israelische Militärforschung ist in wichtigen Segmenten wegweisend. Seit den 1980ern gilt Israel als Pionier in der Entwicklung von Militärdrohnen und war bis in die 2010er Jahre hinein Exportweltmeister für unbemannte Fluggeräte. Anfang Mai wurden israelische Kampfdrohnen vom Typ »Heron TP« für die Bundeswehr zugelassen. Auch die aus den Kriegen in Bergkarabach und der Ukraine bekannten, als »Loitering munitions« bezeichneten Kamikazedrohnen wurden ursprünglich von der israelischen Rüstungsschmiede IAI entwickelt. Zusammen mit dem deutschen Ableger des europäischen Waffenkonzerns MBDA wird damit auch die Bundeswehr ausgestattet. Im aktuellen »Krieg gegen die Hamas« testet Israel neuartige Roboterhunde und unbemannte Panzerfahrzeuge und vermarktet diese preissteigernd weltweit als »Getestet in Gaza«. Erstmals wurde der ferngesteuerte Bulldozer »Panda« eingesetzt, um in dem Küstenstreifen Häuser zu zerstören.

Schlagzeilen machte jüngst eine Recherche des israelisch-palästinensischen +972 Magazine, die den Einsatz des KI-basierten Systems »Lavender« bei der flächendeckenden Zerstörung des Gazastreifens aufdeckte. Anhand von Perso­nendaten identifiziert die KI vermeintliche Mitglieder feindlicher Gruppen und gibt diese zum Abschuss frei. Dabei wurden seitens der Militärführung für die Tötung von Verdächtigen »Kollateralschäden« von bis zu 20 Zivilisten, im Fall des Hamas-Kommandeurs Aiman Nofal sogar »etwa 300 Zivilisten« genehmigt. Ein untergeordnetes KI-gestütztes Programm namens »Where’s Daddy?« erkennt, wenn eine markierte Zielperson ihr Wohnhaus betritt, woraufhin der Tötungsbefehl erfolgt.

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