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Aus: Grundrechte verteidigen, Beilage der jW vom 29.06.2024
Staat gegen junge Welt

Der Staat gegen junge Welt

Darf der Verfassungsschutz die Arbeit einer Tageszeitung behindern? Zu grundsätzlichen Fragen der Presse- und Meinungsfreiheit verhandelt das Verwaltungsgericht in Berlin am 18. Juli 2024
Von Nick Brauns
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Angeblicher Beleg für »die Umsturzabsichten« der jungen Welt: Verteilstand des jW-Aktionsbüros auf dem bundesweiten Aktionstag der Friedensbewegung (Berlin, 1.10.2022)

Anlässlich des Internationalen Tages der Pressefreiheit am 3. Mai bezeichnete die Staatsministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth, die Freiheit und Unabhängigkeit der Medien als »Grundpfeiler unseres demokratischen Gesellschaftsmodells«. Diese gelte es zu schützen »gegen die Kräfte, die sie und unsere Demokratie aushöhlen und beschädigen wollen«, so die Politikerin von Bündnis 90/Die Grünen. Rund die Hälfte der Bundesbürger sieht die Pressefreiheit in Deutschland in Gefahr, zeigt eine im Frühjahr 2024 im Auftrag des Bundesverbandes Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) durchgeführte Umfrage.

Keine Beweise

Für solche Sorgen gibt es allen Grund, wie die überregionale Tageszeitung junge Welt aus eigener Erfahrung zu berichten weiß. Allerdings sind es keine ominösen Kräfte aus dem Ausland oder ein krakeelender Mob auf der Straße, der diese von Parteien, Kirchen und Konzernen unabhängige linke Tageszeitung bedrängt. Es ist vielmehr der deutsche Staat selbst. Weil der Bundesregierung bestimmte in der jW vertretene Inhalte und Positionen nicht genehm sind, lässt sie die Zeitung durch den Inlands­geheimdienst bekämpfen.

Der Verlag 8. Mai GmbH, in dem die junge Welt erscheint, hat dagegen Klage erhoben. Vor dem Berliner Verwaltungsgericht soll nun entschieden werden, ob die Zeitung in den jährlichen Berichten des Bundesamtes für Verfassungsschutz im Kapitel »Linksextremismus« als »Gruppierung« aufgeführt werden darf, die angeblich »verfassungsfeindliche Ziele« verfolgt. Die erstinstanzliche Verhandlung wurde auf den 18. Juli 2024 terminiert.

In den inkriminierten Geheimdienstberichten wird die jW mit einer täglich verkauften Auflage von über 21.000 Exemplaren als das »bedeutendste und auflagenstärkste Medium im Linksextremismus« bezeichnet. Weiter heißt es: »Die jW ist mehr als ein Informationsmedium. Sie wirkt als politischer Faktor und schafft Reichweite durch Aktivitäten wie zum Beispiel die Durchführung der alljährlichen Rosa-Luxemburg-Konferenz.« Und eben diese Reichweite, ohne die keine Tageszeitung wirtschaftlich überleben könnte, gilt es nach Angaben der Bundesregierung einzuschränken. Denn es handele sich bei der jungen Welt um eine »eindeutig kommunistisch ausgerichtete Tageszeitung«, die »Gegenöffentlichkeit« schaffen wolle, behauptet die Bundesregierung in ihrer Antwort vom 5. Mai 2021 auf eine parlamentarische Anfrage der Bundestagsfraktion Die Linke. Gemeint ist die marxistische Orientierung in der Zeitungsarbeit: »Themenauswahl und Intensität der Berichterstattung zielen auf Darstellung ›linker‹ und linksextremistischer Politikvorstellungen und orientierten sich am Selbstverständnis der jW als marxistische Tageszeitung.«

Nährboden entziehen

Die junge Welt ist ein unabhängiges journalistisches Produkt, das auf einem äußerst komplizierten Zeitungsmarkt überleben will. Durch die Nennung im Verfassungsschutzbericht entstehen ihr erhebliche Nachteile im Wettbewerb: Ihr werden unter Verweis auf den Verfassungsschutzbericht beispielsweise das Anmieten von Werbetafeln in Bahnhöfen oder die Ausstrahlung bezahlter Werbespots im öffentlich-rechtlichen Rundfunk verweigert. Auch die redaktionelle Arbeit wird behindert, denn Autoren und Gesprächspartner werden abgeschreckt, Institutionen verweigern Presseauskünfte. Aber genau diese Folgen der Nennung sind erklärte Absicht: Ziel sei es, Relevanz und »Wirkmächtigkeit« der jungen Welt einzuschränken, gibt die Bundesregierung offen zu; eine Nennung im Verfassungsschutzbericht diene auch dem Zweck, »verfassungsfeindliche(n) Bestrebungen (…) den weiteren Nährboden entziehen zu können«. Weil aber die junge Welt eine fortschrittliche Zeitung ist, die auf ihre verfassungsmäßigen Rechte pocht, verklagt der Verlag 8. Mai GmbH (in dem die jW erscheint) die Bundesregierung wegen der Verletzung einer Reihe von Grundrechten.

Dass Presse- und Meinungsfreiheit ein sehr hoch bewertetes Verfassungsgut darstellen, hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts bereits am 24. Mai 2005 in einem Grundsatzurteil bezüglich der Nennung einer Zeitung im Verfassungsschutzbericht betont. Im Falle der als »rechtsextremer Verdachtsfall« eingestuften Wochenzeitung Junge Freiheit im NRW-Verfassungsschutzbericht urteilte das Gericht, die Nennung stelle eine unzulässige Einschränkung der Pressefreiheit dar (1 BvR 1072/01). Dieses Grundrecht sichere die Freiheit der Herstellung und Verbreitung von Druckerzeugnissen und damit das Kommunikationsmedium Presse. Durch die Nennung im Verfassungsschutzbericht würde die Zeitung in ihren Wirkungs­möglichkeiten nachteilig beeinflusst. Denn potentielle Leser könnten so vom Erwerb des Blattes abgehalten werden, Inserenten, Journalisten oder Leser­briefschreiber sich von der Zeitung abwenden oder diese boykottieren. In dem Urteil heißt es zudem, nicht alle in einer Zeitung zu findenden Positionen etwa von freien Autoren dürften der Redaktion angelastet werden.

Mit zweierlei Maß

Dieses Urteil müsste auch für die junge Welt gelten – sollte man meinen. Doch die Bundesregierung ignoriert einfach, dass es sich bei der Tageszeitung um ein Presseerzeugnis und nicht um eine politische Organisation handelt. Vielmehr wird behauptet, Zeitung, Verlag und die Genossenschaft, der Verlag und Zeitung gehören, seien »extremistische Personenzusammenschlüsse«, die umstürzlerische Ziele verfolgten. Begründet wird das mit der Unterstellung, dass eine marxistische Orientierung immer auch das wesentliche Ziel beinhalte, »die freiheitliche Demokratie durch eine sozialistische/kommunistische Gesellschaftsordnung zu ersetzen«. Da hilft es auch nichts, wenn die junge Welt und ihre Genossenschaft immer wieder darauf hinweisen, dass ihr Ziel die tägliche Herausgabe einer gut gemachten Zeitung sei und keineswegs das Ersetzen einer Gesellschaftsordnung durch eine andere.

Klage gegen das völlig unverhältnismäßige Vorgehen des Geheimdienstes und der Regierung hatte der Verlag 8. Mai GmbH bereits im September 2021 eingereicht. Seitdem erschienen drei weitere Verfassungsschutzberichte, auf die kosten- und arbeitsaufwendig reagiert werden musste. Dies grenze an Verfahrensverschleppung, betont Verlagsgeschäftsführer Dietmar Koschmieder, der den Verlag im Prozess vertritt. Um den Schaden zu minimieren, hatte der Verlag den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt, wonach die jW bis zu einem rechtskräftigen Urteil nicht mehr im Verfassungsschutzbericht genannt werden dürfe. Dieses Ansinnen hatte das Berliner Verwaltungsgericht im März 2022 zurückgewiesen. Dabei räumte das Gericht ein, dass diverse Rechte der jungen Welt durch die Nennung in Verfassungsschutzberichten verletzt würden. Dies sei aber durchaus gerechtfertigt, weil »hinreichend gewichtige Anhaltspunkte für die Annahme verfassungsfeindlicher Bestrebungen erkennbar« seien. Dieser vorläufige Entscheid lässt befürchten, dass die Kammer auch im Hauptverfahren in erster Instanz nicht im Sinne der Pressefreiheit urteilen wird. Doch der Verlag 8. Mai GmbH sei entschlossen, notfalls durch alle Instanzen bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strasbourg zu gehen, versichert Koschmieder. Schon zur Eilentscheidung hatte das Verwaltungsgericht den Streitwert mit 75.000 Euro ungewöhnlich hoch angesetzt und so die Prozesskosten hochgetrieben – auch dies sei eine Möglichkeit, einer Zeitung den »Nährboden« abzugraben, konstatiert der Geschäftsführer. Für den Rechtsstreit mit der Bundesrepublik rechne der Verlag schon jetzt mit Kosten von deutlich über 100.000 Euro. »Ohne die hohe Spendenbereitschaft der Leserschaft könnten wir den Rechtsweg nicht beschreiten«, sagt Koschmieder. Man müsse nicht mit allen Inhalten der jungen Welt übereinstimmen, um zu erkennen, dass es in diesem Prozess um grundsätzliche Fragen der ­Presse- und Meinungsfreiheit geht.

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