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Aus: Unser Amerika, Beilage der jW vom 24.07.2024
Venezuela

Venezuela am Scheideweg

Präsidentschaftswahlen mit Spannung erwartet. Alle Oppositionsparteien beteiligen sich, KP versagt Maduro Unterstützung
Von Julieta Daza, Caracas
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Alles bereit für die wichtige Abstimmung: Nicolás Maduro bei einer Wahlkampfveranstaltung in Caracas (12.7.2024)

In ein paar Tagen ist es so weit: Am 28. Juli können Millionen Venezolaner ihre Stimme für einen der zehn Präsidentschaftskandidaten abgeben. Allen voran stellt sich Nicolás Maduro für eine weitere sechsjährige Amtszeit zur Wahl. Er wird von seinem Partido Socialista Unido de Venezuela (PSUV) sowie zwölf weiteren Parteien unterstützt. Anders als bei vorherigen Wahlen haben sich alle Oppositionsparteien für eine Beteiligung entschieden.

Innerhalb des rechten Spektrums ist Edmundo González der stärkste Kandidat. Er ist Ersatzmann für die von den USA unterstütze, ultrarechte und der venezolanischen Oligarchie angehörende Politikerin María Corina Machado. Sie war wegen Steuerhinterziehung nicht zu den Wahlen zugelassen worden. Die Regierung und Anhänger der PSUV kritisieren Machado außerdem, weil sie wiederholt die imperialistischen Sanktionen gegen Venezuela als Mittel für einen Regime-Change gerechtfertigt hat und für umfassende Privatisierungen eintritt, unter anderem der Ölindustrie.

Auch die Auseinandersetzung zwischen der Regierung und der Kommunistischen Partei Venezuelas (PCV) hat sich weiter zugespitzt. Die PCV konnte keinen eigenen Kandidaten aufstellen, weil der Oberste Gerichtshof im August vergangenen Jahres in Parteiangelegenheiten eingegriffen und einen Ad-hoc-Vorstand eingesetzt hatte. Abgesehen vom neuen Vorstand unterstützt die Partei daher den Opposi­tionskandidaten Enrique Márquez. Márquez war zwischen 2021 und 2023 Mitglied der Nationalen Wahlbehörde. Mit seiner Partei »Centrados« (etwa »Zentrierte«) will er sich für Veränderungen in Venezuela, den Wiederaufbau der Ökonomie und eine »Regierung der nationalen Einheit« einsetzen. Er stand jedoch schon immer Parteien und Politikern der rechten Opposition nahe.

Am 30. Juni wurde im Land eine Probeabstimmung abgehalten. Die Wahlbehörde beurteilte sie als erfolgreich, da alle logistischen Aspekte des Urnengangs sowie alle technischen Anforderungen des in Venezuela seit 2004 benutzten automatisierten Wahlsystems erfüllt worden seien. So hätten die Wähler den Prozess der Stimmabgabe sehr schnell vollziehen können: im Durchschnitt in 38 Sekunden. Zudem sei die Beteiligung groß gewesen, eine genaue Zahl wurde jedoch nicht angegeben. Seit dem 4. Juli läuft offiziell der Wahlkampf, viele politische Akteure hatten jedoch schon Wochen zuvor damit begonnen, zu Kundgebungen und anderen Veranstaltungen aufzurufen.

Die Aktivistin Anacaona Marín ist Mitglied der Basisorganisation »Fuerza Patriótica Alexis Vive« (»Patriotische Kraft Alexis lebt«) und Sprecherin der sozialistischen Kommune »Comuna Socialista Panal 2021«. Diese befindet sich in dem stark politisierten Stadtbezirk »23 de Enero« in der Hauptstadt Caracas. Im jW-Gespräch erläuterte sie ihre Position: »Bei diesen Wahlen hat die Option des revolutionären bolivarischen Projekts, das mit Chávez begann, einen Kandidaten: den Arbeiterpräsidenten Nicolás Maduro. Wir unterstützen seine Kandidatur zum Zwecke des Aufbaus der Volksmacht.« Ihre Unterstützung fange nicht bei null an, sondern sei die Fortsetzung eines Prozesses, »der zeigt, wer den besten Vorschlag für die Umgestaltung des herrschenden Systems hat. Das ist für uns der Vorschlag des Aufbaus sozialistischer Kommunen und ihre Vereinigung in einer Konföderation«.

Das Prinzip der Kommunen zur Ausübung der Volksmacht ist elementarer Bestandteil der sogenannten bolivarischen Revolution, die mit dem Wahlsieg von Hugo Chávez 1998 begann. Ziel ist ein »Kommunenstaat«, weitere Merkmale sind die Teilnahme der Bevölkerung an Wahlprozessen im Rahmen der repräsentativen Demokratie. Nach dem Tod von Chávez gewann Maduro die Wahlen und übernahm 2013 die Präsidentschaft – er sieht sich als Garant der Weiterführung des Chávismo. Sein Wahlsieg würde es nach Ansicht Maríns ermöglichen, »das neue Wirtschaftssystem, das wir anstreben, zu vertiefen. Denn der bolivarische Sozialismus des 21. Jahrhunderts schlägt eine völlige Neuordnung des System zur Produktion des Lebens und eine Welt der Solidarität der Völker vor.« Bei »Alexis Vive« vertraue man darauf, »dass das venezolanische Volk die Unterscheidung zwischen den beiden antagonistischen Modellen versteht, die bei den Wahlen konkurrieren«. Denn was die andere Option – also die Wahl der rechten Opposition – wirklich bedeute, sei »Bürgerkrieg, US-amerikanische Intervention, Ausbeutung unserer Ressourcen und Erniedrigung unseres Volkes«.

Die Basisorganisation Maríns hat sich daher dem Wahlkampf angeschlossen und mobilisiert zusammen mit linken Parteien, die Maduros Kandidatur unterstützen. Bei einer am 2. Juli abgehaltenen gemeinsamen Pressekonferenz erklärten sie, dass die Vertreter der bolivarischen Revolution an der Macht bleiben müssten. Hindernisfrei sehe der Weg nach den Wahlen jedoch nicht aus: »Der Wahlsieg Maduros, durch den die Regierung Venezuelas wieder in den Händen eines Arbeiters liegen würde, wird auf weitere imperialistische Feindseligkeit stoßen.« Und auch dass das Land mit Bürokratie, Korruption und unzureichender Macht in der Hand des Volkes zu kämpfen hat, spricht Aktivistin Marín an: »Wir verschweigen nicht die großen inneren Widersprüche in unserem Prozess. Wir verstehen, dass es viele Dinge gibt, die weiter vertieft werden müssen, die überdacht werden müssen, um sie zu verbessern.«

Um eine Aufhebung der US-Sanktionen zu erreichen, hat die venezolanische Regierung mittlerweile wieder den Dialog mit den Vereinigten Staaten aufgenommen. Die Verhandlungen begannen im Mai 2023 in Katar. Laut dem venezolanischen Verhandlungsführer und Präsidenten der Nationalversammlung, Jorge Rodríguez, haben sich beide Seiten bei einem Onlinetreffen Anfang Juli bereit erklärt, zusammenzuarbeiten. Zudem habe man sich auf die »Aufrechterhaltung der Kommunikation in einer respektvollen und konstruktiven Weise« geeinigt.

Hinweis: In einer früheren Version des Beitrags hieß es, für die PCV stehe Maduro nicht auf dem Stimmzettel. Maduro steht jedoch für die PCV auf dem Stimmzettel, doch nur der Ad-hoc-Parteivorstand steht hinter dieser Entscheidung, die historische Partei nicht. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen. (jW)

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