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Aus: Grundrechte verteidigen, Beilage der jW vom 29.06.2024
Staat gegen junge Welt

Wissenschaftsfreiheit verteidigen – Verfassungsschutz auflösen!

Dokumentiert: Erklärung des BdWi-Vorstands vom 8. Juni 2021
Von BdWi

Die linke Tageszeitung junge Welt wird seit 2004 regelmäßig vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet und taucht in dessen jährlichen Berichten seither ständig auf.

Das hat erhebliche Folgen: Zum einen wird damit eine bestimmte Sichtweise auf linke Positionen und Analysen (Wissenschaft eingeschlossen) quasi »amtlich« festgeklopft; zum anderen wirkt sich dies auch wirtschaftlich negativ auf Verkauf, Werbung und Anzeigenakquise einer Zeitung aus. Daher erkundigte sich eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion der Linken beim zuständigen Bundesministerium des Inneren (BMI) nach der Begründung für diese Beobachtung. (…)

Als summarische Begründung werden zunächst die »marxistische Grundüberzeugung« der Zeitung und deren »sozialistische Zielsetzung« erwähnt, was beides weder verboten noch »verfassungswidrig« ist. Die Zielsetzung »demokratischer Sozialismus« steht auch im Hamburger Grundsatzprogramm der SPD (2007). Nach dieser allgemeinen Einstufung erfolgt ein detaillierter Ausflug in die Sozialphilosophie.

Spätestens hier geht es nicht mehr nur um die junge Welt; die herangezogene Argumentation eignet sich zur Verfolgung linker Politik genauso wie zur Diskreditierung eines Großteils der modernen Sozialwissenschaften. Laut BMI »widerspricht die Aufteilung einer Gesellschaft nach dem Merkmal der produktionsorientierten Klassenzugehörigkeit der Garantie der Menschenwürde. Menschen dürfen nicht zum ›bloßen Objekt‹ degradiert oder einem Kollektiv untergeordnet werden, sondern der einzelne ist stets als grundsätzlich frei zu behandeln.«

Die Entgegensetzung von individueller Freiheit, Menschenwürde und sozialen (Klassen-)Strukturen ist Unsinn. Es sei denn, es wird von einem völlig abstrakten, ausschließlich in einer liberalen juristischen Ideologie verhafteten Freiheitsbegriff ausgegangen, der die materiellen gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen sich individuelle Freiheit entfalten kann, vollständig ausblendet. Selbstverständlich ist ein*e Hartz-IV-Bezieher*in (formal) juristisch genauso »frei« wie ein*e Multimillionär*in; ihre gesellschaftlichen Handlungsmöglichkeiten weichen aber erheblich voneinander ab.

Für Karl Marx etwa war das von ihm niemals infrage gestellte individuelle Freiheitsversprechen der bürgerlichen Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts der Ausgangspunkt seiner Analyse der ungleichen Eigentums- und Klassenstrukturen in der bürgerlichen Gesellschaft, um begreifen zu können, was der freien gesellschaftlichen Entfaltung aller entgegensteht. Politisches Ziel war die Relativierung und schließlich Überwindung dieser Verhältnisse. Das ist das Gegenteil davon, Menschen in der Lesart des BMI zu bloßen untergeordneten »Objekten« von Strukturen zu machen. Vielmehr geht es im politischen Prozess der sozialen Auseinandersetzungen – vulgo: Klassenkampf – um einen Zuwachs an Freiheit und gesellschaftlicher Handlungsfähigkeit, kurz: um Subjektwerdung, für möglichst viele.

Wird die Antwort des BMI und die Lesart des Verfassungsschutzes beim Wort genommen, sind von dieser merkwürdigen »Gesellschaftstheorie« keineswegs nur die unterschiedlichen marxistischen Denktraditionen betroffen. Ein Großteil der modernen Sozialwissenschaften, insofern diese objektivierbare soziale Strukturen kritisch analysieren, fielen unter das Verdikt der Freiheitseinschränkung. Das gleiche gilt für jede Form der Erforschung von spezifischen Ungleichheitsbedingungen (zum Beispiel Rassismus und Geschlechtsverhältnisse), welche soziale Klassenverhältnisse überlagern und prägen. Diesem Verdikt folgend, wäre wissenschaftlich nichts mehr erkennbar und politisch nichts veränderbar. (…)

Dieser Unsinn ist ernst zu nehmen, da er politischen Ausgrenzungen, Kriminalisierung und Verboten den Boden bereiten kann und offenbar auch soll. Es handelt sich um eine völlig illegitime Ausdehnung des bloßen Verdachtsfeldes »Verfassungsfeindlichkeit«. Betroffen davon: Alle Bereiche von Politik, öffentlichen Meinungsäußerungen, Medien und Wissenschaft. Schließlich verfolgt der Verfassungsschutz die Aufgabe – das ist in der Antwort »der Bundesregierung« auch zu lesen – »die Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche Bestrebungen zu informieren, um diesen damit den weiteren Nährboden entziehen zu können. Insoweit ist Verfassungsschutz auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.« Wobei wir offenbar alle mitmachen sollen.

Wir sagen dazu: Nicht mit uns! Das ist kein Schutz der Verfassung, sondern deren perspektivische Abschaffung. Mit seinen Ausführungen liefert der Verfassungsschutz einen weiteren Beleg dafür, dass dieser »Dienst« nicht reformiert werden kann, sondern aufgelöst werden muss. (…)

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