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Aus: Fankultur, Beilage der jW vom 31.07.2024
Fankulturbeilage

Pyronale Fanmacht

Feuerwerk und Herrschaft: Über den Einsatz von Pyrotechnik und die Macht der Fans – in der Kurve, im Stadion und überhaupt
Von Raphael Molter
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Feuerzauber: Supporter von Vålerenga IF aus Oslo. Der fünfmalige norwegische Meister kickt aktuell zweitklassig

Die Nachricht aus Norwegen schlug ein wie ein Donnerschlag: Pyrotechnik wird in der höchsten Spielklasse unter bestimmten Bedingungen legalisiert. Ein Schritt, der die Herzen vieler Fans höher schlagen lässt. Und als ob das nicht genug wäre, kursieren Gerüchte, dass die Deutsche Fußballiga (DFL) ähnliche Überlegungen anstellt. Insiderinformationen aus der Springer-Presse deuten darauf hin, dass sich die deutschen Funktionäre bereits mit ihren norwegischen Kollegen beraten. Ist dies der Beginn einer neuen Ära für die deutsche Fankultur?

Wohl eher nicht. Di e norwegischen Behörden haben eine Ausnahmegenehmigung erteilt, die den Einsatz von Pyrotechnik unter strengen Auflagen erlaubt. Diese Entscheidung wurde nach intensiven Diskussionen zwischen Fußballfunktionären und Ministerien getroffen. Beteiligte Organisationen wie der Norwegische Fußballverband, der Norwegische Ligaverband und die Norwegian Supporter Alliance (NSA) haben Bedingungen ausgearbeitet, um eine angeblich sichere Nutzung zu gewährleisten.

Das Ergebnis ist ein zeitlich befristeter Kompromiss für die Jahre 2024 und 2025. Stadien müssen nach einer Risikoanalyse überprüft und angepasst werden. Pyrotechnik darf nur in bestimmten Bereichen eingesetzt, Personen müssen im Umgang geschult werden. Sicherlich Einweisungen mit Unterhaltungsfaktor, soll doch die Feuerwehr nun Ultras erklären, wie sie Fackeln zu zünden haben. Während der Testphase gelten Abstandsregelungen. Fanbeauftrage überwachen Grenzwerte usw.

Bei unerlaubtem Einsatz soll ein von den genannten Akteuren gemeinsam erarbeitetes Reaktionsregelwerk zum Einsatz kommen. Fanorganisationen und Vereine sind gezwungen, mit der Polizei zusammenzuarbeiten. So viel zur neu gewonnenen Freiheit der norwegischen Fans.

Ist das die neue Ära der Fankultur? Sind die Neuerungen der Versuch einer Neuordnung der Macht im Stadion? Durch die Legalisierung unter strengen Auflagen wird die Spontaneität der Fans weiter reglementiert. Die Domestizierung von Fankultur dient offensichtlich den ökonomischen Interessen der Verbände und Vereine. Mit der Sicherheit wird die Attraktivität für Sponsoren und Investoren erhöht.

Strenge Auflagen und Kontrollen sind Ausdruck von Repression, die offensichtlich darauf abzielt, die Fans zu disziplinieren und ihre Freiheiten in der Kurve zu beschneiden. Die Regulierung der Pyrotechnik ist weniger ein Schritt zur Förderung der Fankultur, sondern eher ein Mittel, um die Macht der Sicherheitsbehörden und Fußballfunktionäre zu festigen und die Kontrolle über die Fans zu behalten.

Das norwegische Modell isoliert den Einsatz von Pyrotechnik von anderen Aspekten der Fankultur. Der Strafkatalog wird leicht angepasst, doch die Machtverhältnisse im Fußball bleiben unangetastet. Einzige Neuerung: Die Norwegian Supporter Alliance war an der Ausarbeitung der Genehmigung beteiligt, sie konnte Vertreter in die Arbeitsgruppe entsenden. Das Fanbündnis scheint dort nicht als Herausforderer der Mächtigen aufgetreten zu sein, sondern als neuer Ordnungsfaktor. Das Bündnis war auf einen Ausgleich der beteiligten Akteure aus. Und so wird mit einer Teillegalisierung unter Beihilfe der Fanorganisationen die Bürokratisierung der Kurven vorangetrieben.

Nur wird damit das grundlegende Problem ignoriert: Der Wunsch nach mehr Freiheit und Ausdruckskraft der Fans steht im Widerspruch zur Notwendigkeit von Kontrolle und Sicherheit seitens der Vereine und Verbände. Ultras nehmen polizeiliche Einschränkungen nicht einfach hin. Sie erkämpfen Freiräume, leben einen Gegenentwurf.

Das zeigte sich in der vergangenen Saison im hessischen Frankfurt, wo seit geraumer Zeit ein Konflikt zwischen aktiven Fans und örtlicher Feuerwehr schwelt. Es geht um notwendige Genehmigungen für Choreographien, die die Feuerwehr ohne klare Begründung verwehrt. Die »Ultras Frankfurt« reden in diesem Zusammenhang nicht nur von einer »persönlichen oder politischen Profilierung mancher Beamter« – sie sehen sich als Gemeinschaft im Fadenkreuz der Behörden: »Der Staat stört sich an unserer Kurve, daran, wie wir leben. Dass wir ein Kollektiv darstellen, das weitaus solidarischer agiert, als man es in unserer Gesellschaft gewohnt ist. Dass wir uns nicht den Mund verbieten lassen. Und genau das wird auch weiterhin nicht passieren. Wir werden uns unseren Freiraum zurückholen, auch wenn das länger dauern mag«, hieß es zum Beispiel im Spieltagsflyer beim Heimspiel gegen den SC Freiburg im September 2023.

Die Teillegalisierung von Pyrotechnik ist ein Versuch, widerständige Elemente zu integrieren und zu neutralisieren. Die Bedingungen sind neue Leitplanken im Freiraum Kurve. Sie verunmöglichen Selbstregulierung und schaffen die Voraussetzungen für marktkonforme Fankultur. Was eingeschränkt wird, ist die spontane und unkontrollierte Nutzung von Pyrotechnik, die einen wesentlichen Teil ihrer Attraktivität ausmacht.

Traditionell haben aktive Fanszenen ihre eigenen Regeln und Normen für das Verhalten innerhalb der Kurve. Die Selbstregulierung ist Ausdruck von Gemeinschaft und Solidarität. Sie wird durch behördliche Auflagen untergraben. Rebellische Elemente der Fankultur werden in einen kontrollierten Rahmen gezwungen, was ihre Identität und ihre kritische Stimme schwächt.

Inmitten des Ringens um Kultur und Kontrolle im Fußballstadion hat die Ultra-Gruppe »Horda Azzuro« aus Jena bei der letzten Mitgliederversammlung des Vereins (25.11.2023) einen bemerkenswerten Antrag gestellt. Er zielt nicht direkt auf eine Entkriminalisierung des Pyrotechnikeinsatzes ab, sondern auf die Sanktionen, die das Gegenteil dessen erreichen, was sie bewirken sollen: eine sichere, kreative Atmosphäre im Stadion. Die Jenaer Ultras fordern die Vereinsführung auf, die Strafpolitik zu kritisieren und durch »vernetzte Arbeit zu verändern«.

Die moralischen Vorstellungen der Fans stehen oft im Widerspruch zu den kommerziellen Interessen der Vereine und Verbände. Kapitalistisches Gewinnstreben ist kaum vereinbar mit den Bedürfnissen der Fangemeinschaften nach Teilhabe und Mitbestimmung. Dieser uralte Kampf um die Macht im Stadion spiegelt sich auch in der Auseinandersetzung um die Nutzung von Pyrotechnik wider. Während die Verbände mehr Kontrolle und Sicherheit wollen, kämpfen die Fans um ihre Freiräume. Für die Möglichkeit, ihre Leidenschaft und Kreativität auszuleben. Die Sanktionierung oder Regulierung von Pyrotechnik ist dabei im Kern auch Ausdruck eines Klassenkampfes von oben.

Die ideologischen Kämpfe zwischen den kapitalistischen Interessen und den Bedürfnissen der Gemeinschaft sind tief in den sozialen und kulturellen Facetten des Sports verwurzelt. Die Frage »Wem gehört der Fußball?« führt somit schnell zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung über die Werte, die der Fußball vertreten soll.

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