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Aus: Thälmann, Beilage der jW vom 14.08.2024
Thälmann

Roter Kutscher in Hamburg

Der erfolgreiche Gewerkschafter: Thälmanns Weg in die Arbeiterbewegung
Von Hans-Kai Möller
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Wäschereiarbeiterinnen und Maschinist in einer norddeutschen Wäscherei (um 1910)

Thälmanns steiniger Weg aus dem strengen, eher kleinbürgerlichen Elternhaus in die Hamburger Arbeiterbewegung hat in der Literatur vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit gefunden. Der wissbegierige Schüler erhielt von den Eltern, die 1895 einen Gemüse- und Lebensmittelladen im Hamburger Stadtteil Eilbek eröffnet hatten und bald zusätzlich ein kleines Kohlen- und Transportgeschäft betrieben, nur wenig Anregung und Unterstützung. Erwischte ihn sein Vater beim Lesen, bekam er häufig eine Tracht Prügel. Der guten Noten wegen wurde Thälmann nach dem Volksschulabschluss in die »Selekta« übernommen. In diesen Sonderklassen wurden in Hamburg die besten Absolventen eines Abschlussjahrganges zusammengefasst und ein weiteres Jahr lang, bis zur Mittleren Reife von Fachlehrern unterrichtet. Dennoch lehnten die Eltern den Wunsch, ein Handwerk zu erlernen oder eine Lehrerausbildung zu absolvieren, kategorisch ab, obwohl sie beides hätten finanzieren können – eine lange nachwirkende Enttäuschung.

Kurz nach der Schulentlassung, Ostern 1900, kam der 14jährige erstmals mit der Sozialdemokratie in Kontakt. Sie hatte mit auffälligen roten Plakaten die schulentlassene Jugend ins Gewerkschaftshaus eingeladen. Ablauf und Inhalt dieser Großveranstaltung beeindruckten den Jungen tief. Noch in seinem 1935 für die Verteidigung vor Gericht verfassten Lebenslauf beschrieb er dieses Ereignis begeistert. Die geistige Enge des Elternhauses wurde nun immer bedrückender. Nach einem Streit mit dem Vater wegen der schlechten Bezahlung in dessen Betrieb verließ er 1902 sein Zuhause.

Nach einer Aushilfstätigkeit als Bühnenarbeiter in dem noch heute existierenden St. Pauli-Theater lernte Thälmann die katastrophalen Arbeitsbedingungen von jugendlichen Tagelöhnern im Freihafengebiet am eigenen Leibe kennen. Schnell merkte er, dass in den tariflich gebundenen Betrieben deutlich höhere Löhne gezahlt wurden. 1904 trat er der Gewerkschaft bei. Mitglied der Sozialdemokratischen Partei war er bereits im Vorfeld des Reichstagswahlkampfes 1903 geworden. Bald nach dem Eintritt in den Transportarbeiter-Verband erlebte er im Sommer 1904 als Beifahrer auf dem Flaschenbierpferdewagen einer Brauerei seinen ersten Streik.

Danach nahm er selbst die Zügel in die Hand: Beruflich arbeitete er in verschiedenen Branchen als Kutscher und trat erstmals auf Streikversammlungen hervor. Diese Aktivitäten blieben natürlich auch der Hamburger Politischen Polizei nicht verborgen. Im September 1906 legte sie eine Akte über den aktiven Gewerkschafter und Sozialdemokraten an.

In der Ortsverwaltung des Transportarbeiter-Verbandes regte Thälmann an, gezielt für die Organisierung der ungelernten jungen Arbeiter aktiv zu werden. Dieser Vorschlag stieß bei den hauptamtlichen Funktionären auf wenig Gegenliebe. Daraufhin versuchte es eine Gruppe junger Gewerkschafter auf eigene Faust und berief eine Jugendversammlung der Hafenarbeiter im Gewerkschaftshaus ein. Knapp 700 Arbeiter strömten in die Wandelhalle; 200 traten sofort der Gewerkschaft bei. Der Antrag, eine eigene Jugendsektion des Transportarbeiter-Verbandes zu gründen, fand eine große Mehrheit. Erster Vorsitzender dieser Sektion und damit auch jüngstes Mitglied der Ortsverwaltung des Verbandes wurde der 22jährige Thälmann.

Beruflich arbeitete er nun als Wäschereikutscher. Den Arbeitsalltag dieser speziellen Berufsgruppe stellte er 1911 in der SPD-Tageszeitung Hamburger Echo anschaulich dar: »Den ganzen Tag treppauf, treppab bis in die sinkende Nacht hinein, im Sommer schweißtriefend, kein trockener Faden am Leibe, wieder auf den Kutschbock. (…) Eine Arbeitszeit von 14 bis 16 Stunden ist an der Tagesordnung.« Derartige Arbeitsverhältnisse gehörten bei der Wäscherei Gustav Welscher in Wandsbek bei Hamburg, bei der Thälmann seit Sommer 1909 arbeitete, aber bald der Vergangenheit an, weil es dem »roten Kutscher« gelang, alle Arbeiterinnen und Arbeiter des Betriebes zu organisieren. Welscher war nun eine Art »Musterbetrieb« unter den Wäschereien Hamburgs. Dort wurde der höchste Tariflohn der Branche gezahlt, Urlaubstage für alle Beschäftigten waren tariflich festgelegt.

Der Wäschereibesitzer erkannte Thälmanns organisatorisches Geschick und machte ihn bald zum Expedienten. Wenig später bot Welscher ihm sogar die Stelle des Geschäftsführers an - aber nur, wenn er seine Gewerkschaftsarbeit aufgebe. Thälmann ließ sich jedoch nicht korrumpieren und lehnte das Angebot ab. Zwei Monate später wechselte er als Kutscher zur Großwäscherei »Frauenlob«. Auch hier gelang es ihm, die Belegschaft vollständig zu organisieren. Bei »Frauenlob« lernte Thälmann seine spätere Ehefrau Rosa Koch kennen. Die junge Plätterin, die an der Heißmangel arbeitete, war mit ihm über gewerkschaftliche Fragen ins Gespräch gekommen. Die Organisationserfolge bei den Großwäschereien Welscher und »Frauenlob« strahlten bald auch auf andere Wäschereibetriebe Hamburgs aus.

Auch als Parteivorsitzender der KPD vergaß Thälmann »sein« Winterhuder Wäschereiviertel nicht. Er machte weiter gerne Rundgänge durch dieses Gebiet in der Nähe des Hamburger Stadtparks und informierte sich vor Ort über die Lage in den Betrieben.

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